1. Abschnitt.auf den Umgang mit einem Adel angewiesen, der sich für die einzige beachtenswerthe Classe der Welt hält und auch den Fürsten in diesen Dünkel hineinzieht; hier darf und muß der Fürst Jeden kennen und brauchen, und ebenso ist auch der Adel zwar der Geburt nach abgeschlossen, aber in geselliger Beziehung durchaus auf persönliche, nicht auf Kasten-Geltung gerichtet, wovon unten weiter zu handeln sein wird.
Loyalität.Die Stimmung der Ferraresen gegen dieses Herrscher- haus ist die merkwürdigste Mischung aus einem stillen Grauen, aus jenem echtitalienischen Geist der wohlausge- sonnenen Demonstration, und aus völlig moderner Unter- thanenloyalität; die persönliche Bewunderung schlägt in ein neues Pflichtgefühl um. Die Stadt Ferrara setzte 1451 dem (1441) verstorbenen Fürsten Nicolo eine eherne Reiter- statue auf der Piazza; Borso genirte sich (1454) nicht, seine eigene sitzende Bronzestatue in die Nähe zu setzen, und über- dieß decretirte ihm die Stadt gleich am Anfang seiner Re- gierung eine "marmorne Triumphsäule". Ein Ferrarese, der im Auslande, in Venedig, über Borso öffentlich schlecht geredet, wird bei der Heimkehr denuncirt und vom Gericht zu Verbannung und Gütereinziehung verurtheilt, ja beinahe hätte ihn ein loyaler Bürger vor dem Tribunal niederge- stoßen; mit dem Strick um den Hals geht er zum Herzog, Polizei und Be- amtencontrole.und erfleht völlige Verzeihung. Ueberhaupt ist dieß Fürsten- thum mit Spähern gut versehen, und der Herzog in Person prüft täglich den Fremdenrapport, auf welchen die Wirthe streng verpflichtet sind. Bei Borso 1) wird dieß noch in Verbindung gebracht mit seiner Gastfreundschaft, die keinen bedeutenden Reisenden ungeehrt wollte ziehen lassen; für Ercole I.2) dagegen war es reine Sicherheitsmaßregel. Auch in Bologna mußte damals, unter Giovanni II. Bentivoglio,
1)Jovian. Pontan. de liberalitate.
2)Giraldi, Hecatommithi, VI, Nov. 1.
1. Abſchnitt.auf den Umgang mit einem Adel angewieſen, der ſich für die einzige beachtenswerthe Claſſe der Welt hält und auch den Fürſten in dieſen Dünkel hineinzieht; hier darf und muß der Fürſt Jeden kennen und brauchen, und ebenſo iſt auch der Adel zwar der Geburt nach abgeſchloſſen, aber in geſelliger Beziehung durchaus auf perſönliche, nicht auf Kaſten-Geltung gerichtet, wovon unten weiter zu handeln ſein wird.
Loyalität.Die Stimmung der Ferrareſen gegen dieſes Herrſcher- haus iſt die merkwürdigſte Miſchung aus einem ſtillen Grauen, aus jenem echtitalieniſchen Geiſt der wohlausge- ſonnenen Demonſtration, und aus völlig moderner Unter- thanenloyalität; die perſönliche Bewunderung ſchlägt in ein neues Pflichtgefühl um. Die Stadt Ferrara ſetzte 1451 dem (1441) verſtorbenen Fürſten Nicolò eine eherne Reiter- ſtatue auf der Piazza; Borſo genirte ſich (1454) nicht, ſeine eigene ſitzende Bronzeſtatue in die Nähe zu ſetzen, und über- dieß decretirte ihm die Stadt gleich am Anfang ſeiner Re- gierung eine „marmorne Triumphſäule“. Ein Ferrareſe, der im Auslande, in Venedig, über Borſo öffentlich ſchlecht geredet, wird bei der Heimkehr denuncirt und vom Gericht zu Verbannung und Gütereinziehung verurtheilt, ja beinahe hätte ihn ein loyaler Bürger vor dem Tribunal niederge- ſtoßen; mit dem Strick um den Hals geht er zum Herzog, Polizei und Be- amtencontrole.und erfleht völlige Verzeihung. Ueberhaupt iſt dieß Fürſten- thum mit Spähern gut verſehen, und der Herzog in Perſon prüft täglich den Fremdenrapport, auf welchen die Wirthe ſtreng verpflichtet ſind. Bei Borſo 1) wird dieß noch in Verbindung gebracht mit ſeiner Gaſtfreundſchaft, die keinen bedeutenden Reiſenden ungeehrt wollte ziehen laſſen; für Ercole I.2) dagegen war es reine Sicherheitsmaßregel. Auch in Bologna mußte damals, unter Giovanni II. Bentivoglio,
1)Jovian. Pontan. de liberalitate.
2)Giraldi, Hecatommithi, VI, Nov. 1.
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auf den Umgang mit einem Adel angewieſen, der ſich für
die einzige beachtenswerthe Claſſe der Welt hält und auch
den Fürſten in dieſen Dünkel hineinzieht; hier darf und
muß der Fürſt Jeden kennen und brauchen, und ebenſo iſt
auch der Adel zwar der Geburt nach abgeſchloſſen, aber in
geſelliger Beziehung durchaus auf perſönliche, nicht auf
Kaſten-Geltung gerichtet, wovon unten weiter zu handeln
ſein wird.
1. Abſchnitt.
Die Stimmung der Ferrareſen gegen dieſes Herrſcher-
haus iſt die merkwürdigſte Miſchung aus einem ſtillen
Grauen, aus jenem echtitalieniſchen Geiſt der wohlausge-
ſonnenen Demonſtration, und aus völlig moderner Unter-
thanenloyalität; die perſönliche Bewunderung ſchlägt in ein
neues Pflichtgefühl um. Die Stadt Ferrara ſetzte 1451
dem (1441) verſtorbenen Fürſten Nicolò eine eherne Reiter-
ſtatue auf der Piazza; Borſo genirte ſich (1454) nicht, ſeine
eigene ſitzende Bronzeſtatue in die Nähe zu ſetzen, und über-
dieß decretirte ihm die Stadt gleich am Anfang ſeiner Re-
gierung eine „marmorne Triumphſäule“. Ein Ferrareſe,
der im Auslande, in Venedig, über Borſo öffentlich ſchlecht
geredet, wird bei der Heimkehr denuncirt und vom Gericht
zu Verbannung und Gütereinziehung verurtheilt, ja beinahe
hätte ihn ein loyaler Bürger vor dem Tribunal niederge-
ſtoßen; mit dem Strick um den Hals geht er zum Herzog,
und erfleht völlige Verzeihung. Ueberhaupt iſt dieß Fürſten-
thum mit Spähern gut verſehen, und der Herzog in Perſon
prüft täglich den Fremdenrapport, auf welchen die Wirthe
ſtreng verpflichtet ſind. Bei Borſo 1) wird dieß noch in
Verbindung gebracht mit ſeiner Gaſtfreundſchaft, die keinen
bedeutenden Reiſenden ungeehrt wollte ziehen laſſen; für
Ercole I. 2) dagegen war es reine Sicherheitsmaßregel. Auch
in Bologna mußte damals, unter Giovanni II. Bentivoglio,
Loyalität.
Polizei und Be-
amtencontrole.
1) Jovian. Pontan. de liberalitate.
2) Giraldi, Hecatommithi, VI, Nov. 1.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/60>, abgerufen am 21.11.2024.
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