1. Abschnitt.mit dem Gedanken einer Befreiung Mailands herausgerückt. Bald kam er in Verdacht, wurde ausgewiesen und mußte die Jünglinge ihrem lodernden Fanatismus überlassen. Etwa Der Stadtpatron.zehn Tage vor der That verschworen sie sich feierlich im Kloster S. Ambrogio; "dann, sagt Olgiati, in einem abge- legenen Raum vor einem Bilde des heiligen Ambrosius er- hob ich meine Augen und flehte ihn um Hülfe für uns und sein ganzes Volk". Der himmlische Stadtpatron soll die That schützen, gerade wie nachher S. Stephan in dessen Kirche sie geschieht. Nun zogen sie noch viele Andere halb in die Sache hinein, hatten im Hause Lampugnani ihr all- nächtliches Hauptquartier und übten sich mit Dolchscheiden im Stechen. Die That gelang, aber Lampugnani wurde gleich von den Begleitern des Herzogs niedergemacht und die andern ergriffen. Visconti zeigte Reue, Olgiati blieb trotz aller Tortur dabei, daß die That ein Gott wohlge- fälliges Opfer gewesen und sagte noch während ihm der Henker die Brust einschlug: Nimm dich zusammen, Giro- lamo! man wird lange an dich denken; der Tod ist bitter, der Ruhm ewig!
Catilinarier.So ideal aber die Vorsätze und Absichten hier sein moch- ten, so schimmert doch aus der Art und Weise wie die Ver- schwörung betrieben wird, das Bild gerade des heillosesten aller Conspiratoren hervor, der mit der Freiheit gar nichts gemein hat: des Catilina. Die Jahrbücher von Siena sagen ausdrücklich, die Verschwörer hätten den Sallust studirt, und aus Olgiati's eigenem Bekenntniß erhellt es mittelbar. 1) Auch sonst werden wir diesem furchtbaren Namen wieder
1) Man vergleiche in dem eigenen Bericht Olgiati's, bei Corio, einen Satz wie folgenden: Quisque nostrum magis socios potissime et infinitos alios sollicitare, infestare, alter alteri benevolos se facere coepit. Aliquid aliquibus parum donare; simul ma- gis noctu edere, bibere, vigilare, nostra omnia bona polli- ceri, etc.
1. Abſchnitt.mit dem Gedanken einer Befreiung Mailands herausgerückt. Bald kam er in Verdacht, wurde ausgewieſen und mußte die Jünglinge ihrem lodernden Fanatismus überlaſſen. Etwa Der Stadtpatron.zehn Tage vor der That verſchworen ſie ſich feierlich im Kloſter S. Ambrogio; „dann, ſagt Olgiati, in einem abge- legenen Raum vor einem Bilde des heiligen Ambroſius er- hob ich meine Augen und flehte ihn um Hülfe für uns und ſein ganzes Volk“. Der himmliſche Stadtpatron ſoll die That ſchützen, gerade wie nachher S. Stephan in deſſen Kirche ſie geſchieht. Nun zogen ſie noch viele Andere halb in die Sache hinein, hatten im Hauſe Lampugnani ihr all- nächtliches Hauptquartier und übten ſich mit Dolchſcheiden im Stechen. Die That gelang, aber Lampugnani wurde gleich von den Begleitern des Herzogs niedergemacht und die andern ergriffen. Visconti zeigte Reue, Olgiati blieb trotz aller Tortur dabei, daß die That ein Gott wohlge- fälliges Opfer geweſen und ſagte noch während ihm der Henker die Bruſt einſchlug: Nimm dich zuſammen, Giro- lamo! man wird lange an dich denken; der Tod iſt bitter, der Ruhm ewig!
Catilinarier.So ideal aber die Vorſätze und Abſichten hier ſein moch- ten, ſo ſchimmert doch aus der Art und Weiſe wie die Ver- ſchwörung betrieben wird, das Bild gerade des heilloſeſten aller Conſpiratoren hervor, der mit der Freiheit gar nichts gemein hat: des Catilina. Die Jahrbücher von Siena ſagen ausdrücklich, die Verſchwörer hätten den Salluſt ſtudirt, und aus Olgiati's eigenem Bekenntniß erhellt es mittelbar. 1) Auch ſonſt werden wir dieſem furchtbaren Namen wieder
1) Man vergleiche in dem eigenen Bericht Olgiati's, bei Corio, einen Satz wie folgenden: Quisque nostrum magis socios potissime et infinitos alios sollicitare, infestare, alter alteri benevolos se facere cœpit. Aliquid aliquibus parum donare; simul ma- gis noctu edere, bibere, vigilare, nostra omnia bona polli- ceri, etc.
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mit dem Gedanken einer Befreiung Mailands herausgerückt.
Bald kam er in Verdacht, wurde ausgewieſen und mußte
die Jünglinge ihrem lodernden Fanatismus überlaſſen. Etwa
zehn Tage vor der That verſchworen ſie ſich feierlich im
Kloſter S. Ambrogio; „dann, ſagt Olgiati, in einem abge-
legenen Raum vor einem Bilde des heiligen Ambroſius er-
hob ich meine Augen und flehte ihn um Hülfe für uns
und ſein ganzes Volk“. Der himmliſche Stadtpatron ſoll
die That ſchützen, gerade wie nachher S. Stephan in deſſen
Kirche ſie geſchieht. Nun zogen ſie noch viele Andere halb
in die Sache hinein, hatten im Hauſe Lampugnani ihr all-
nächtliches Hauptquartier und übten ſich mit Dolchſcheiden
im Stechen. Die That gelang, aber Lampugnani wurde
gleich von den Begleitern des Herzogs niedergemacht und
die andern ergriffen. Visconti zeigte Reue, Olgiati blieb
trotz aller Tortur dabei, daß die That ein Gott wohlge-
fälliges Opfer geweſen und ſagte noch während ihm der
Henker die Bruſt einſchlug: Nimm dich zuſammen, Giro-
lamo! man wird lange an dich denken; der Tod iſt bitter,
der Ruhm ewig!
1. Abſchnitt.
Der
Stadtpatron.
So ideal aber die Vorſätze und Abſichten hier ſein moch-
ten, ſo ſchimmert doch aus der Art und Weiſe wie die Ver-
ſchwörung betrieben wird, das Bild gerade des heilloſeſten
aller Conſpiratoren hervor, der mit der Freiheit gar nichts
gemein hat: des Catilina. Die Jahrbücher von Siena ſagen
ausdrücklich, die Verſchwörer hätten den Salluſt ſtudirt,
und aus Olgiati's eigenem Bekenntniß erhellt es mittelbar. 1)
Auch ſonſt werden wir dieſem furchtbaren Namen wieder
Catilinarier.
1) Man vergleiche in dem eigenen Bericht Olgiati's, bei Corio, einen
Satz wie folgenden: Quisque nostrum magis socios potissime
et infinitos alios sollicitare, infestare, alter alteri benevolos
se facere cœpit. Aliquid aliquibus parum donare; simul ma-
gis noctu edere, bibere, vigilare, nostra omnia bona polli-
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/68>, abgerufen am 21.11.2024.
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