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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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immer wiederkehrt, mag er im Einzelnen bald mit diesen1. Abschnitt.
bald mit jenen Formen bekleidet sein. In den Kämpfen
des XII. und XIII. Jahrhunderts kam es wirklich zu großen,
kriegerisch gewaltigen Städtebünden, und Sismondi (II. 174)
glaubt, die Zeit der letzten Rüstungen des Lombardenbundes
gegen Barbarossa (seit 1168) wäre wohl der Moment ge-
wesen, da eine allgemeine italienische Föderation sich hätte
bilden können. Aber die mächtigern Städte hatten bereits
Characterzüge entwickelt, welche dieß unmöglich machten:
sie erlaubten sich als Handelsconcurrenten die äußersten
Mittel gegen einander, und drückten schwächere Nachbar-
städte in rechtlose Abhängigkeit nieder; d. h. sie glaubten
am Ende doch einzeln durchzukommen und des Ganzen nicht
zu bedürfen, und bereiteten den Boden vor für jede andere
Gewaltherrschaft. Diese kam, als innere Kämpfe zwischen
den Adelsparteien unter sich und mit den Bürgern die
Sehnsucht nach einer festen Regierung weckten und die schon
vorhandenen Soldtruppen jede Sache um Geld unterstützten,
nachdem die einseitige Parteiregierung schon längst das all-
gemeine Bürgeraufgebot unbrauchbar zu finden gewohnt
war. 1) Die Tyrannis verschlang die Freiheit der meisten
Städte; hie und da vertrieb man sie, aber nur halb, oder
nur auf kurze Zeit; sie kam immer wieder, weil die innern
Bedingungen für sie vorhanden und die entgegenstrebenden
Kräfte aufgebraucht waren.

Unter den Städten welche ihre Unabhängigkeit bewahr-
ten, sind zwei für die ganze Geschichte der Menschheit von
höchster Bedeutung: Florenz, die Stadt der beständigen
Bewegung, welche uns auch Kunde hinterlassen hat von
allen Gedanken und Absichten der Einzelnen und der Ge-
sammtheit, die drei Jahrhunderte hindurch an dieser Be-
wegung theilnahmen; dann Venedig, die Stadt des schein-

1) Ueber letztern Punkt s. Jac. Nardi, vita di Ant. Giacomini,
p.
18.

immer wiederkehrt, mag er im Einzelnen bald mit dieſen1. Abſchnitt.
bald mit jenen Formen bekleidet ſein. In den Kämpfen
des XII. und XIII. Jahrhunderts kam es wirklich zu großen,
kriegeriſch gewaltigen Städtebünden, und Sismondi (II. 174)
glaubt, die Zeit der letzten Rüſtungen des Lombardenbundes
gegen Barbaroſſa (ſeit 1168) wäre wohl der Moment ge-
weſen, da eine allgemeine italieniſche Föderation ſich hätte
bilden können. Aber die mächtigern Städte hatten bereits
Characterzüge entwickelt, welche dieß unmöglich machten:
ſie erlaubten ſich als Handelsconcurrenten die äußerſten
Mittel gegen einander, und drückten ſchwächere Nachbar-
ſtädte in rechtloſe Abhängigkeit nieder; d. h. ſie glaubten
am Ende doch einzeln durchzukommen und des Ganzen nicht
zu bedürfen, und bereiteten den Boden vor für jede andere
Gewaltherrſchaft. Dieſe kam, als innere Kämpfe zwiſchen
den Adelsparteien unter ſich und mit den Bürgern die
Sehnſucht nach einer feſten Regierung weckten und die ſchon
vorhandenen Soldtruppen jede Sache um Geld unterſtützten,
nachdem die einſeitige Parteiregierung ſchon längſt das all-
gemeine Bürgeraufgebot unbrauchbar zu finden gewohnt
war. 1) Die Tyrannis verſchlang die Freiheit der meiſten
Städte; hie und da vertrieb man ſie, aber nur halb, oder
nur auf kurze Zeit; ſie kam immer wieder, weil die innern
Bedingungen für ſie vorhanden und die entgegenſtrebenden
Kräfte aufgebraucht waren.

Unter den Städten welche ihre Unabhängigkeit bewahr-
ten, ſind zwei für die ganze Geſchichte der Menſchheit von
höchſter Bedeutung: Florenz, die Stadt der beſtändigen
Bewegung, welche uns auch Kunde hinterlaſſen hat von
allen Gedanken und Abſichten der Einzelnen und der Ge-
ſammtheit, die drei Jahrhunderte hindurch an dieſer Be-
wegung theilnahmen; dann Venedig, die Stadt des ſchein-

1) Ueber letztern Punkt ſ. Jac. Nardi, vita di Ant. Giacomini,
p.
18.
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[61/0071] immer wiederkehrt, mag er im Einzelnen bald mit dieſen bald mit jenen Formen bekleidet ſein. In den Kämpfen des XII. und XIII. Jahrhunderts kam es wirklich zu großen, kriegeriſch gewaltigen Städtebünden, und Sismondi (II. 174) glaubt, die Zeit der letzten Rüſtungen des Lombardenbundes gegen Barbaroſſa (ſeit 1168) wäre wohl der Moment ge- weſen, da eine allgemeine italieniſche Föderation ſich hätte bilden können. Aber die mächtigern Städte hatten bereits Characterzüge entwickelt, welche dieß unmöglich machten: ſie erlaubten ſich als Handelsconcurrenten die äußerſten Mittel gegen einander, und drückten ſchwächere Nachbar- ſtädte in rechtloſe Abhängigkeit nieder; d. h. ſie glaubten am Ende doch einzeln durchzukommen und des Ganzen nicht zu bedürfen, und bereiteten den Boden vor für jede andere Gewaltherrſchaft. Dieſe kam, als innere Kämpfe zwiſchen den Adelsparteien unter ſich und mit den Bürgern die Sehnſucht nach einer feſten Regierung weckten und die ſchon vorhandenen Soldtruppen jede Sache um Geld unterſtützten, nachdem die einſeitige Parteiregierung ſchon längſt das all- gemeine Bürgeraufgebot unbrauchbar zu finden gewohnt war. 1) Die Tyrannis verſchlang die Freiheit der meiſten Städte; hie und da vertrieb man ſie, aber nur halb, oder nur auf kurze Zeit; ſie kam immer wieder, weil die innern Bedingungen für ſie vorhanden und die entgegenſtrebenden Kräfte aufgebraucht waren. 1. Abſchnitt. Unter den Städten welche ihre Unabhängigkeit bewahr- ten, ſind zwei für die ganze Geſchichte der Menſchheit von höchſter Bedeutung: Florenz, die Stadt der beſtändigen Bewegung, welche uns auch Kunde hinterlaſſen hat von allen Gedanken und Abſichten der Einzelnen und der Ge- ſammtheit, die drei Jahrhunderte hindurch an dieſer Be- wegung theilnahmen; dann Venedig, die Stadt des ſchein- 1) Ueber letztern Punkt ſ. Jac. Nardi, vita di Ant. Giacomini, p. 18.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/71>, abgerufen am 21.11.2024.