Dieser Krieg war, beiläufig gesagt, das Resultat eines hun-1. Abschnitt. dertjährigen Geschreies über die Vergrößerungssucht Vene- digs. Letzteres beging bisweilen die Fehler allzukluger Leute, welche auch ihren Gegnern keine nach ihrer Ansicht thörichten, rechnungswidrigen Streiche zutrauen wollen. 1) In diesem Optimismus, der vielleicht den Aristokratien am ehesten eigen ist, hatte man einst die Rüstungen Moham- meds II. zur Einnahme von Constantinopel, ja die Vor- bereitungen zum Zuge Carl's VIII. völlig ignorirt, bis das Unerwartete doch geschah. 2) Ein solches Ereigniß war nun auch die Liga von Cambray, insofern sie dem klaren Interesse der Hauptanstifter Ludwigs XII. und Julius II. entgegenlief. Im Papst war aber der alte Haß von ganz Italien gegen die erobernden Venezianer aufgesammelt, so- daß er über den Einmarsch der Fremden die Augen schloß, und was die Politik des Cardinals Amboise und seines Königs betraf, so hätte Venedig deren bösartigen Blödsinn schon lange als solchen erkennen und fürchten sollen. Die meisten Uebrigen nahmen an der Liga Theil aus jenem Neid, der dem Reichthum und der Macht als nützliche Zuchtruthe gesetzt, an sich aber ein ganz jämmerliches Ding ist. Venedig zog sich mit Ehren, aber doch nicht ohne bleibenden Schaden aus dem Kampfe.
Eine Macht deren Grundlagen so complicirt, derenDie Heimath der Statistik. Thätigkeit und Interessen auf einen so weiten Schauplatz ausgedehnt waren, ließe sich gar nicht denken ohne eine großartige Uebersicht des Ganzen, ohne eine beständige Bilanz der Kräfte und Lasten, der Zunahme und Abnahme. Venedig möchte sich wohl als den Geburtsort der modernen Statistik geltend machen dürfen, mit ihm vielleicht Florenz
1) Guicciardini (Ricordi, N. 150) bemerkt vielleicht zuerst, daß das politische Rachebedürfniß auch die deutliche Stimme des eignen Inter- esses übertäuben könne.
2)Malipiero, l. c. VII, I, p. 328.
Dieſer Krieg war, beiläufig geſagt, das Reſultat eines hun-1. Abſchnitt. dertjährigen Geſchreies über die Vergrößerungsſucht Vene- digs. Letzteres beging bisweilen die Fehler allzukluger Leute, welche auch ihren Gegnern keine nach ihrer Anſicht thörichten, rechnungswidrigen Streiche zutrauen wollen. 1) In dieſem Optimismus, der vielleicht den Ariſtokratien am eheſten eigen iſt, hatte man einſt die Rüſtungen Moham- meds II. zur Einnahme von Conſtantinopel, ja die Vor- bereitungen zum Zuge Carl's VIII. völlig ignorirt, bis das Unerwartete doch geſchah. 2) Ein ſolches Ereigniß war nun auch die Liga von Cambray, inſofern ſie dem klaren Intereſſe der Hauptanſtifter Ludwigs XII. und Julius II. entgegenlief. Im Papſt war aber der alte Haß von ganz Italien gegen die erobernden Venezianer aufgeſammelt, ſo- daß er über den Einmarſch der Fremden die Augen ſchloß, und was die Politik des Cardinals Amboiſe und ſeines Königs betraf, ſo hätte Venedig deren bösartigen Blödſinn ſchon lange als ſolchen erkennen und fürchten ſollen. Die meiſten Uebrigen nahmen an der Liga Theil aus jenem Neid, der dem Reichthum und der Macht als nützliche Zuchtruthe geſetzt, an ſich aber ein ganz jämmerliches Ding iſt. Venedig zog ſich mit Ehren, aber doch nicht ohne bleibenden Schaden aus dem Kampfe.
Eine Macht deren Grundlagen ſo complicirt, derenDie Heimath der Statiſtik. Thätigkeit und Intereſſen auf einen ſo weiten Schauplatz ausgedehnt waren, ließe ſich gar nicht denken ohne eine großartige Ueberſicht des Ganzen, ohne eine beſtändige Bilanz der Kräfte und Laſten, der Zunahme und Abnahme. Venedig möchte ſich wohl als den Geburtsort der modernen Statiſtik geltend machen dürfen, mit ihm vielleicht Florenz
1) Guicciardini (Ricordi, N. 150) bemerkt vielleicht zuerſt, daß das politiſche Rachebedürfniß auch die deutliche Stimme des eignen Inter- eſſes übertäuben könne.
2)Malipiero, l. c. VII, I, p. 328.
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Dieſer Krieg war, beiläufig geſagt, das Reſultat eines hun-
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Leute, welche auch ihren Gegnern keine nach ihrer Anſicht
thörichten, rechnungswidrigen Streiche zutrauen wollen. 1)
In dieſem Optimismus, der vielleicht den Ariſtokratien am
eheſten eigen iſt, hatte man einſt die Rüſtungen Moham-
meds II. zur Einnahme von Conſtantinopel, ja die Vor-
bereitungen zum Zuge Carl's VIII. völlig ignorirt, bis
das Unerwartete doch geſchah. 2) Ein ſolches Ereigniß war
nun auch die Liga von Cambray, inſofern ſie dem klaren
Intereſſe der Hauptanſtifter Ludwigs XII. und Julius II.
entgegenlief. Im Papſt war aber der alte Haß von ganz
Italien gegen die erobernden Venezianer aufgeſammelt, ſo-
daß er über den Einmarſch der Fremden die Augen ſchloß,
und was die Politik des Cardinals Amboiſe und ſeines
Königs betraf, ſo hätte Venedig deren bösartigen Blödſinn
ſchon lange als ſolchen erkennen und fürchten ſollen. Die
meiſten Uebrigen nahmen an der Liga Theil aus jenem
Neid, der dem Reichthum und der Macht als nützliche
Zuchtruthe geſetzt, an ſich aber ein ganz jämmerliches Ding
iſt. Venedig zog ſich mit Ehren, aber doch nicht ohne
bleibenden Schaden aus dem Kampfe.
1. Abſchnitt.
Eine Macht deren Grundlagen ſo complicirt, deren
Thätigkeit und Intereſſen auf einen ſo weiten Schauplatz
ausgedehnt waren, ließe ſich gar nicht denken ohne eine
großartige Ueberſicht des Ganzen, ohne eine beſtändige
Bilanz der Kräfte und Laſten, der Zunahme und Abnahme.
Venedig möchte ſich wohl als den Geburtsort der modernen
Statiſtik geltend machen dürfen, mit ihm vielleicht Florenz
Die Heimath
der Statiſtik.
1) Guicciardini (Ricordi, N. 150) bemerkt vielleicht zuerſt, daß das
politiſche Rachebedürfniß auch die deutliche Stimme des eignen Inter-
eſſes übertäuben könne.
2) Malipiero, l. c. VII, I, p. 328.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/79>, abgerufen am 24.11.2024.
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