doch kann man eben so wenig die Schwierigkeiten leugnen, mit welchen sie verbunden ist.
§ 94.
Zuerst kann nämlich nur ein sehr geübter Verstand, nur eine angestrengte Aufmerksamkeit die krankhaften Erscheinun- gen in dem Individuo vollständig entdecken, die Ursachen, durch welche sie bestimmt worden sind, entwickeln, und das Wesentliche von dem Zufälligen unterscheiden.
§ 95.
Da sodann manche Theile des Körpers, in welchen das ursprüngliche Symptom der Krankheit seinen Sitz hat, den äussern Sinnen nicht blos gestellt sind, so muß die Heil- kunst in solchen Fällen mit Hülfe der Analogie auf die ur- sprüngliche Krankheitserscheinung schließen. Hierzu bedarf sie aber theils einer reichen Erfahrung, theils eines schar- fen Beobachtungsgeistes, und einer gebildeten Beurthei- lungskraft.
§ 96.
Die Krankheiten sind die Producte unzähliger zusam- mentreffender Kräfte, des Menschen sowohl, als der äus- seren Natur. Diese Kräfte nun, können in derselben Ord- nung und denselben Verhältnissen nie mehr als einmal zu- sammen treffen, denn so bald dies geschähe, so müßte es zwey Naturen statt einer geben. Es ist baher kein Krank- heitsfall dem andern ganz ähnlich.
§ 97.
Da nun die Heilung dem Krankheitsfalle ganz ange- messen seyn muß, so kann auch ein und dieselbe Heilmethode
in
C
Kritik der Heilkunſt.
doch kann man eben ſo wenig die Schwierigkeiten leugnen, mit welchen ſie verbunden iſt.
§ 94.
Zuerſt kann naͤmlich nur ein ſehr geuͤbter Verſtand, nur eine angeſtrengte Aufmerkſamkeit die krankhaften Erſcheinun- gen in dem Individuo vollſtaͤndig entdecken, die Urſachen, durch welche ſie beſtimmt worden ſind, entwickeln, und das Weſentliche von dem Zufaͤlligen unterſcheiden.
§ 95.
Da ſodann manche Theile des Koͤrpers, in welchen das urſpruͤngliche Symptom der Krankheit ſeinen Sitz hat, den aͤuſſern Sinnen nicht blos geſtellt ſind, ſo muß die Heil- kunſt in ſolchen Faͤllen mit Huͤlfe der Analogie auf die ur- ſpruͤngliche Krankheitserſcheinung ſchließen. Hierzu bedarf ſie aber theils einer reichen Erfahrung, theils eines ſchar- fen Beobachtungsgeiſtes, und einer gebildeten Beurthei- lungskraft.
§ 96.
Die Krankheiten ſind die Producte unzaͤhliger zuſam- mentreffender Kraͤfte, des Menſchen ſowohl, als der aͤuſ- ſeren Natur. Dieſe Kraͤfte nun, koͤnnen in derſelben Ord- nung und denſelben Verhaͤltniſſen nie mehr als einmal zu- ſammen treffen, denn ſo bald dies geſchaͤhe, ſo muͤßte es zwey Naturen ſtatt einer geben. Es iſt baher kein Krank- heitsfall dem andern ganz aͤhnlich.
§ 97.
Da nun die Heilung dem Krankheitsfalle ganz ange- meſſen ſeyn muß, ſo kann auch ein und dieſelbe Heilmethode
in
C
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Kritik der Heilkunſt.
doch kann man eben ſo wenig die Schwierigkeiten leugnen,
mit welchen ſie verbunden iſt.
§ 94.
Zuerſt kann naͤmlich nur ein ſehr geuͤbter Verſtand, nur
eine angeſtrengte Aufmerkſamkeit die krankhaften Erſcheinun-
gen in dem Individuo vollſtaͤndig entdecken, die Urſachen,
durch welche ſie beſtimmt worden ſind, entwickeln, und das
Weſentliche von dem Zufaͤlligen unterſcheiden.
§ 95.
Da ſodann manche Theile des Koͤrpers, in welchen das
urſpruͤngliche Symptom der Krankheit ſeinen Sitz hat, den
aͤuſſern Sinnen nicht blos geſtellt ſind, ſo muß die Heil-
kunſt in ſolchen Faͤllen mit Huͤlfe der Analogie auf die ur-
ſpruͤngliche Krankheitserſcheinung ſchließen. Hierzu bedarf
ſie aber theils einer reichen Erfahrung, theils eines ſchar-
fen Beobachtungsgeiſtes, und einer gebildeten Beurthei-
lungskraft.
§ 96.
Die Krankheiten ſind die Producte unzaͤhliger zuſam-
mentreffender Kraͤfte, des Menſchen ſowohl, als der aͤuſ-
ſeren Natur. Dieſe Kraͤfte nun, koͤnnen in derſelben Ord-
nung und denſelben Verhaͤltniſſen nie mehr als einmal zu-
ſammen treffen, denn ſo bald dies geſchaͤhe, ſo muͤßte es
zwey Naturen ſtatt einer geben. Es iſt baher kein Krank-
heitsfall dem andern ganz aͤhnlich.
§ 97.
Da nun die Heilung dem Krankheitsfalle ganz ange-
meſſen ſeyn muß, ſo kann auch ein und dieſelbe Heilmethode
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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/51>, abgerufen am 16.02.2025.
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