Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Einleitung.


Der Mensch, sagt Beaumarchais in einem höchst sinnreichen Ausfalle seiner spöttischen Laune, zeichnet sich vor den andern Thieren durch die Eigenschaft aus, zu trinken, zu schlafen, kurz, alle seine Bedürfnisse zu befriedigen, wie und wann es ihm beliebt. Diese Wahrheit, so paradox sie auf den ersten Blick erscheint, ist darum nicht weniger eine Wahrheit, ja ich müßte, um das Witzwort unseres geistreichen Schriftstellers in noch bestimmterem Ausdrucke wiederzugeben, wenn auch nicht eben zur Ehre unserer Species, sogar sagen, die Eigenschaft, welche den Menschen von den Thieren hauptsächlich unterscheide, sei - die Unmäßigkeit.

Wird ein Thier von der Natur angetrieben, einem Bedürfnisse zu genügen, so genügt es ihm, läßt es dann aber auch dabei bewenden, so lange, bis jenes Bedürfniß gemäß den Gesetzen, welche über seine Organisation gebieten, von Neuem sich einstellt. Der Mensch hingegen, dieser König der Natur, dieses vernunftbegabte Thier, macht sich aus dem, was den andern Thieren naturgemäß ist, ein Verdienst und nennt - Mäßigkeit die Tugend, durch welche er seine Leidenschaften,

Einleitung.


Der Mensch, sagt Beaumarchais in einem höchst sinnreichen Ausfalle seiner spöttischen Laune, zeichnet sich vor den andern Thieren durch die Eigenschaft aus, zu trinken, zu schlafen, kurz, alle seine Bedürfnisse zu befriedigen, wie und wann es ihm beliebt. Diese Wahrheit, so paradox sie auf den ersten Blick erscheint, ist darum nicht weniger eine Wahrheit, ja ich müßte, um das Witzwort unseres geistreichen Schriftstellers in noch bestimmterem Ausdrucke wiederzugeben, wenn auch nicht eben zur Ehre unserer Species, sogar sagen, die Eigenschaft, welche den Menschen von den Thieren hauptsächlich unterscheide, sei – die Unmäßigkeit.

Wird ein Thier von der Natur angetrieben, einem Bedürfnisse zu genügen, so genügt es ihm, läßt es dann aber auch dabei bewenden, so lange, bis jenes Bedürfniß gemäß den Gesetzen, welche über seine Organisation gebieten, von Neuem sich einstellt. Der Mensch hingegen, dieser König der Natur, dieses vernunftbegabte Thier, macht sich aus dem, was den andern Thieren naturgemäß ist, ein Verdienst und nennt – Mäßigkeit die Tugend, durch welche er seine Leidenschaften,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0011" n="[1]"/>
        <head rendition="#g"> <hi rendition="#b">Einleitung.</hi><lb/>
        </head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Der Mensch, sagt Beaumarchais in einem höchst sinnreichen Ausfalle seiner                     spöttischen Laune, zeichnet sich vor den andern Thieren durch die Eigenschaft                     aus, zu trinken, zu schlafen, kurz, alle seine Bedürfnisse zu befriedigen, wie                     und wann es ihm beliebt. Diese Wahrheit, so paradox sie auf den ersten Blick                     erscheint, ist darum nicht weniger eine Wahrheit, ja ich müßte, um das Witzwort                     unseres geistreichen Schriftstellers in noch bestimmterem Ausdrucke                     wiederzugeben, wenn auch nicht eben zur Ehre unserer Species, sogar sagen, die                     Eigenschaft, welche den Menschen von den Thieren hauptsächlich unterscheide, sei                     &#x2013; die <hi rendition="#g">Unmäßigkeit</hi>.</p>
        <p>Wird ein Thier von der Natur angetrieben, einem Bedürfnisse zu genügen, so genügt                     es ihm, läßt es dann aber auch dabei bewenden, so lange, bis jenes Bedürfniß                     gemäß den Gesetzen, welche über seine Organisation gebieten, von Neuem sich                     einstellt. Der Mensch hingegen, dieser König der Natur, dieses vernunftbegabte                     Thier, macht sich aus dem, was den andern Thieren naturgemäß ist, ein Verdienst                     und nennt &#x2013; <hi rendition="#g">Mäßigkeit</hi> die Tugend, durch welche er seine                     Leidenschaften,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0011] Einleitung. Der Mensch, sagt Beaumarchais in einem höchst sinnreichen Ausfalle seiner spöttischen Laune, zeichnet sich vor den andern Thieren durch die Eigenschaft aus, zu trinken, zu schlafen, kurz, alle seine Bedürfnisse zu befriedigen, wie und wann es ihm beliebt. Diese Wahrheit, so paradox sie auf den ersten Blick erscheint, ist darum nicht weniger eine Wahrheit, ja ich müßte, um das Witzwort unseres geistreichen Schriftstellers in noch bestimmterem Ausdrucke wiederzugeben, wenn auch nicht eben zur Ehre unserer Species, sogar sagen, die Eigenschaft, welche den Menschen von den Thieren hauptsächlich unterscheide, sei – die Unmäßigkeit. Wird ein Thier von der Natur angetrieben, einem Bedürfnisse zu genügen, so genügt es ihm, läßt es dann aber auch dabei bewenden, so lange, bis jenes Bedürfniß gemäß den Gesetzen, welche über seine Organisation gebieten, von Neuem sich einstellt. Der Mensch hingegen, dieser König der Natur, dieses vernunftbegabte Thier, macht sich aus dem, was den andern Thieren naturgemäß ist, ein Verdienst und nennt – Mäßigkeit die Tugend, durch welche er seine Leidenschaften,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-01T10:28:26Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Benjamin Fiechter, Frank Wiegand: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-11-01T10:28:26Z)
Bayerische Staatsbibliothek München: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-11-01T10:28:26Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Die Transkription erfolgte nach den unter http://de.wikisource.org/wiki/Wikisource:Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855/11
Zitationshilfe: Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855/11>, abgerufen am 03.12.2024.