Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916].die andere stütze und so beide möglich und annehmbar Schon deshalb, und weil er von vornherein dieses wichtigste Bei der Frage über die Zukunft der Oper ist es nötig, Es ergibt sich demnach eine kommende Möglichkeit in der Es sollte die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatür- die andere stütze und so beide möglich und annehmbar Schon deshalb, und weil er von vornherein dieses wichtigste Bei der Frage über die Zukunft der Oper ist es nötig, Es ergibt sich demnach eine kommende Möglichkeit in der Es sollte die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatür- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0018" n="18"/> die andere stütze und so beide möglich und annehmbar<lb/> werden.</p><lb/> <p>Schon deshalb, und weil er von vornherein dieses wichtigste<lb/> Prinzip ignoriert, sehe ich den sogenannten italienischen Veris-<lb/> mus für die musikalische Bühne als unhaltbar an.</p><lb/> <p>Bei der Frage über die Zukunft der Oper ist es nötig,<lb/> über diese andere Klarheit zu gewinnen: „An welchen Mo-<lb/> menten ist die Musik auf der Bühne unerläßlich?“ Die<lb/> präzise Antwort gibt diese Auskunft: „Bei<lb/> Tänzen, bei Märschen, bei Liedern und – beim Eintreten des Über-<lb/> natürlichen in die Handlung.“</p><lb/> <p>Es ergibt sich demnach eine kommende Möglichkeit in der<lb/> Idee des übernatürlichen Stoffes. Und noch eine: in der<lb/> des absoluten „Spieles“, des unterhaltenden Verkleidungs-<lb/> treibens, der Bühne als offenkundige und angesagte Ver-<lb/> stellung, in der Idee des Scherzes und der Unwirklichkeit<lb/> als Gegensätze zum Ernste und zur Wahrhaftigkeit des Lebens.<lb/> Dann ist es am rechten Platze, daß die Personen singend<lb/> ihre Liebe beteuern und ihren Haß ausladen, und daß sie<lb/> melodisch im Duell fallen, daß sie bei pathetischen Explo-<lb/> sionen auf hohen Tönen Fermaten aushalten; es ist dann am<lb/> rechten Platze, daß sie sich absichtlich anders gebärden als<lb/> im Leben, anstatt daß sie (wie in unseren Theatern und in<lb/> der Oper zumal) unabsichtlich alles verkehrt machen.</p><lb/> <p>Es sollte die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatür-<lb/> lichen, als der allein ihr natürlich zufallenden Region der<lb/> Erscheinungen und der Empfindungen, sich bemächtigen und<lb/> dergestalt eine Scheinwelt schaffen, die das Leben entweder<lb/> in einen Zauberspiegel oder einen Lachspiegel reflektiert; die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0018]
die andere stütze und so beide möglich und annehmbar
werden.
Schon deshalb, und weil er von vornherein dieses wichtigste
Prinzip ignoriert, sehe ich den sogenannten italienischen Veris-
mus für die musikalische Bühne als unhaltbar an.
Bei der Frage über die Zukunft der Oper ist es nötig,
über diese andere Klarheit zu gewinnen: „An welchen Mo-
menten ist die Musik auf der Bühne unerläßlich?“ Die
präzise Antwort gibt diese Auskunft: „Bei
Tänzen, bei Märschen, bei Liedern und – beim Eintreten des Über-
natürlichen in die Handlung.“
Es ergibt sich demnach eine kommende Möglichkeit in der
Idee des übernatürlichen Stoffes. Und noch eine: in der
des absoluten „Spieles“, des unterhaltenden Verkleidungs-
treibens, der Bühne als offenkundige und angesagte Ver-
stellung, in der Idee des Scherzes und der Unwirklichkeit
als Gegensätze zum Ernste und zur Wahrhaftigkeit des Lebens.
Dann ist es am rechten Platze, daß die Personen singend
ihre Liebe beteuern und ihren Haß ausladen, und daß sie
melodisch im Duell fallen, daß sie bei pathetischen Explo-
sionen auf hohen Tönen Fermaten aushalten; es ist dann am
rechten Platze, daß sie sich absichtlich anders gebärden als
im Leben, anstatt daß sie (wie in unseren Theatern und in
der Oper zumal) unabsichtlich alles verkehrt machen.
Es sollte die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatür-
lichen, als der allein ihr natürlich zufallenden Region der
Erscheinungen und der Empfindungen, sich bemächtigen und
dergestalt eine Scheinwelt schaffen, die das Leben entweder
in einen Zauberspiegel oder einen Lachspiegel reflektiert; die
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(2019-05-15T13:49:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Schaper, Maximilian Furthmüller, Theresa Menard, Vanda Hehr, Clemens Gubsch, Claudio Fuchs, Jupp Wegner, David Mews, Ullrich Scheideler: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2019-05-27T13:49:52Z)
Benjamin Fiechter: Konvertierung ins DTA-Basisformat
(2019-05-27T13:49:52Z)
Weitere Informationen:Textgrundlage von 1906 von Busoni hauptsächlich 1914 überarbeitet. Gedruckt 1916 in Altenburg; erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig als Nr. 202 der Insel-Bücherei. Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.busoni-nachlass.org/de/Projekt/E1000003.html, http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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