Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916].ändert; und es gilt die Veränderung, obwohl sie das Original "Musikalisch" ist ein Begriff, der den Deutschen ange- 1 Eine Einleitung des Verfassers zu einem Berliner Konzerte vom
November 1910 enthielt u. a. die folgenden Sätze: "Um das Wesen- "Es kann der MenschMan bedenke überdies, daß jede Vorstellung einer Oper auf dem Theater, durch Absicht teils und teils durch die Zufälle, die so zahlreiche mit- wirkende Elemente hineintragen, zu einer Bearbeitung wird und werden muß. Noch nie erlebte ich von der Bühne aus einen Mozartschen "Don Giovanni", der dem anderen geglichen hätte. Der Regisseur scheint hier - wie auch bei der "Zauberflöte" - seinen Ehrgeiz darin zu finden, die Szenen (und innerhalb der Szenen die Vorgänge) immer wieder zu variieren und umzustellen. Auch hörte ich (leider) niemals, daß die Kritik gegen die Übersetzung des Don Giovanni ins Deutsche sich gewehrt hätte; wenngleich eine Übersetzung überhaupt (bei diesem Meisterwerk des Zusammengusses von Text und Musik nun besonders) als eine der bedenklichsten Bearbeitungen sich herausstellt. ändert; und es gilt die Veränderung, obwohl sie das Original „Musikalisch“ ist ein Begriff, der den Deutschen ange- 1 Eine Einleitung des Verfassers zu einem Berliner Konzerte vom
November 1910 enthielt u. a. die folgenden Sätze: „Um das Wesen– „Es kann der MenschMan bedenke überdies, daß jede Vorstellung einer Oper auf dem Theater, durch Absicht teils und teils durch die Zufälle, die so zahlreiche mit- wirkende Elemente hineintragen, zu einer Bearbeitung wird und werden muß. Noch nie erlebte ich von der Bühne aus einen Mozartschen „Don Giovanni“, der dem anderen geglichen hätte. Der Regisseur scheint hier – wie auch bei der „Zauberflöte“ – seinen Ehrgeiz darin zu finden, die Szenen (und innerhalb der Szenen die Vorgänge) immer wieder zu variieren und umzustellen. Auch hörte ich (leider) niemals, daß die Kritik gegen die Übersetzung des Don Giovanni ins Deutsche sich gewehrt hätte; wenngleich eine Übersetzung überhaupt (bei diesem Meisterwerk des Zusammengusses von Text und Musik nun besonders) als eine der bedenklichsten Bearbeitungen sich herausstellt. <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0024" n="24"/> ändert; und es gilt die Veränderung, obwohl sie das Original<lb/> bearbeitet. <note place="foot" n="1"><p>Eine Einleitung des Verfassers zu einem Berliner Konzerte vom<lb/><date when="1910-11">November 1910</date> <note resp="#CS" type="editorial">Drittes Nikisch-Konzert, <date when="1910-11-07">7. November 1910</date>; Busoni spielte <persName>Beethovens</persName> <title type="main">Fünftes Klavierkonzert</title> und <persName>Liszts</persName> <title type="main">Rhapsodie espagnole</title>; siehe Programm-Buch, S. 23–28, Busoni-Nachlass E 1910, 7.</note> enthielt u. a. die folgenden Sätze: <q>„Um das Wesen<lb/> der ‚Bearbeitung‘ mit einem entscheidenden Schlage in der Schätzung<lb/> des Lesers zu künstlerischer Würde zu erhöhen, bedarf es nur der<lb/> Nennung <persName>Johann Sebastian Bachs</persName>. Er war einer der fruchtbarsten<lb/> Bearbeiter eigener und fremder Stücke, namentlich als Organist. Von<lb/> ihm lernte ich die Wahrheit erkennen, daß eine gute, große, eine uni-<lb/> verselle Musik dieselbe Musik bleibt, durch welche Mittel sie auch ertönen<lb/> mag. Aber auch die andere Wahrheit: daß verschiedene Mittel eine<lb/> verschiedene – ihnen eigene – Sprache haben, in der sie den nämlichen<lb/> Gehalt in immer neuer Deutung verkünden.“</q> – <q>„Es kann der Mensch<lb/> nicht schaffen, nur verarbeiten, was er auf seiner Erde vorfindet.“</q> Man<lb/> bedenke überdies, daß jede Vorstellung einer Oper auf dem Theater,<lb/> durch Absicht teils und teils durch die Zufälle, die so zahlreiche mit-<lb/> wirkende Elemente hineintragen, zu einer Bearbeitung wird und werden<lb/> muß. Noch nie erlebte ich von der Bühne aus einen <persName>Mozartschen</persName> <title type="main">„Don<lb/> Giovanni“</title>, der dem anderen geglichen hätte. Der Regisseur scheint hier<lb/> – wie auch bei der <title type="main">„Zauberflöte“</title> – seinen Ehrgeiz darin zu finden,<lb/> die Szenen (und innerhalb der Szenen die Vorgänge) immer wieder<lb/> zu variieren und umzustellen. Auch hörte ich (leider) niemals, daß die<lb/> Kritik gegen die Übersetzung des <title type="main">Don Giovanni</title> ins Deutsche sich<lb/> gewehrt hätte; wenngleich eine Übersetzung überhaupt (bei diesem<lb/> Meisterwerk des Zusammengusses von Text und Musik nun besonders)<lb/> als eine der bedenklichsten Bearbeitungen sich herausstellt.</p><lb/></note> </p><lb/> <p> „Musikalisch“ ist ein Begriff, der den Deutschen ange-<lb/> hört, und die Anwendung des Wortes selbst findet sich in<lb/> dieser Sinnübertragung in keiner anderen Sprache. Es<lb/> ist ein Begriff, der den Deutschen angehört und nicht der<lb/> allgemeinen Kultur, und seine Bezeichnung ist falsch und<lb/> unübersetzbar. „Musikalisch“ ist von Musik hergeleitet, wie<lb/> „poetisch“ von Poesie und „physikalisch“ von Physik. Wenn<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [24/0024]
ändert; und es gilt die Veränderung, obwohl sie das Original
bearbeitet. 1
„Musikalisch“ ist ein Begriff, der den Deutschen ange-
hört, und die Anwendung des Wortes selbst findet sich in
dieser Sinnübertragung in keiner anderen Sprache. Es
ist ein Begriff, der den Deutschen angehört und nicht der
allgemeinen Kultur, und seine Bezeichnung ist falsch und
unübersetzbar. „Musikalisch“ ist von Musik hergeleitet, wie
„poetisch“ von Poesie und „physikalisch“ von Physik. Wenn
1 Eine Einleitung des Verfassers zu einem Berliner Konzerte vom
November 1910 enthielt u. a. die folgenden Sätze: „Um das Wesen
der ‚Bearbeitung‘ mit einem entscheidenden Schlage in der Schätzung
des Lesers zu künstlerischer Würde zu erhöhen, bedarf es nur der
Nennung Johann Sebastian Bachs. Er war einer der fruchtbarsten
Bearbeiter eigener und fremder Stücke, namentlich als Organist. Von
ihm lernte ich die Wahrheit erkennen, daß eine gute, große, eine uni-
verselle Musik dieselbe Musik bleibt, durch welche Mittel sie auch ertönen
mag. Aber auch die andere Wahrheit: daß verschiedene Mittel eine
verschiedene – ihnen eigene – Sprache haben, in der sie den nämlichen
Gehalt in immer neuer Deutung verkünden.“ – „Es kann der Mensch
nicht schaffen, nur verarbeiten, was er auf seiner Erde vorfindet.“ Man
bedenke überdies, daß jede Vorstellung einer Oper auf dem Theater,
durch Absicht teils und teils durch die Zufälle, die so zahlreiche mit-
wirkende Elemente hineintragen, zu einer Bearbeitung wird und werden
muß. Noch nie erlebte ich von der Bühne aus einen Mozartschen „Don
Giovanni“, der dem anderen geglichen hätte. Der Regisseur scheint hier
– wie auch bei der „Zauberflöte“ – seinen Ehrgeiz darin zu finden,
die Szenen (und innerhalb der Szenen die Vorgänge) immer wieder
zu variieren und umzustellen. Auch hörte ich (leider) niemals, daß die
Kritik gegen die Übersetzung des Don Giovanni ins Deutsche sich
gewehrt hätte; wenngleich eine Übersetzung überhaupt (bei diesem
Meisterwerk des Zusammengusses von Text und Musik nun besonders)
als eine der bedenklichsten Bearbeitungen sich herausstellt.
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(2019-05-15T13:49:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Schaper, Maximilian Furthmüller, Theresa Menard, Vanda Hehr, Clemens Gubsch, Claudio Fuchs, Jupp Wegner, David Mews, Ullrich Scheideler: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2019-05-27T13:49:52Z)
Benjamin Fiechter: Konvertierung ins DTA-Basisformat
(2019-05-27T13:49:52Z)
Weitere Informationen:Textgrundlage von 1906 von Busoni hauptsächlich 1914 überarbeitet. Gedruckt 1916 in Altenburg; erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig als Nr. 202 der Insel-Bücherei. Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.busoni-nachlass.org/de/Projekt/E1000003.html, http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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