Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916].den die Epoche ihres Entstehens über sie ausgoß, sie sind Geist und Empfindung bewahren ihre Art, so im Kunst- Die vergänglichen Eigenschaften machen das "Moderne" Die Kunstformen sind um so dauernder, je näher sie sich Die Plastik verzichtet auf den Ausdruck der menschlichen die Architektur hat ihre Grundform, die von unten nach die Dichtung gebietet über den abstrakten Gedanken, den aber alle Künste, Mittel und Formen erzielen beständig den die Epoche ihres Entstehens über sie ausgoß, sie sind Geist und Empfindung bewahren ihre Art, so im Kunst- Die vergänglichen Eigenschaften machen das „Moderne“ Die Kunstformen sind um so dauernder, je näher sie sich Die Plastik verzichtet auf den Ausdruck der menschlichen die Architektur hat ihre Grundform, die von unten nach die Dichtung gebietet über den abstrakten Gedanken, den aber alle Künste, Mittel und Formen erzielen beständig <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0006" n="6"/> den die Epoche ihres Entstehens über sie ausgoß, sie sind<lb/> vergänglich und rasch alternd.</p><lb/> <p>Geist und Empfindung bewahren ihre Art, so im Kunst-<lb/> werk wie im Menschen; technische Errungenschaften, bereit-<lb/> willigst erkannt und bewundert, werden überholt, oder der<lb/> Geschmack wendet sich von ihnen gesättigt ab. –</p><lb/> <p>Die vergänglichen Eigenschaften machen das „Moderne“<lb/> eines Werkes aus; die unveränderlichen bewahren es<lb/> davor, „altmodisch“ zu werden. Im „Modernen“ wie im<lb/> „Alten“ gibt es Gutes und Schlechtes, Echtes und Unechtes.<lb/> Absolut Modernes existiert nicht – nur früher oder später<lb/> Entstandenes; länger blühend oder schneller welkend. Immer<lb/> gab es Modernes, und immer Altes. –</p><lb/> <p>Die Kunstformen sind um so dauernder, je näher sie sich<lb/> an das Wesen der einzelnen Kunstgattung halten, je reiner<lb/> sie sich in ihren natürlichen Mitteln und Zielen bewahren.</p><lb/> <p>Die Plastik verzichtet auf den Ausdruck der menschlichen<lb/> Pupille und auf die Farben; die Malerei degradiert, wenn<lb/> sie die darstellende Fläche verläßt und sich zur Theaterde-<lb/> koration oder zum Panoramabild kompliziert; –</p><lb/> <p>die Architektur hat ihre Grundform, die von unten nach<lb/> oben zu schreiten muß, durch statische Notwendigkeit vor-<lb/> geschrieben; Fenster und Dach geben notgedrungen die mitt-<lb/> lere und abschließende Ausgestaltung; diese Bedingungen<lb/> sind an ihr bleibend und unverletzbar; –</p><lb/> <p>die Dichtung gebietet über den abstrakten Gedanken, den<lb/> sie in Worte kleidet; sie reicht an die weitesten Grenzen und<lb/> hat die größere Unabhängigkeit voraus:</p><lb/> <p> <hi rendition="#et">aber alle Künste, Mittel und Formen erzielen beständig<lb/> das eine, nämlich die Abbildung der Natur und die<lb/> Wiedergabe der menschlichen Empfindungen.</hi> </p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [6/0006]
den die Epoche ihres Entstehens über sie ausgoß, sie sind
vergänglich und rasch alternd.
Geist und Empfindung bewahren ihre Art, so im Kunst-
werk wie im Menschen; technische Errungenschaften, bereit-
willigst erkannt und bewundert, werden überholt, oder der
Geschmack wendet sich von ihnen gesättigt ab. –
Die vergänglichen Eigenschaften machen das „Moderne“
eines Werkes aus; die unveränderlichen bewahren es
davor, „altmodisch“ zu werden. Im „Modernen“ wie im
„Alten“ gibt es Gutes und Schlechtes, Echtes und Unechtes.
Absolut Modernes existiert nicht – nur früher oder später
Entstandenes; länger blühend oder schneller welkend. Immer
gab es Modernes, und immer Altes. –
Die Kunstformen sind um so dauernder, je näher sie sich
an das Wesen der einzelnen Kunstgattung halten, je reiner
sie sich in ihren natürlichen Mitteln und Zielen bewahren.
Die Plastik verzichtet auf den Ausdruck der menschlichen
Pupille und auf die Farben; die Malerei degradiert, wenn
sie die darstellende Fläche verläßt und sich zur Theaterde-
koration oder zum Panoramabild kompliziert; –
die Architektur hat ihre Grundform, die von unten nach
oben zu schreiten muß, durch statische Notwendigkeit vor-
geschrieben; Fenster und Dach geben notgedrungen die mitt-
lere und abschließende Ausgestaltung; diese Bedingungen
sind an ihr bleibend und unverletzbar; –
die Dichtung gebietet über den abstrakten Gedanken, den
sie in Worte kleidet; sie reicht an die weitesten Grenzen und
hat die größere Unabhängigkeit voraus:
aber alle Künste, Mittel und Formen erzielen beständig
das eine, nämlich die Abbildung der Natur und die
Wiedergabe der menschlichen Empfindungen.
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(2019-05-15T13:49:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Schaper, Maximilian Furthmüller, Theresa Menard, Vanda Hehr, Clemens Gubsch, Claudio Fuchs, Jupp Wegner, David Mews, Ullrich Scheideler: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2019-05-27T13:49:52Z)
Benjamin Fiechter: Konvertierung ins DTA-Basisformat
(2019-05-27T13:49:52Z)
Weitere Informationen:Textgrundlage von 1906 von Busoni hauptsächlich 1914 überarbeitet. Gedruckt 1916 in Altenburg; erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig als Nr. 202 der Insel-Bücherei. Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.busoni-nachlass.org/de/Projekt/E1000003.html, http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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