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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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mit Röthel bemahlt *), bis zum Hofkammer-
junker des großen Moguls, in ihrem Herzen
wünschen, daß man irgend etwas Schönes, ir-
gend etwas Gefälliges, etwas Lobenswürdiges
an ihnen wahrnehmen, und sie durch Aufmerk-
samkeit und Achtung dafür auszeichnen möge.
Aber auf diesen ersten Keim der Eitelkeit, den
alle, auch die weisesten und besten Menschen, in
sich fühlen, wil ich dich jezt nicht aufmerksam
machen; sondern auf den großen astreichen Stam,
der in dem Herzen unserer schönen und galanten
Weltmänner und Weltfrauen zu einer solchen Höhe
daraus hervorgewachsen ist, daß er über alle an-
dere Triebe hervorragt:
Quantum lenta solent inter viburna cupressi!

Alle Leidenschaften und Begierden -- sogar
die Habsucht, sogar der Hunger und Durst nach
sinlichen Vergnügungen, ja sogar die Liebe zum

Leben
*) Man hat nemlich satsam beobachtet, daß dieser
Gebrauch der Wilden mehr eine lebhafte Be-
gierde sich zu verschönern, als ein phisisches
Bedürfniß zum Grunde hahe.
J

mit Roͤthel bemahlt *), bis zum Hofkammer-
junker des großen Moguls, in ihrem Herzen
wuͤnſchen, daß man irgend etwas Schoͤnes, ir-
gend etwas Gefaͤlliges, etwas Lobenswuͤrdiges
an ihnen wahrnehmen, und ſie durch Aufmerk-
ſamkeit und Achtung dafuͤr auszeichnen moͤge.
Aber auf dieſen erſten Keim der Eitelkeit, den
alle, auch die weiſeſten und beſten Menſchen, in
ſich fuͤhlen, wil ich dich jezt nicht aufmerkſam
machen; ſondern auf den großen aſtreichen Stam,
der in dem Herzen unſerer ſchoͤnen und galanten
Weltmaͤnner und Weltfrauen zu einer ſolchen Hoͤhe
daraus hervorgewachſen iſt, daß er uͤber alle an-
dere Triebe hervorragt:
Quantum lenta ſolent inter viburna cupreſſi!

Alle Leidenſchaften und Begierden — ſogar
die Habſucht, ſogar der Hunger und Durſt nach
ſinlichen Vergnuͤgungen, ja ſogar die Liebe zum

Leben
*) Man hat nemlich ſatſam beobachtet, daß dieſer
Gebrauch der Wilden mehr eine lebhafte Be-
gierde ſich zu verſchoͤnern, als ein phiſiſches
Beduͤrfniß zum Grunde hahe.
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[129/0159] mit Roͤthel bemahlt *), bis zum Hofkammer- junker des großen Moguls, in ihrem Herzen wuͤnſchen, daß man irgend etwas Schoͤnes, ir- gend etwas Gefaͤlliges, etwas Lobenswuͤrdiges an ihnen wahrnehmen, und ſie durch Aufmerk- ſamkeit und Achtung dafuͤr auszeichnen moͤge. Aber auf dieſen erſten Keim der Eitelkeit, den alle, auch die weiſeſten und beſten Menſchen, in ſich fuͤhlen, wil ich dich jezt nicht aufmerkſam machen; ſondern auf den großen aſtreichen Stam, der in dem Herzen unſerer ſchoͤnen und galanten Weltmaͤnner und Weltfrauen zu einer ſolchen Hoͤhe daraus hervorgewachſen iſt, daß er uͤber alle an- dere Triebe hervorragt: Quantum lenta ſolent inter viburna cupreſſi! Alle Leidenſchaften und Begierden — ſogar die Habſucht, ſogar der Hunger und Durſt nach ſinlichen Vergnuͤgungen, ja ſogar die Liebe zum Leben *) Man hat nemlich ſatſam beobachtet, daß dieſer Gebrauch der Wilden mehr eine lebhafte Be- gierde ſich zu verſchoͤnern, als ein phiſiſches Beduͤrfniß zum Grunde hahe. J

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/159>, abgerufen am 17.05.2024.