Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Welt: und sie erwacht aus dem Zustande der
Vernichtung; ihre Elastizität ist plözlich wieder
hergestelt, und freudig walt sie dahin, wie ein
Fisch, der eine Zeitlang auf dem Troknen lag,
und durch einen glüklichen Sprung sich nun auf
einmahl wieder in sein Element versezet sieht.

Dieser Hang zu Zerstreuungen, und dieser
Ekel an allem was simpel, einförmig, natürlich
und häuslich ist, ist eine so unausbleibliche Folge
des feinen und großen Lebens, daß wir volkom-
men berechtiget sind, ihn, so wie ich jezt ge-
than habe, unter die Hauptkarakterzüge der ver-
feinerten Menschheit zu rechnen.



Und nun, mein Sohn, laß mich erst wieder
zu Athem kommen. -- Es hat mir weh ge-
than, daß ich dir an einem großen Theile deiner
Mitmenschen Seiten zeigen mußte, die ich dei-
nem Herzen, wär' es möglich gewesen, lieber auf
immer verheimlichet hätte. Aber was würde
mir das geholfen haben? Früh oder spät wären
dir die Augen doch einmahl von selbst aufgegan-
gen, und wer weiß, wie theuer diese eigene Er-

fahrung

Welt: und ſie erwacht aus dem Zuſtande der
Vernichtung; ihre Elaſtizitaͤt iſt ploͤzlich wieder
hergeſtelt, und freudig walt ſie dahin, wie ein
Fiſch, der eine Zeitlang auf dem Troknen lag,
und durch einen gluͤklichen Sprung ſich nun auf
einmahl wieder in ſein Element verſezet ſieht.

Dieſer Hang zu Zerſtreuungen, und dieſer
Ekel an allem was ſimpel, einfoͤrmig, natuͤrlich
und haͤuslich iſt, iſt eine ſo unausbleibliche Folge
des feinen und großen Lebens, daß wir volkom-
men berechtiget ſind, ihn, ſo wie ich jezt ge-
than habe, unter die Hauptkarakterzuͤge der ver-
feinerten Menſchheit zu rechnen.



Und nun, mein Sohn, laß mich erſt wieder
zu Athem kommen. — Es hat mir weh ge-
than, daß ich dir an einem großen Theile deiner
Mitmenſchen Seiten zeigen mußte, die ich dei-
nem Herzen, waͤr’ es moͤglich geweſen, lieber auf
immer verheimlichet haͤtte. Aber was wuͤrde
mir das geholfen haben? Fruͤh oder ſpaͤt waͤren
dir die Augen doch einmahl von ſelbſt aufgegan-
gen, und wer weiß, wie theuer dieſe eigene Er-

fahrung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0168" n="138"/>
Welt: und &#x017F;ie erwacht aus dem Zu&#x017F;tande der<lb/>
Vernichtung; ihre Ela&#x017F;tizita&#x0364;t i&#x017F;t plo&#x0364;zlich wieder<lb/>
herge&#x017F;telt, und freudig walt &#x017F;ie dahin, wie ein<lb/>
Fi&#x017F;ch, der eine Zeitlang auf dem <choice><sic>Trokuen</sic><corr>Troknen</corr></choice> lag,<lb/>
und durch einen glu&#x0364;klichen Sprung &#x017F;ich nun auf<lb/>
einmahl wieder in &#x017F;ein Element ver&#x017F;ezet &#x017F;ieht.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er Hang zu Zer&#x017F;treuungen, und die&#x017F;er<lb/>
Ekel an allem was &#x017F;impel, einfo&#x0364;rmig, natu&#x0364;rlich<lb/>
und ha&#x0364;uslich i&#x017F;t, i&#x017F;t eine &#x017F;o unausbleibliche Folge<lb/>
des feinen und großen Lebens, daß wir volkom-<lb/>
men berechtiget &#x017F;ind, ihn, &#x017F;o wie ich jezt ge-<lb/>
than habe, unter die Hauptkarakterzu&#x0364;ge der ver-<lb/>
feinerten Men&#x017F;chheit zu rechnen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Und nun, mein Sohn, laß mich er&#x017F;t wieder<lb/>
zu Athem kommen. &#x2014; Es hat mir weh ge-<lb/>
than, daß ich dir an einem großen Theile deiner<lb/>
Mitmen&#x017F;chen Seiten zeigen mußte, die ich dei-<lb/>
nem Herzen, wa&#x0364;r&#x2019; es mo&#x0364;glich gewe&#x017F;en, lieber auf<lb/>
immer verheimlichet ha&#x0364;tte. Aber was wu&#x0364;rde<lb/>
mir das geholfen haben? Fru&#x0364;h oder &#x017F;pa&#x0364;t wa&#x0364;ren<lb/>
dir die Augen doch einmahl von &#x017F;elb&#x017F;t aufgegan-<lb/>
gen, und wer weiß, wie theuer die&#x017F;e eigene Er-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fahrung</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0168] Welt: und ſie erwacht aus dem Zuſtande der Vernichtung; ihre Elaſtizitaͤt iſt ploͤzlich wieder hergeſtelt, und freudig walt ſie dahin, wie ein Fiſch, der eine Zeitlang auf dem Troknen lag, und durch einen gluͤklichen Sprung ſich nun auf einmahl wieder in ſein Element verſezet ſieht. Dieſer Hang zu Zerſtreuungen, und dieſer Ekel an allem was ſimpel, einfoͤrmig, natuͤrlich und haͤuslich iſt, iſt eine ſo unausbleibliche Folge des feinen und großen Lebens, daß wir volkom- men berechtiget ſind, ihn, ſo wie ich jezt ge- than habe, unter die Hauptkarakterzuͤge der ver- feinerten Menſchheit zu rechnen. Und nun, mein Sohn, laß mich erſt wieder zu Athem kommen. — Es hat mir weh ge- than, daß ich dir an einem großen Theile deiner Mitmenſchen Seiten zeigen mußte, die ich dei- nem Herzen, waͤr’ es moͤglich geweſen, lieber auf immer verheimlichet haͤtte. Aber was wuͤrde mir das geholfen haben? Fruͤh oder ſpaͤt waͤren dir die Augen doch einmahl von ſelbſt aufgegan- gen, und wer weiß, wie theuer dieſe eigene Er- fahrung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/168
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/168>, abgerufen am 25.11.2024.