kraft, von lebendigen und starken Dichtergefühlen auf, welche unsere bisherige Sprache für ihre Empfindungen, unsere bisherigen Regeln der Kunst für ihre Fantasien, die Welt selbst für die elastische Kraft ihres, keine Einschränkung dul- denden Geistes, zu enge fanden. Was thaten sie also? Sie brachen, wie ein reissender Bergstrom, durch jede Verzeunung, welche Sprachgebrauch, Regel und Konvenienz dem Drange ihrer alge- waltigen Empfindungen entgegenstelten; schufen sich eine neue Sprache, sezten ihr jedesmaliges Gefühl an die Stelle der Regeln, zauberten sich eine Welt ohne Ordnung, ohne Geseze und Ein- schränkungen, und bevölkerten sie mit Menschen, wie sie sich dazu schikten. Diese neue Schöpfung ward durch Werke angekündiget, welche in der That mit dem Stempel ungemeiner Talente be- zeichnet waren, welche daher auch ein algemeines Aufsehn, und eine algemeine Gährung unserer Lit- teratur verursachten. Allein bis dahin war noch alles ziemlich gut. Denn hätten wir diese Er- scheinung gleich anfangs gehörig zu benuzen, die darin befindliche reine Natur von den trüben
Häfen
O
kraft, von lebendigen und ſtarken Dichtergefuͤhlen auf, welche unſere bisherige Sprache fuͤr ihre Empfindungen, unſere bisherigen Regeln der Kunſt fuͤr ihre Fantaſien, die Welt ſelbſt fuͤr die elaſtiſche Kraft ihres, keine Einſchraͤnkung dul- denden Geiſtes, zu enge fanden. Was thaten ſie alſo? Sie brachen, wie ein reiſſender Bergſtrom, durch jede Verzeunung, welche Sprachgebrauch, Regel und Konvenienz dem Drange ihrer alge- waltigen Empfindungen entgegenſtelten; ſchufen ſich eine neue Sprache, ſezten ihr jedesmaliges Gefuͤhl an die Stelle der Regeln, zauberten ſich eine Welt ohne Ordnung, ohne Geſeze und Ein- ſchraͤnkungen, und bevoͤlkerten ſie mit Menſchen, wie ſie ſich dazu ſchikten. Dieſe neue Schoͤpfung ward durch Werke angekuͤndiget, welche in der That mit dem Stempel ungemeiner Talente be- zeichnet waren, welche daher auch ein algemeines Aufſehn, und eine algemeine Gaͤhrung unſerer Lit- teratur verurſachten. Allein bis dahin war noch alles ziemlich gut. Denn haͤtten wir dieſe Er- ſcheinung gleich anfangs gehoͤrig zu benuzen, die darin befindliche reine Natur von den truͤben
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[209/0239]
kraft, von lebendigen und ſtarken Dichtergefuͤhlen
auf, welche unſere bisherige Sprache fuͤr ihre
Empfindungen, unſere bisherigen Regeln der
Kunſt fuͤr ihre Fantaſien, die Welt ſelbſt fuͤr
die elaſtiſche Kraft ihres, keine Einſchraͤnkung dul-
denden Geiſtes, zu enge fanden. Was thaten ſie
alſo? Sie brachen, wie ein reiſſender Bergſtrom,
durch jede Verzeunung, welche Sprachgebrauch,
Regel und Konvenienz dem Drange ihrer alge-
waltigen Empfindungen entgegenſtelten; ſchufen
ſich eine neue Sprache, ſezten ihr jedesmaliges
Gefuͤhl an die Stelle der Regeln, zauberten ſich
eine Welt ohne Ordnung, ohne Geſeze und Ein-
ſchraͤnkungen, und bevoͤlkerten ſie mit Menſchen,
wie ſie ſich dazu ſchikten. Dieſe neue Schoͤpfung
ward durch Werke angekuͤndiget, welche in der
That mit dem Stempel ungemeiner Talente be-
zeichnet waren, welche daher auch ein algemeines
Aufſehn, und eine algemeine Gaͤhrung unſerer Lit-
teratur verurſachten. Allein bis dahin war noch
alles ziemlich gut. Denn haͤtten wir dieſe Er-
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/239>, abgerufen am 23.11.2024.
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