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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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riethen, in welcher sie sich, wie Verrükte zu thun
pflegen, über alle andere Sterbliche weit hinweg-
sezten; sich für außerordentliche Wesen hielten,
denen übermenschliche Gefühle und eine unerhörte
Wirkungskraft beiwohnte; alle Fesseln des Wohl-
standes und der guten Sitten, nicht blos in ihren
Büchern, sondern auch im Umgange mit andern
zerbrachen; eine rohe, plumpe, ungesittete Na-
türlichkeit affektierten; von nichts als hohen Ge-
fühlen, Kraft, Genie und innerem Drange re-
deten; alle Wissenschaften, welche nicht, wie
die Dichtergabe, angebohren werden, sondern
mit Fleiß und Anstrengung erlernet sein wollen,
als die elendeste und unnüzeste Beschäftigung
schwacher Selen, von ganzem Herzen verachteten,
und auf unsere verdienstvolsten Männer in der
Gelehrtenrepublik und im bürgerlichen Staate
mit einer Selbstgefälligkeit und Geringschäzung
herabsahen, welche eben so lächerlich als ärgerlich
war. Das Uebel grif um sich; Knaben und
Männer, Jungfrauen und Weiber wurden da-
von angestekt; man suchte sogar die Großen mit
ins Spiel zu ziehen, und es entstand in kurzer

Zeit
O 2

riethen, in welcher ſie ſich, wie Verruͤkte zu thun
pflegen, uͤber alle andere Sterbliche weit hinweg-
ſezten; ſich fuͤr außerordentliche Weſen hielten,
denen uͤbermenſchliche Gefuͤhle und eine unerhoͤrte
Wirkungskraft beiwohnte; alle Feſſeln des Wohl-
ſtandes und der guten Sitten, nicht blos in ihren
Buͤchern, ſondern auch im Umgange mit andern
zerbrachen; eine rohe, plumpe, ungeſittete Na-
tuͤrlichkeit affektierten; von nichts als hohen Ge-
fuͤhlen, Kraft, Genie und innerem Drange re-
deten; alle Wiſſenſchaften, welche nicht, wie
die Dichtergabe, angebohren werden, ſondern
mit Fleiß und Anſtrengung erlernet ſein wollen,
als die elendeſte und unnuͤzeſte Beſchaͤftigung
ſchwacher Selen, von ganzem Herzen verachteten,
und auf unſere verdienſtvolſten Maͤnner in der
Gelehrtenrepublik und im buͤrgerlichen Staate
mit einer Selbſtgefaͤlligkeit und Geringſchaͤzung
herabſahen, welche eben ſo laͤcherlich als aͤrgerlich
war. Das Uebel grif um ſich; Knaben und
Maͤnner, Jungfrauen und Weiber wurden da-
von angeſtekt; man ſuchte ſogar die Großen mit
ins Spiel zu ziehen, und es entſtand in kurzer

Zeit
O 2
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[211/0241] riethen, in welcher ſie ſich, wie Verruͤkte zu thun pflegen, uͤber alle andere Sterbliche weit hinweg- ſezten; ſich fuͤr außerordentliche Weſen hielten, denen uͤbermenſchliche Gefuͤhle und eine unerhoͤrte Wirkungskraft beiwohnte; alle Feſſeln des Wohl- ſtandes und der guten Sitten, nicht blos in ihren Buͤchern, ſondern auch im Umgange mit andern zerbrachen; eine rohe, plumpe, ungeſittete Na- tuͤrlichkeit affektierten; von nichts als hohen Ge- fuͤhlen, Kraft, Genie und innerem Drange re- deten; alle Wiſſenſchaften, welche nicht, wie die Dichtergabe, angebohren werden, ſondern mit Fleiß und Anſtrengung erlernet ſein wollen, als die elendeſte und unnuͤzeſte Beſchaͤftigung ſchwacher Selen, von ganzem Herzen verachteten, und auf unſere verdienſtvolſten Maͤnner in der Gelehrtenrepublik und im buͤrgerlichen Staate mit einer Selbſtgefaͤlligkeit und Geringſchaͤzung herabſahen, welche eben ſo laͤcherlich als aͤrgerlich war. Das Uebel grif um ſich; Knaben und Maͤnner, Jungfrauen und Weiber wurden da- von angeſtekt; man ſuchte ſogar die Großen mit ins Spiel zu ziehen, und es entſtand in kurzer Zeit O 2

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/241>, abgerufen am 23.11.2024.