Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm an Freunden und Geselschaftern unter den
edelsten und würdigsten Menschen an jedem Orte
niemahls fehlen werde. Achte besonders auf das
lezte unter den genanten Stükken; und wisse,
daß die gute oder schlimme Meinung, die wir
den Leuten schon als Knaben von uns einflößen,
uns gemeiniglich durchs ganze Leben an jeden neuen
Ort unsers Aufenthalts zu begleiten pflegt. Hat
man daher seinen guten Nahmen nur erst an
einem Orte festgestelt, so darf man um die Grün-
dung desselben an jedem andern unbekümmert sein.
Das nimmer ruhende Gerücht hat es schon über
sich genommen, die besten und kräftigsten Em-
pfehlungsbriefe für uns herumzutragen, noch ehe
wir angekommen waren. Und wohl dem, der
mit solchen Addressen versehen ist! Aber dieser
Punkt bedarf noch einer besondern Erwägung.



Wenn ich ein Freund von paradoxer Stellung
simpler Gedanken wäre, so würd' ich sagen: das
Urtheil der Menschen über uns und unsre Hand-
lungen sei die wichtigste und zugleich die aller
nichtswürdigste Sache von der Welt; es hänge

lediglich

ihm an Freunden und Geſelſchaftern unter den
edelſten und wuͤrdigſten Menſchen an jedem Orte
niemahls fehlen werde. Achte beſonders auf das
lezte unter den genanten Stuͤkken; und wiſſe,
daß die gute oder ſchlimme Meinung, die wir
den Leuten ſchon als Knaben von uns einfloͤßen,
uns gemeiniglich durchs ganze Leben an jeden neuen
Ort unſers Aufenthalts zu begleiten pflegt. Hat
man daher ſeinen guten Nahmen nur erſt an
einem Orte feſtgeſtelt, ſo darf man um die Gruͤn-
dung deſſelben an jedem andern unbekuͤmmert ſein.
Das nimmer ruhende Geruͤcht hat es ſchon uͤber
ſich genommen, die beſten und kraͤftigſten Em-
pfehlungsbriefe fuͤr uns herumzutragen, noch ehe
wir angekommen waren. Und wohl dem, der
mit ſolchen Addreſſen verſehen iſt! Aber dieſer
Punkt bedarf noch einer beſondern Erwaͤgung.



Wenn ich ein Freund von paradoxer Stellung
ſimpler Gedanken waͤre, ſo wuͤrd’ ich ſagen: das
Urtheil der Menſchen uͤber uns und unſre Hand-
lungen ſei die wichtigſte und zugleich die aller
nichtswuͤrdigſte Sache von der Welt; es haͤnge

lediglich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0260" n="230"/>
ihm an Freunden und Ge&#x017F;el&#x017F;chaftern unter den<lb/>
edel&#x017F;ten und wu&#x0364;rdig&#x017F;ten Men&#x017F;chen an jedem Orte<lb/>
niemahls fehlen werde. Achte be&#x017F;onders auf das<lb/>
lezte unter den genanten Stu&#x0364;kken; und wi&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
daß die gute oder &#x017F;chlimme Meinung, die wir<lb/>
den Leuten &#x017F;chon als Knaben von uns einflo&#x0364;ßen,<lb/>
uns gemeiniglich durchs ganze Leben an jeden neuen<lb/>
Ort un&#x017F;ers Aufenthalts zu begleiten pflegt. Hat<lb/>
man daher &#x017F;einen guten Nahmen nur er&#x017F;t an<lb/>
einem Orte fe&#x017F;tge&#x017F;telt, &#x017F;o darf man um die Gru&#x0364;n-<lb/>
dung de&#x017F;&#x017F;elben an jedem andern unbeku&#x0364;mmert &#x017F;ein.<lb/>
Das nimmer ruhende Geru&#x0364;cht hat es &#x017F;chon u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;ich genommen, die be&#x017F;ten und kra&#x0364;ftig&#x017F;ten Em-<lb/>
pfehlungsbriefe fu&#x0364;r uns herumzutragen, noch ehe<lb/>
wir angekommen waren. Und wohl dem, der<lb/>
mit &#x017F;olchen Addre&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;ehen i&#x017F;t! Aber die&#x017F;er<lb/>
Punkt bedarf noch einer be&#x017F;ondern Erwa&#x0364;gung.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Wenn ich ein Freund von paradoxer Stellung<lb/>
&#x017F;impler Gedanken wa&#x0364;re, &#x017F;o wu&#x0364;rd&#x2019; ich &#x017F;agen: das<lb/>
Urtheil der Men&#x017F;chen u&#x0364;ber uns und un&#x017F;re Hand-<lb/>
lungen &#x017F;ei die wichtig&#x017F;te und zugleich die aller<lb/>
nichtswu&#x0364;rdig&#x017F;te Sache von der Welt; es ha&#x0364;nge<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lediglich</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0260] ihm an Freunden und Geſelſchaftern unter den edelſten und wuͤrdigſten Menſchen an jedem Orte niemahls fehlen werde. Achte beſonders auf das lezte unter den genanten Stuͤkken; und wiſſe, daß die gute oder ſchlimme Meinung, die wir den Leuten ſchon als Knaben von uns einfloͤßen, uns gemeiniglich durchs ganze Leben an jeden neuen Ort unſers Aufenthalts zu begleiten pflegt. Hat man daher ſeinen guten Nahmen nur erſt an einem Orte feſtgeſtelt, ſo darf man um die Gruͤn- dung deſſelben an jedem andern unbekuͤmmert ſein. Das nimmer ruhende Geruͤcht hat es ſchon uͤber ſich genommen, die beſten und kraͤftigſten Em- pfehlungsbriefe fuͤr uns herumzutragen, noch ehe wir angekommen waren. Und wohl dem, der mit ſolchen Addreſſen verſehen iſt! Aber dieſer Punkt bedarf noch einer beſondern Erwaͤgung. Wenn ich ein Freund von paradoxer Stellung ſimpler Gedanken waͤre, ſo wuͤrd’ ich ſagen: das Urtheil der Menſchen uͤber uns und unſre Hand- lungen ſei die wichtigſte und zugleich die aller nichtswuͤrdigſte Sache von der Welt; es haͤnge lediglich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/260
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/260>, abgerufen am 22.11.2024.