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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

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Wie wahr ist doch die Anmerkung, daß wir
das Gute und das Böse in unserm verflossenen
Leben nie richtiger beurtheilen, als wenn wir auf
das Siechbette gelegt werden! Unser junge Held
ward von einem heftigen Fieber befallen, und
man that den Ausspruch, er wäre dem Tode nahe.
Nunmehr äußerte er unter häufigen Seufzern ein
Gefühl der Reue, grämte sich über die Thorheiten
der Jugend, und beschloß, wenn der Himmel
ihm die Gesundheit wieder schenken solte, sich der
Mäßigkeit und Tugend zu widmen.

Der Arzt machte Hofnung -- und es vergin-
gen wenig Wochen, so war er, wie vorher, wieder
bei Gesundheit und Stärke.

Hier gab es nun eine anderweitige Gelegen-
heit, zu den gelassenen, unschuldigen Vergnügun-
gen eines gelehrten Lebens, desjenigen, für das
er bestimt war, zurükzukehren. Die Leidenschaf-
ten lagen im Schlafe, die Stärke der Gewohn-
heit war überwältigt worden, und jede Anlokkung
war in der Entfernung. Unser junge Student
ergrif den günstigen Augenblik, glühte vom Ge-
fühle seiner eigenen Besserung, und kurz, er war
glüklich.

An

Wie wahr iſt doch die Anmerkung, daß wir
das Gute und das Boͤſe in unſerm verfloſſenen
Leben nie richtiger beurtheilen, als wenn wir auf
das Siechbette gelegt werden! Unſer junge Held
ward von einem heftigen Fieber befallen, und
man that den Ausſpruch, er waͤre dem Tode nahe.
Nunmehr aͤußerte er unter haͤufigen Seufzern ein
Gefuͤhl der Reue, graͤmte ſich uͤber die Thorheiten
der Jugend, und beſchloß, wenn der Himmel
ihm die Geſundheit wieder ſchenken ſolte, ſich der
Maͤßigkeit und Tugend zu widmen.

Der Arzt machte Hofnung — und es vergin-
gen wenig Wochen, ſo war er, wie vorher, wieder
bei Geſundheit und Staͤrke.

Hier gab es nun eine anderweitige Gelegen-
heit, zu den gelaſſenen, unſchuldigen Vergnuͤgun-
gen eines gelehrten Lebens, desjenigen, fuͤr das
er beſtimt war, zuruͤkzukehren. Die Leidenſchaf-
ten lagen im Schlafe, die Staͤrke der Gewohn-
heit war uͤberwaͤltigt worden, und jede Anlokkung
war in der Entfernung. Unſer junge Student
ergrif den guͤnſtigen Augenblik, gluͤhte vom Ge-
fuͤhle ſeiner eigenen Beſſerung, und kurz, er war
gluͤklich.

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[180/0186] Wie wahr iſt doch die Anmerkung, daß wir das Gute und das Boͤſe in unſerm verfloſſenen Leben nie richtiger beurtheilen, als wenn wir auf das Siechbette gelegt werden! Unſer junge Held ward von einem heftigen Fieber befallen, und man that den Ausſpruch, er waͤre dem Tode nahe. Nunmehr aͤußerte er unter haͤufigen Seufzern ein Gefuͤhl der Reue, graͤmte ſich uͤber die Thorheiten der Jugend, und beſchloß, wenn der Himmel ihm die Geſundheit wieder ſchenken ſolte, ſich der Maͤßigkeit und Tugend zu widmen. Der Arzt machte Hofnung — und es vergin- gen wenig Wochen, ſo war er, wie vorher, wieder bei Geſundheit und Staͤrke. Hier gab es nun eine anderweitige Gelegen- heit, zu den gelaſſenen, unſchuldigen Vergnuͤgun- gen eines gelehrten Lebens, desjenigen, fuͤr das er beſtimt war, zuruͤkzukehren. Die Leidenſchaf- ten lagen im Schlafe, die Staͤrke der Gewohn- heit war uͤberwaͤltigt worden, und jede Anlokkung war in der Entfernung. Unſer junge Student ergrif den guͤnſtigen Augenblik, gluͤhte vom Ge- fuͤhle ſeiner eigenen Beſſerung, und kurz, er war gluͤklich. An

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/186>, abgerufen am 11.12.2024.