Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Der schwachsinnigste Mensch von der Welt kan
sich der Leidenschaften des Weisesten zu Nuze ma-
chen. Ein Mensch ohne Aufmerksamkeit kan
sein Geschäft nicht kennen, folglich auch nicht vol-
bringen. Und wer seine Miene nicht in seiner
Gewalt hat, der könte eben so gut seine Gedanken
hersagen, als er sie herweiset.

Muthig ist jezt ein Modewort. Muthig
handeln, muthig reden, bedeutet blos so viel als
hizig handeln und unbesonnen reden. Ein ver-
ständiger zeigt seinen Muth durch sanfmüthige
Worte und entschloßne Handlungen; er ist weder
hizig noch schüchtern.

Wenn von ohngefähr ein verständiger Man
in jenem unangenehmen Zustande ist, da er sich
selbst mehr als ein mahl fragen muß: was sol
ich thun
? -- so wird er sich antworten, nichts!
Wenn seine Vernunft ihm keinen guten Weg zeigt,
wenigstens keinen, der weniger schlecht als der
andre wäre: so wird er stehen bleiben, und auf
Licht warten. Eine kleine geschäftige Sele fährt
auf alle Fälle fort, muß immer etwas vorhaben,
und fürchtet, gleich einem blinden Pferde, keine
Gefahr, darum weil es keine sieht. Allein ma[n] [m]uß
auch Langeweile auszuhalten wissen.

Ge-

Der ſchwachſinnigſte Menſch von der Welt kan
ſich der Leidenſchaften des Weiſeſten zu Nuze ma-
chen. Ein Menſch ohne Aufmerkſamkeit kan
ſein Geſchaͤft nicht kennen, folglich auch nicht vol-
bringen. Und wer ſeine Miene nicht in ſeiner
Gewalt hat, der koͤnte eben ſo gut ſeine Gedanken
herſagen, als er ſie herweiſet.

Muthig iſt jezt ein Modewort. Muthig
handeln, muthig reden, bedeutet blos ſo viel als
hizig handeln und unbeſonnen reden. Ein ver-
ſtaͤndiger zeigt ſeinen Muth durch ſanfmuͤthige
Worte und entſchloßne Handlungen; er iſt weder
hizig noch ſchuͤchtern.

Wenn von ohngefaͤhr ein verſtaͤndiger Man
in jenem unangenehmen Zuſtande iſt, da er ſich
ſelbſt mehr als ein mahl fragen muß: was ſol
ich thun
? — ſo wird er ſich antworten, nichts!
Wenn ſeine Vernunft ihm keinen guten Weg zeigt,
wenigſtens keinen, der weniger ſchlecht als der
andre waͤre: ſo wird er ſtehen bleiben, und auf
Licht warten. Eine kleine geſchaͤftige Sele faͤhrt
auf alle Faͤlle fort, muß immer etwas vorhaben,
und fuͤrchtet, gleich einem blinden Pferde, keine
Gefahr, darum weil es keine ſieht. Allein ma[n] [m]uß
auch Langeweile auszuhalten wiſſen.

Ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0192" n="186"/>
Der &#x017F;chwach&#x017F;innig&#x017F;te Men&#x017F;ch von der Welt kan<lb/>
&#x017F;ich der Leiden&#x017F;chaften des Wei&#x017F;e&#x017F;ten zu Nuze ma-<lb/>
chen. Ein Men&#x017F;ch ohne Aufmerk&#x017F;amkeit kan<lb/>
&#x017F;ein Ge&#x017F;cha&#x0364;ft nicht kennen, folglich auch nicht vol-<lb/>
bringen. Und wer &#x017F;eine Miene nicht in &#x017F;einer<lb/>
Gewalt hat, der ko&#x0364;nte eben &#x017F;o gut &#x017F;eine Gedanken<lb/>
her&#x017F;agen, als er &#x017F;ie herwei&#x017F;et.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Muthig</hi> i&#x017F;t jezt ein Modewort. Muthig<lb/>
handeln, muthig reden, bedeutet blos &#x017F;o viel als<lb/>
hizig handeln und unbe&#x017F;onnen reden. Ein ver-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndiger zeigt &#x017F;einen Muth durch &#x017F;anfmu&#x0364;thige<lb/>
Worte und ent&#x017F;chloßne Handlungen; er i&#x017F;t weder<lb/>
hizig noch &#x017F;chu&#x0364;chtern.</p><lb/>
        <p>Wenn von ohngefa&#x0364;hr ein ver&#x017F;ta&#x0364;ndiger Man<lb/>
in jenem unangenehmen Zu&#x017F;tande i&#x017F;t, da er &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t mehr als ein mahl fragen muß: <hi rendition="#fr">was &#x017F;ol<lb/>
ich thun</hi>? &#x2014; &#x017F;o wird er &#x017F;ich antworten, <hi rendition="#fr">nichts</hi>!<lb/>
Wenn &#x017F;eine Vernunft ihm keinen guten Weg zeigt,<lb/>
wenig&#x017F;tens keinen, der weniger &#x017F;chlecht als der<lb/>
andre wa&#x0364;re: &#x017F;o wird er &#x017F;tehen bleiben, und auf<lb/>
Licht warten. Eine kleine ge&#x017F;cha&#x0364;ftige Sele fa&#x0364;hrt<lb/>
auf alle Fa&#x0364;lle fort, muß immer etwas vorhaben,<lb/>
und fu&#x0364;rchtet, gleich einem blinden Pferde, keine<lb/>
Gefahr, darum weil es keine &#x017F;ieht. Allein ma<supplied>n</supplied> <supplied>m</supplied><lb/>
auch Langeweile auszuhalten wi&#x017F;&#x017F;en.</p>
        <fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0192] Der ſchwachſinnigſte Menſch von der Welt kan ſich der Leidenſchaften des Weiſeſten zu Nuze ma- chen. Ein Menſch ohne Aufmerkſamkeit kan ſein Geſchaͤft nicht kennen, folglich auch nicht vol- bringen. Und wer ſeine Miene nicht in ſeiner Gewalt hat, der koͤnte eben ſo gut ſeine Gedanken herſagen, als er ſie herweiſet. Muthig iſt jezt ein Modewort. Muthig handeln, muthig reden, bedeutet blos ſo viel als hizig handeln und unbeſonnen reden. Ein ver- ſtaͤndiger zeigt ſeinen Muth durch ſanfmuͤthige Worte und entſchloßne Handlungen; er iſt weder hizig noch ſchuͤchtern. Wenn von ohngefaͤhr ein verſtaͤndiger Man in jenem unangenehmen Zuſtande iſt, da er ſich ſelbſt mehr als ein mahl fragen muß: was ſol ich thun? — ſo wird er ſich antworten, nichts! Wenn ſeine Vernunft ihm keinen guten Weg zeigt, wenigſtens keinen, der weniger ſchlecht als der andre waͤre: ſo wird er ſtehen bleiben, und auf Licht warten. Eine kleine geſchaͤftige Sele faͤhrt auf alle Faͤlle fort, muß immer etwas vorhaben, und fuͤrchtet, gleich einem blinden Pferde, keine Gefahr, darum weil es keine ſieht. Allein man muß auch Langeweile auszuhalten wiſſen. Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/192
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/192>, abgerufen am 11.12.2024.