Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844.Wo immer ich, mein Heiland, dich mag schauen, In Schrift und Kunst, in mir und auf der Straßen. Erscheinst du mir als Fließendes und Vieles Und auch als Eins und Vestes gleichermaßen Wie Einheit wol in heil'gem Münsterbauen Benebst Vielartigkeit des Arbeitspieles. Laß Jeden seines Zieles Besonderheit, o Herr, stets klarer fassen Und kräftiger erstreben, auf daß alle Werkleute sich im Schwalle Des Bildens dahin stellen wo sie bassen, Und Allen laß im einzeln Thun Bewußtsein Des großen Ganzen stets die höchste Lust sein. Denn nichts und ewig auch die Menschheit kann nicht
Aus sich heraus, kann im Verhältniß stehen Zu nichts das nicht zugleich ihr angehörig, Sei's Wollen, Fühlen, Ahnen, sei's Verstehen, Selbst dann, wenn sie von Grenzen spricht, selbst dann nicht, Und Gott trennt man, Natur von Menschheit thörig. Mag säuselndes Geröhrig Wol als ein Fremdes anseh'n Strom und Flur sich? Horcht ihm! es wird sein Credo euch verkünden. Dem Geiste muß verbünden Als Geist sich alles Sein, und als Natur sich Natürlichem. Du aber, Bild der Reinheit, Bist Geist und bist Natur als höchste Einheit. Wo immer ich, mein Heiland, dich mag ſchauen, In Schrift und Kunſt, in mir und auf der Straßen. Erſcheinſt du mir als Fließendes und Vieles Und auch als Eins und Veſtes gleichermaßen Wie Einheit wol in heil'gem Münſterbauen Benebſt Vielartigkeit des Arbeitſpieles. Laß Jeden ſeines Zieles Beſonderheit, o Herr, ſtets klarer faſſen Und kräftiger erſtreben, auf daß alle Werkleute ſich im Schwalle Des Bildens dahin ſtellen wo ſie baſſen, Und Allen laß im einzeln Thun Bewußtſein Des großen Ganzen ſtets die höchſte Luſt ſein. Denn nichts und ewig auch die Menſchheit kann nicht
Aus ſich heraus, kann im Verhältniß ſtehen Zu nichts das nicht zugleich ihr angehörig, Sei's Wollen, Fühlen, Ahnen, ſei's Verſtehen, Selbſt dann, wenn ſie von Grenzen ſpricht, ſelbſt dann nicht, Und Gott trennt man, Natur von Menſchheit thörig. Mag ſäuſelndes Geröhrig Wol als ein Fremdes anſeh'n Strom und Flur ſich? Horcht ihm! es wird ſein Credo euch verkünden. Dem Geiſte muß verbünden Als Geiſt ſich alles Sein, und als Natur ſich Natürlichem. Du aber, Bild der Reinheit, Biſt Geiſt und biſt Natur als höchſte Einheit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0057" n="43"/> <lg n="2"> <l>Wo immer ich, mein Heiland, dich mag ſchauen,</l><lb/> <l>In Schrift und Kunſt, in mir und auf der Straßen.</l><lb/> <l>Erſcheinſt du mir als Fließendes und Vieles</l><lb/> <l>Und auch als Eins und Veſtes gleichermaßen</l><lb/> <l>Wie Einheit wol in heil'gem Münſterbauen</l><lb/> <l>Benebſt Vielartigkeit des Arbeitſpieles.</l><lb/> <l>Laß Jeden ſeines Zieles</l><lb/> <l>Beſonderheit, o Herr, ſtets klarer faſſen</l><lb/> <l>Und kräftiger erſtreben, auf daß alle</l><lb/> <l>Werkleute ſich im Schwalle</l><lb/> <l>Des Bildens dahin ſtellen wo ſie baſſen,</l><lb/> <l>Und Allen laß im einzeln Thun Bewußtſein</l><lb/> <l>Des großen Ganzen ſtets die höchſte Luſt ſein.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Denn nichts und ewig auch die Menſchheit kann nicht</l><lb/> <l>Aus ſich heraus, kann im Verhältniß ſtehen</l><lb/> <l>Zu nichts das nicht zugleich ihr angehörig,</l><lb/> <l>Sei's Wollen, Fühlen, Ahnen, ſei's Verſtehen,</l><lb/> <l>Selbſt dann, wenn ſie von Grenzen ſpricht, ſelbſt dann nicht,</l><lb/> <l>Und Gott trennt man, Natur von Menſchheit thörig.</l><lb/> <l>Mag ſäuſelndes Geröhrig</l><lb/> <l>Wol als ein Fremdes anſeh'n Strom und Flur ſich?</l><lb/> <l>Horcht ihm! es wird ſein Credo euch verkünden.</l><lb/> <l>Dem Geiſte muß verbünden</l><lb/> <l>Als Geiſt ſich alles Sein, und als Natur ſich</l><lb/> <l>Natürlichem. Du aber, Bild der Reinheit,</l><lb/> <l>Biſt Geiſt und biſt Natur als höchſte Einheit.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0057]
Wo immer ich, mein Heiland, dich mag ſchauen,
In Schrift und Kunſt, in mir und auf der Straßen.
Erſcheinſt du mir als Fließendes und Vieles
Und auch als Eins und Veſtes gleichermaßen
Wie Einheit wol in heil'gem Münſterbauen
Benebſt Vielartigkeit des Arbeitſpieles.
Laß Jeden ſeines Zieles
Beſonderheit, o Herr, ſtets klarer faſſen
Und kräftiger erſtreben, auf daß alle
Werkleute ſich im Schwalle
Des Bildens dahin ſtellen wo ſie baſſen,
Und Allen laß im einzeln Thun Bewußtſein
Des großen Ganzen ſtets die höchſte Luſt ſein.
Denn nichts und ewig auch die Menſchheit kann nicht
Aus ſich heraus, kann im Verhältniß ſtehen
Zu nichts das nicht zugleich ihr angehörig,
Sei's Wollen, Fühlen, Ahnen, ſei's Verſtehen,
Selbſt dann, wenn ſie von Grenzen ſpricht, ſelbſt dann nicht,
Und Gott trennt man, Natur von Menſchheit thörig.
Mag ſäuſelndes Geröhrig
Wol als ein Fremdes anſeh'n Strom und Flur ſich?
Horcht ihm! es wird ſein Credo euch verkünden.
Dem Geiſte muß verbünden
Als Geiſt ſich alles Sein, und als Natur ſich
Natürlichem. Du aber, Bild der Reinheit,
Biſt Geiſt und biſt Natur als höchſte Einheit.
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