[Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von]: Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte. [Hrsg. v. Joachim Lange]. Berlin, 1700.Den Abgrund weiset ihr/ und Hülffe wißt ihr nicht/ 2. Was noch geschehen soll/ das hält uns GOtt verborgen/Er weiß/ ein schlimmes heut' ist an sich selber schwer; Wir aber holen uns noch neue Dornen her/ Als wär' es nicht genug für jeden Tag zu sorgen; Wir sincken schon aus Furcht des künftigen zur Erden/ Das nie gewesen ist/ nicht ist/ und nicht kan werden. 3. Warum verlangen wir in stetem Glück zu weyden/Und wündschen was vorhin kein Sterblicher gethan? Entfällt uns denn so gar/ daß wir viel besser dran/ Als tausend neben uns/ die unsern Stand beneiden? Kan uns der Sonnen Schein so trübe Regung machen/ Wie wird es künftig gehn/ wenn erst die Wolcken krachen? 4. Drum rauschet nur vorbey/ ihr Kummer-volle Fluthen/Das ist das beste Gut was in uns selbst besteht. Und weil des Vaters Hand das Rad der Schickung dreht/ Sind Küsse noch viel ehr als Schläge zu vermuthen. Er schicke was Er wil/ wir können nicht entrinnen; Weicht eitle Grillen weicht/ ihr kräncket nur die Sinnen. Todes-Gedancken. DAs/ was der Erden weite Raum Begreifft in seinen Schrancken/ Verfleucht als wie ein leichter Traum; Ich selbst/ dem die Gedancken Der Nichtigkeit itzt fallen ein/ Ich kan vielleicht der nechste seyn/ Von abgekürtztem Leben Ein Beyspiel abzugeben. 2 Bin B 2
Den Abgrund weiſet ihr/ und Huͤlffe wißt ihr nicht/ 2. Was noch geſchehen ſoll/ das haͤlt uns GOtt verborgen/Er weiß/ ein ſchlimmes heut’ iſt an ſich ſelber ſchwer; Wir aber holen uns noch neue Dornen her/ Als waͤr’ es nicht genug fuͤr jeden Tag zu ſorgen; Wir ſincken ſchon aus Furcht des kuͤnftigen zur Erden/ Das nie geweſen iſt/ nicht iſt/ und nicht kan werden. 3. Warum verlangen wir in ſtetem Gluͤck zu weyden/Und wuͤndſchen was vorhin kein Sterblicher gethan? Entfaͤllt uns denn ſo gar/ daß wir viel beſſer dran/ Als tauſend neben uns/ die unſern Stand beneiden? Kan uns der Sonnen Schein ſo truͤbe Regung machen/ Wie wird es kuͤnftig gehn/ wenn erſt die Wolcken kꝛachen? 4. Drum rauſchet nur vorbey/ ihr Kummer-volle Fluthen/Das iſt das beſte Gut was in uns ſelbſt beſteht. Und weil des Vaters Hand das Rad der Schickung dreht/ Sind Kuͤſſe noch viel ehr als Schlaͤge zu vermuthen. Er ſchicke was Er wil/ wir koͤnnen nicht entrinnen; Weicht eitle Grillen weicht/ ihr kraͤncket nur die Sinnen. Todes-Gedancken. DAs/ was der Erden weite Raum Begreifft in ſeinen Schrancken/ Verfleucht als wie ein leichter Traum; Ich ſelbſt/ dem die Gedancken Der Nichtigkeit itzt fallen ein/ Ich kan vielleicht der nechſte ſeyn/ Von abgekuͤrtztem Leben Ein Beyſpiel abzugeben. 2 Bin B 2
<TEI> <text> <body> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0032" n="19"/> <l>Den Abgrund weiſet ihr/ und Huͤlffe wißt ihr nicht/</l><lb/> <l>Ihr ſchaffet Muͤh und Schweiß und koͤnt doch nichts ge-<lb/><hi rendition="#et">winnen/</hi></l><lb/> <l>Ihr oͤfnet uns die Bahn zum zeitigen Verderben/</l><lb/> <l>Und macht das Leben ſchon in erſter Bluͤthe ſterben!</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <head> <hi rendition="#c">2.</hi> </head><lb/> <l>Was noch geſchehen ſoll/ das haͤlt uns GOtt verborgen/</l><lb/> <l>Er weiß/ ein ſchlimmes heut’ iſt an ſich ſelber ſchwer;</l><lb/> <l>Wir aber holen uns noch neue Dornen her/</l><lb/> <l>Als waͤr’ es nicht genug fuͤr jeden Tag zu ſorgen;</l><lb/> <l>Wir ſincken ſchon aus Furcht des kuͤnftigen zur Erden/</l><lb/> <l>Das nie geweſen iſt/ nicht iſt/ und nicht kan werden.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <head> <hi rendition="#c">3.</hi> </head><lb/> <l>Warum verlangen wir in ſtetem Gluͤck zu weyden/</l><lb/> <l>Und wuͤndſchen was vorhin kein Sterblicher gethan?</l><lb/> <l>Entfaͤllt uns denn ſo gar/ daß wir viel beſſer dran/</l><lb/> <l>Als tauſend neben uns/ die unſern Stand beneiden?</l><lb/> <l>Kan uns der Sonnen Schein ſo truͤbe Regung machen/</l><lb/> <l>Wie wird es kuͤnftig gehn/ wenn erſt die Wolcken kꝛachen?</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <head> <hi rendition="#c">4.</hi> </head><lb/> <l>Drum rauſchet nur vorbey/ ihr Kummer-volle Fluthen/</l><lb/> <l>Das iſt das beſte Gut was in uns ſelbſt beſteht.</l><lb/> <l>Und weil des Vaters Hand das Rad der Schickung<lb/><hi rendition="#et">dreht/</hi></l><lb/> <l>Sind Kuͤſſe noch viel ehr als Schlaͤge zu vermuthen.</l><lb/> <l>Er ſchicke was Er wil/ wir koͤnnen nicht entrinnen;</l><lb/> <l>Weicht eitle Grillen weicht/ ihr kraͤncket nur die Sinnen.</l> </lg> </lg><lb/> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#b">Todes-Gedancken.</hi> </head><lb/> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">D</hi>As/ was der Erden weite Raum</l><lb/> <l>Begreifft in ſeinen Schrancken/</l><lb/> <l>Verfleucht als wie ein leichter Traum;</l><lb/> <l>Ich ſelbſt/ dem die Gedancken</l><lb/> <l>Der Nichtigkeit itzt fallen ein/</l><lb/> <l>Ich kan vielleicht der nechſte ſeyn/</l><lb/> <l>Von abgekuͤrtztem Leben</l><lb/> <l>Ein Beyſpiel abzugeben.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig">B 2</fw> <fw place="bottom" type="catch">2 Bin</fw><lb/> </lg> </body> </text> </TEI> [19/0032]
Den Abgrund weiſet ihr/ und Huͤlffe wißt ihr nicht/
Ihr ſchaffet Muͤh und Schweiß und koͤnt doch nichts ge-
winnen/
Ihr oͤfnet uns die Bahn zum zeitigen Verderben/
Und macht das Leben ſchon in erſter Bluͤthe ſterben!
2.
Was noch geſchehen ſoll/ das haͤlt uns GOtt verborgen/
Er weiß/ ein ſchlimmes heut’ iſt an ſich ſelber ſchwer;
Wir aber holen uns noch neue Dornen her/
Als waͤr’ es nicht genug fuͤr jeden Tag zu ſorgen;
Wir ſincken ſchon aus Furcht des kuͤnftigen zur Erden/
Das nie geweſen iſt/ nicht iſt/ und nicht kan werden.
3.
Warum verlangen wir in ſtetem Gluͤck zu weyden/
Und wuͤndſchen was vorhin kein Sterblicher gethan?
Entfaͤllt uns denn ſo gar/ daß wir viel beſſer dran/
Als tauſend neben uns/ die unſern Stand beneiden?
Kan uns der Sonnen Schein ſo truͤbe Regung machen/
Wie wird es kuͤnftig gehn/ wenn erſt die Wolcken kꝛachen?
4.
Drum rauſchet nur vorbey/ ihr Kummer-volle Fluthen/
Das iſt das beſte Gut was in uns ſelbſt beſteht.
Und weil des Vaters Hand das Rad der Schickung
dreht/
Sind Kuͤſſe noch viel ehr als Schlaͤge zu vermuthen.
Er ſchicke was Er wil/ wir koͤnnen nicht entrinnen;
Weicht eitle Grillen weicht/ ihr kraͤncket nur die Sinnen.
Todes-Gedancken.
DAs/ was der Erden weite Raum
Begreifft in ſeinen Schrancken/
Verfleucht als wie ein leichter Traum;
Ich ſelbſt/ dem die Gedancken
Der Nichtigkeit itzt fallen ein/
Ich kan vielleicht der nechſte ſeyn/
Von abgekuͤrtztem Leben
Ein Beyſpiel abzugeben.
2 Bin
B 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |