Maschinen zu Einnehmung der Städte verfertigen (darinnen sie bisher ganz und gar unwissend gewesen waren): machte auch seinen Bruder Aeladdin zum Feldherrn über seine Kriegesheere, und trug demselben zugleich die Verwaltung der öffentlichen Geschäffte auf, unter dem neuen Titel eines obersten Weßirs.
3.
Im Jahre 729 bestimmte Orchan zuerst den Soldaten (die zuvorGiebt den Sol- daten zuerst ei- nen Sold, und breitet seine Re- ligion aus. aus lauter Freywilligen bestunden) einen ordentlichen Sold, nämlich eine Nokrä des Tages (so hieß seine neue Münze, die dem Werthe nach den vierten Theil einer Drachme Silbers* betrug). Wenn sie aber keine wirklichen Dienste tha-H. 729. J. C. 1329. ten: so hatten sie von demselben zugleich die Vergünstigung, daß sie auf ihren eigenen Gütern in Frieden leben konnten und nicht die mindeste Auflage bezah- len durften. Weil aber diese Fußknechte aus dem niedrigsten Bauernvolke genommen und daher rohe und ungesittete Leute waren: so wurden dieselben gar oft aufrührisch, oder waren doch geneigt Aufruhr anzufangen. Orchan merkte es, und schaffte daher dieses Heer ab: nahm aber an ihrer statt so viel Leute von den Christen an, als ihm möglich war zusammen zu bringen. Diese ließ er anfangs in der muhämmedischen Religion unterrichten, und her- nach zu Soldaten anwerben. Auf diese Weise bekam er nicht nur in kurzer Zeit ein zahlreiches Heer, sondern breitete auch den muhämmedischen Aberglau- ben gewaltig aus. Wenn einige von den türkischen Bauern Lust hatten Sol- daten zu werden: so durften sie keine andere Dienste nehmen, als bey der Rei- terey, unter den Sandschakbegjen und Bölükj Baschi, und bekamen den Namen Müsellem, das ist, befreyte Leute.
4.
Nachdem nun solchergestalt das Kriegswesen in Ordnung gebrachtNimmt Nicäa nach einer lang- wierigen Bela- gerung ein, und verheiratet die griechischen Wit- wen mit seinen Soldaten. und eine neue Mannschaft aufgerichtet worden, auch die Anzahl der Truppen sehr stark angewachsen war: so belagerte Orchan noch in demselben Jahre Ißnik oder Nicäa. Diese Stadt wurde durch eine zwey Jahre lang beständig fortgesetzte Belagerung, Hunger und Pest beynahe völlig aufgerieben, und daher genöthiget, sich Orchan auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Als die Einwohner durch ihre Abgeordneten um ihr Leben und zugleich um Erlaubniß [Spaltenumbruch]
Tode daselbst anlangen konnte. Denn es ist an dem osmanischen Hofe gewöhnlich, daß man den Tod des Kaisers mit großer Sorg- falt verhehlet, sonderlich vor den Feinden. Da nun aber die türkischen Schriftsteller ge- [Spaltenumbruch] wohnt sind, den Todestag ihrer Kaiser auf das genaueste aufzuzeichnen: so kann ich mich nicht entschließen, in die Wahrheit die- ser Erzählung einen Zweifel zu setzen.
bitten
* Dieses sind 0,8694 Pfenn. cölnisches Gewichts, und dem Gelde nach, 11,7365 sächsische Pfenninge.
E 2
2. Orchan
Maſchinen zu Einnehmung der Staͤdte verfertigen (darinnen ſie bisher ganz und gar unwiſſend geweſen waren): machte auch ſeinen Bruder Aeladdin zum Feldherrn uͤber ſeine Kriegesheere, und trug demſelben zugleich die Verwaltung der oͤffentlichen Geſchaͤffte auf, unter dem neuen Titel eines oberſten Weßirs.
3.
Im Jahre 729 beſtimmte Orchan zuerſt den Soldaten (die zuvorGiebt den Sol- daten zuerſt ei- nen Sold, und breitet ſeine Re- ligion aus. aus lauter Freywilligen beſtunden) einen ordentlichen Sold, naͤmlich eine Nokraͤ des Tages (ſo hieß ſeine neue Muͤnze, die dem Werthe nach den vierten Theil einer Drachme Silbers* betrug). Wenn ſie aber keine wirklichen Dienſte tha-H. 729. J. C. 1329. ten: ſo hatten ſie von demſelben zugleich die Verguͤnſtigung, daß ſie auf ihren eigenen Guͤtern in Frieden leben konnten und nicht die mindeſte Auflage bezah- len durften. Weil aber dieſe Fußknechte aus dem niedrigſten Bauernvolke genommen und daher rohe und ungeſittete Leute waren: ſo wurden dieſelben gar oft aufruͤhriſch, oder waren doch geneigt Aufruhr anzufangen. Orchan merkte es, und ſchaffte daher dieſes Heer ab: nahm aber an ihrer ſtatt ſo viel Leute von den Chriſten an, als ihm moͤglich war zuſammen zu bringen. Dieſe ließ er anfangs in der muhaͤmmediſchen Religion unterrichten, und her- nach zu Soldaten anwerben. Auf dieſe Weiſe bekam er nicht nur in kurzer Zeit ein zahlreiches Heer, ſondern breitete auch den muhaͤmmediſchen Aberglau- ben gewaltig aus. Wenn einige von den tuͤrkiſchen Bauern Luſt hatten Sol- daten zu werden: ſo durften ſie keine andere Dienſte nehmen, als bey der Rei- terey, unter den Sandſchakbegjen und Boͤluͤkj Baſchi, und bekamen den Namen Muͤſellem, das iſt, befreyte Leute.
4.
Nachdem nun ſolchergeſtalt das Kriegsweſen in Ordnung gebrachtNimmt Nicaͤa nach einer lang- wierigen Bela- gerung ein, und verheiratet die griechiſchen Wit- wen mit ſeinen Soldaten. und eine neue Mannſchaft aufgerichtet worden, auch die Anzahl der Truppen ſehr ſtark angewachſen war: ſo belagerte Orchan noch in demſelben Jahre Ißnik oder Nicaͤa. Dieſe Stadt wurde durch eine zwey Jahre lang beſtaͤndig fortgeſetzte Belagerung, Hunger und Peſt beynahe voͤllig aufgerieben, und daher genoͤthiget, ſich Orchan auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Als die Einwohner durch ihre Abgeordneten um ihr Leben und zugleich um Erlaubniß [Spaltenumbruch]
Tode daſelbſt anlangen konnte. Denn es iſt an dem osmaniſchen Hofe gewoͤhnlich, daß man den Tod des Kaiſers mit großer Sorg- falt verhehlet, ſonderlich vor den Feinden. Da nun aber die tuͤrkiſchen Schriftſteller ge- [Spaltenumbruch] wohnt ſind, den Todestag ihrer Kaiſer auf das genaueſte aufzuzeichnen: ſo kann ich mich nicht entſchließen, in die Wahrheit die- ſer Erzaͤhlung einen Zweifel zu ſetzen.
bitten
* Dieſes ſind 0,8694 Pfenn. coͤlniſches Gewichts, und dem Gelde nach, 11,7365 ſaͤchſiſche Pfenninge.
E 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0109"n="35"/><fwplace="top"type="header">2. Orchan</fw><lb/>
Maſchinen zu Einnehmung der Staͤdte verfertigen (darinnen ſie bisher ganz<lb/>
und gar unwiſſend geweſen waren): machte auch ſeinen Bruder Aeladdin zum<lb/>
Feldherrn uͤber ſeine Kriegesheere, und trug demſelben zugleich die Verwaltung<lb/>
der oͤffentlichen Geſchaͤffte auf, unter dem neuen Titel eines oberſten Weßirs.</p></div><lb/><divn="3"><head>3.</head><p>Im Jahre 729 beſtimmte Orchan zuerſt den Soldaten (die zuvor<noteplace="right">Giebt den Sol-<lb/>
daten zuerſt ei-<lb/>
nen Sold, und<lb/>
breitet ſeine Re-<lb/>
ligion aus.</note><lb/>
aus lauter Freywilligen beſtunden) einen ordentlichen Sold, naͤmlich eine Nokraͤ<lb/>
des Tages (ſo hieß ſeine neue Muͤnze, die dem Werthe nach den vierten Theil<lb/>
einer Drachme Silbers<noteplace="foot"n="*">Dieſes ſind 0,8694 Pfenn. coͤlniſches Gewichts, und dem Gelde nach, 11,7365 ſaͤchſiſche Pfenninge.</note> betrug). Wenn ſie aber keine wirklichen Dienſte tha-<noteplace="right">H. 729.<lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
J. C. 1329.</note><lb/>
ten: ſo hatten ſie von demſelben zugleich die Verguͤnſtigung, daß ſie auf ihren<lb/>
eigenen Guͤtern in Frieden leben konnten und nicht die mindeſte Auflage bezah-<lb/>
len durften. Weil aber dieſe Fußknechte aus dem niedrigſten Bauernvolke<lb/>
genommen und daher rohe und ungeſittete Leute waren: ſo wurden dieſelben<lb/>
gar oft aufruͤhriſch, oder waren doch geneigt Aufruhr anzufangen. Orchan<lb/>
merkte es, und ſchaffte daher dieſes Heer ab: nahm aber an ihrer ſtatt ſo<lb/>
viel Leute von den Chriſten an, als ihm moͤglich war zuſammen zu bringen.<lb/>
Dieſe ließ er anfangs in der muhaͤmmediſchen Religion unterrichten, und her-<lb/>
nach zu Soldaten anwerben. Auf dieſe Weiſe bekam er nicht nur in kurzer<lb/>
Zeit ein zahlreiches Heer, ſondern breitete auch den muhaͤmmediſchen Aberglau-<lb/>
ben gewaltig aus. Wenn einige von den tuͤrkiſchen Bauern Luſt hatten Sol-<lb/>
daten zu werden: ſo durften ſie keine andere Dienſte nehmen, als bey der Rei-<lb/>
terey, unter den Sandſchakbegjen und Boͤluͤkj Baſchi, und bekamen den Namen<lb/>
Muͤſellem, das iſt, befreyte Leute.</p></div><lb/><divn="3"><head>4.</head><p>Nachdem nun ſolchergeſtalt das Kriegsweſen in Ordnung gebracht<noteplace="right">Nimmt Nicaͤa<lb/>
nach einer lang-<lb/>
wierigen Bela-<lb/>
gerung ein, und<lb/>
verheiratet die<lb/>
griechiſchen Wit-<lb/>
wen mit ſeinen<lb/>
Soldaten.</note><lb/>
und eine neue Mannſchaft aufgerichtet worden, auch die Anzahl der Truppen<lb/>ſehr ſtark angewachſen war: ſo belagerte Orchan noch in demſelben Jahre<lb/>
Ißnik oder Nicaͤa. Dieſe Stadt wurde durch eine zwey Jahre lang beſtaͤndig<lb/>
fortgeſetzte Belagerung, Hunger und Peſt beynahe voͤllig aufgerieben, und<lb/>
daher genoͤthiget, ſich Orchan auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Als die<lb/>
Einwohner durch ihre Abgeordneten um ihr Leben und zugleich um Erlaubniß<lb/><fwplace="bottom"type="catch">bitten</fw><lb/><cbn="1"/><lb/><notexml:id="A109"prev="#A108"place="end">Tode daſelbſt anlangen konnte. Denn es<lb/>
iſt an dem osmaniſchen Hofe gewoͤhnlich, daß<lb/>
man den Tod des Kaiſers mit großer Sorg-<lb/>
falt verhehlet, ſonderlich vor den Feinden.<lb/>
Da nun aber die tuͤrkiſchen Schriftſteller ge-<lb/><cbn="2"/><lb/>
wohnt ſind, den Todestag ihrer Kaiſer auf<lb/>
das genaueſte aufzuzeichnen: ſo kann ich<lb/>
mich nicht entſchließen, in die Wahrheit die-<lb/>ſer Erzaͤhlung einen Zweifel zu ſetzen.</note><lb/><fwplace="bottom"type="sig">E 2</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[35/0109]
2. Orchan
Maſchinen zu Einnehmung der Staͤdte verfertigen (darinnen ſie bisher ganz
und gar unwiſſend geweſen waren): machte auch ſeinen Bruder Aeladdin zum
Feldherrn uͤber ſeine Kriegesheere, und trug demſelben zugleich die Verwaltung
der oͤffentlichen Geſchaͤffte auf, unter dem neuen Titel eines oberſten Weßirs.
3. Im Jahre 729 beſtimmte Orchan zuerſt den Soldaten (die zuvor
aus lauter Freywilligen beſtunden) einen ordentlichen Sold, naͤmlich eine Nokraͤ
des Tages (ſo hieß ſeine neue Muͤnze, die dem Werthe nach den vierten Theil
einer Drachme Silbers * betrug). Wenn ſie aber keine wirklichen Dienſte tha-
ten: ſo hatten ſie von demſelben zugleich die Verguͤnſtigung, daß ſie auf ihren
eigenen Guͤtern in Frieden leben konnten und nicht die mindeſte Auflage bezah-
len durften. Weil aber dieſe Fußknechte aus dem niedrigſten Bauernvolke
genommen und daher rohe und ungeſittete Leute waren: ſo wurden dieſelben
gar oft aufruͤhriſch, oder waren doch geneigt Aufruhr anzufangen. Orchan
merkte es, und ſchaffte daher dieſes Heer ab: nahm aber an ihrer ſtatt ſo
viel Leute von den Chriſten an, als ihm moͤglich war zuſammen zu bringen.
Dieſe ließ er anfangs in der muhaͤmmediſchen Religion unterrichten, und her-
nach zu Soldaten anwerben. Auf dieſe Weiſe bekam er nicht nur in kurzer
Zeit ein zahlreiches Heer, ſondern breitete auch den muhaͤmmediſchen Aberglau-
ben gewaltig aus. Wenn einige von den tuͤrkiſchen Bauern Luſt hatten Sol-
daten zu werden: ſo durften ſie keine andere Dienſte nehmen, als bey der Rei-
terey, unter den Sandſchakbegjen und Boͤluͤkj Baſchi, und bekamen den Namen
Muͤſellem, das iſt, befreyte Leute.
Giebt den Sol-
daten zuerſt ei-
nen Sold, und
breitet ſeine Re-
ligion aus.
H. 729.
J. C. 1329.
4. Nachdem nun ſolchergeſtalt das Kriegsweſen in Ordnung gebracht
und eine neue Mannſchaft aufgerichtet worden, auch die Anzahl der Truppen
ſehr ſtark angewachſen war: ſo belagerte Orchan noch in demſelben Jahre
Ißnik oder Nicaͤa. Dieſe Stadt wurde durch eine zwey Jahre lang beſtaͤndig
fortgeſetzte Belagerung, Hunger und Peſt beynahe voͤllig aufgerieben, und
daher genoͤthiget, ſich Orchan auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Als die
Einwohner durch ihre Abgeordneten um ihr Leben und zugleich um Erlaubniß
bitten
Tode daſelbſt anlangen konnte. Denn es
iſt an dem osmaniſchen Hofe gewoͤhnlich, daß
man den Tod des Kaiſers mit großer Sorg-
falt verhehlet, ſonderlich vor den Feinden.
Da nun aber die tuͤrkiſchen Schriftſteller ge-
wohnt ſind, den Todestag ihrer Kaiſer auf
das genaueſte aufzuzeichnen: ſo kann ich
mich nicht entſchließen, in die Wahrheit die-
ſer Erzaͤhlung einen Zweifel zu ſetzen.
Nimmt Nicaͤa
nach einer lang-
wierigen Bela-
gerung ein, und
verheiratet die
griechiſchen Wit-
wen mit ſeinen
Soldaten.
* Dieſes ſind 0,8694 Pfenn. coͤlniſches Gewichts, und dem Gelde nach, 11,7365 ſaͤchſiſche Pfenninge.
E 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/109>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.