Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.2. Orchan 13. Weil die Krankheit, die der Tod seines Sohnes Orchan zugezogenOrchans Tod "sen Thaten weit entfernet gewesen, son- "dern auch einen solchen Grad der Tugend "erreichet haben, daß sie von der Luft auf- "gehoben worden, und von dem Berge "Olympus an" [sie meineten den Berg Olympus in Bithynien, der von dem in Griechenland unterschieden ist] "bis nach "St. Sophien geflogen und denselben Weg "wieder zurück gekommen sind: wie sie "dann auch noch wegen anderer Wunder "berühmt sind, die alle menschlichen Kräfte "übersteigen." Der Patriarch, wie er dann ein sehr kurzweiliger Mann war, ver- setzet darauf: "Die alten Mönche haben "dieses nicht allein gethan; wir thun noch "täglich eben diese Wunder. Ich selbst "nehme gar oft die Flucht von hier" (er war damals in dem Patriarchensitze zu Pha- narium) "nach Pera: ich fliege aber gerne "nach Sonnen Untergange, und nicht gar "hoch, damit mich das Volk nicht sehen, "und man mich keiner Betriegerey und Zau- "berey beschuldigen möge." Die Türken sagten nichts darauf, als dieses: "Haben "wir euch nicht vorher gesaget, daß unsere "Bücher, darinnen, wie wir glauben, nichts "Unwahres stehet, dieses erzählen?" Inzwischen muß man doch auch bekennen, daß unter einem so großen Volke viele von den gelehrten Türken sind, die nicht alles glauben, was in dem Kuron stehet, ob sie [Spaltenumbruch] gleich nicht das Herz haben, ihre Gedanken öffentlich zu sagen. Das Gegentheil aber bezeuget folgende Geschichte. Ich fragte einmal den sehr gelehrten Türken, Sädi Efendi (dem ich meine Wissenschaft im Türkischen allein zu danken habe): da er ein so großer Kenner der Mathematik und in der demokra- tischen Weltweisheit so wohl erfahren sey; wie er doch immer glauben könne, daß Mu- hämmed das Gestirne des Mondes entzwey gebrochen, und die Hälfte davon, die alsdann vom Himmel gefallen, mit seinem Aermel aufgefangen habe? Hierauf gab er mir zur Antwort: "nach dem Laufe der Natur "könne es freylich nicht geschehen; ja es "sey vielmehr demselben entgegen. Weil "aber in dem Kuron gesaget werde, daß "dieses Wunder wirklich vorgegangen sey: "so verleugne er seine Vernunft, und neh- "me das Wunderwerk an. Denn," setzte er hinzu, "Gott kann alles thun, was ihm "beliebet." 8 siebenzig] Aus den Lebensjahren Or- chans können wir die Jahre seiner Regierung herausbringen. Denn, wenn er in dem fünf und dreyßigsten Jahre seines Alters seinem Vater Osman in der Regierung nachgefolget, und in seinem siebenzigsten Jahre gestorben ist: so ist es klar, daß er fünf und dreyßig Jahre regieret haben müsse. Daher glaube noch F 2
2. Orchan 13. Weil die Krankheit, die der Tod ſeines Sohnes Orchan zugezogenOrchans Tod “ſen Thaten weit entfernet geweſen, ſon- “dern auch einen ſolchen Grad der Tugend “erreichet haben, daß ſie von der Luft auf- “gehoben worden, und von dem Berge “Olympus an„ [ſie meineten den Berg Olympus in Bithynien, der von dem in Griechenland unterſchieden iſt] “bis nach “St. Sophien geflogen und denſelben Weg “wieder zuruͤck gekommen ſind: wie ſie “dann auch noch wegen anderer Wunder “beruͤhmt ſind, die alle menſchlichen Kraͤfte “uͤberſteigen.„ Der Patriarch, wie er dann ein ſehr kurzweiliger Mann war, ver- ſetzet darauf: “Die alten Moͤnche haben “dieſes nicht allein gethan; wir thun noch “taͤglich eben dieſe Wunder. Ich ſelbſt “nehme gar oft die Flucht von hier„ (er war damals in dem Patriarchenſitze zu Pha- narium) “nach Pera: ich fliege aber gerne “nach Sonnen Untergange, und nicht gar “hoch, damit mich das Volk nicht ſehen, “und man mich keiner Betriegerey und Zau- “berey beſchuldigen moͤge.„ Die Tuͤrken ſagten nichts darauf, als dieſes: “Haben “wir euch nicht vorher geſaget, daß unſere “Buͤcher, darinnen, wie wir glauben, nichts “Unwahres ſtehet, dieſes erzaͤhlen?„ Inzwiſchen muß man doch auch bekennen, daß unter einem ſo großen Volke viele von den gelehrten Tuͤrken ſind, die nicht alles glauben, was in dem Kuron ſtehet, ob ſie [Spaltenumbruch] gleich nicht das Herz haben, ihre Gedanken oͤffentlich zu ſagen. Das Gegentheil aber bezeuget folgende Geſchichte. Ich fragte einmal den ſehr gelehrten Tuͤrken, Saͤdi Efendi (dem ich meine Wiſſenſchaft im Tuͤrkiſchen allein zu danken habe): da er ein ſo großer Kenner der Mathematik und in der demokra- tiſchen Weltweisheit ſo wohl erfahren ſey; wie er doch immer glauben koͤnne, daß Mu- haͤmmed das Geſtirne des Mondes entzwey gebrochen, und die Haͤlfte davon, die alsdann vom Himmel gefallen, mit ſeinem Aermel aufgefangen habe? Hierauf gab er mir zur Antwort: “nach dem Laufe der Natur “koͤnne es freylich nicht geſchehen; ja es “ſey vielmehr demſelben entgegen. Weil “aber in dem Kuron geſaget werde, daß “dieſes Wunder wirklich vorgegangen ſey: “ſo verleugne er ſeine Vernunft, und neh- “me das Wunderwerk an. Denn,„ ſetzte er hinzu, “Gott kann alles thun, was ihm “beliebet.„ 8 ſiebenzig] Aus den Lebensjahren Or- chans koͤnnen wir die Jahre ſeiner Regierung herausbringen. Denn, wenn er in dem fuͤnf und dreyßigſten Jahre ſeines Alters ſeinem Vater Osman in der Regierung nachgefolget, und in ſeinem ſiebenzigſten Jahre geſtorben iſt: ſo iſt es klar, daß er fuͤnf und dreyßig Jahre regieret haben muͤſſe. Daher glaube noch F 2
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2. Orchan
13. Weil die Krankheit, die der Tod ſeines Sohnes Orchan zugezogen
hatte, unaufhoͤrlich an dem alten Leibe deſſelben nagete, und taͤglich zunahme:
ſo ſtarb er noch in demſelben Jahre, zweene Monate nach Verungluͤckung ſeines
Sohnes, und wurde in dem Manaſtir
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oder Kloſter zu Pruſa begraben. Er
hinterließ das Reich ſeinem Sohne Murad, nachdem er, wie Saͤdi es ausrech-
net, ſiebenzig
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Jahre gelebet und fuͤnf und dreyßig Jahre regieret hatte. Die
Tuͤrken wiſſen dieſes Sultans Gnade, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Freyge-
bigkeit gegen die Armen nicht genug herauszuſtreichen: und ruͤhmen von ihm
noch
“ſen Thaten weit entfernet geweſen, ſon-
“dern auch einen ſolchen Grad der Tugend
“erreichet haben, daß ſie von der Luft auf-
“gehoben worden, und von dem Berge
“Olympus an„ [ſie meineten den Berg
Olympus in Bithynien, der von dem in
Griechenland unterſchieden iſt] “bis nach
“St. Sophien geflogen und denſelben Weg
“wieder zuruͤck gekommen ſind: wie ſie
“dann auch noch wegen anderer Wunder
“beruͤhmt ſind, die alle menſchlichen Kraͤfte
“uͤberſteigen.„ Der Patriarch, wie er
dann ein ſehr kurzweiliger Mann war, ver-
ſetzet darauf: “Die alten Moͤnche haben
“dieſes nicht allein gethan; wir thun noch
“taͤglich eben dieſe Wunder. Ich ſelbſt
“nehme gar oft die Flucht von hier„ (er
war damals in dem Patriarchenſitze zu Pha-
narium) “nach Pera: ich fliege aber gerne
“nach Sonnen Untergange, und nicht gar
“hoch, damit mich das Volk nicht ſehen,
“und man mich keiner Betriegerey und Zau-
“berey beſchuldigen moͤge.„ Die Tuͤrken
ſagten nichts darauf, als dieſes: “Haben
“wir euch nicht vorher geſaget, daß unſere
“Buͤcher, darinnen, wie wir glauben, nichts
“Unwahres ſtehet, dieſes erzaͤhlen?„
Inzwiſchen muß man doch auch bekennen,
daß unter einem ſo großen Volke viele von
den gelehrten Tuͤrken ſind, die nicht alles
glauben, was in dem Kuron ſtehet, ob ſie
gleich nicht das Herz haben, ihre Gedanken
oͤffentlich zu ſagen. Das Gegentheil aber
bezeuget folgende Geſchichte. Ich fragte
einmal den ſehr gelehrten Tuͤrken, Saͤdi Efendi
(dem ich meine Wiſſenſchaft im Tuͤrkiſchen
allein zu danken habe): da er ein ſo großer
Kenner der Mathematik und in der demokra-
tiſchen Weltweisheit ſo wohl erfahren ſey;
wie er doch immer glauben koͤnne, daß Mu-
haͤmmed das Geſtirne des Mondes entzwey
gebrochen, und die Haͤlfte davon, die alsdann
vom Himmel gefallen, mit ſeinem Aermel
aufgefangen habe? Hierauf gab er mir zur
Antwort: “nach dem Laufe der Natur
“koͤnne es freylich nicht geſchehen; ja es
“ſey vielmehr demſelben entgegen. Weil
“aber in dem Kuron geſaget werde, daß
“dieſes Wunder wirklich vorgegangen ſey:
“ſo verleugne er ſeine Vernunft, und neh-
“me das Wunderwerk an. Denn,„ ſetzte
er hinzu, “Gott kann alles thun, was ihm
“beliebet.„
⁸ ſiebenzig] Aus den Lebensjahren Or-
chans koͤnnen wir die Jahre ſeiner Regierung
herausbringen. Denn, wenn er in dem fuͤnf
und dreyßigſten Jahre ſeines Alters ſeinem
Vater Osman in der Regierung nachgefolget,
und in ſeinem ſiebenzigſten Jahre geſtorben
iſt: ſo iſt es klar, daß er fuͤnf und dreyßig
Jahre regieret haben muͤſſe. Daher glaube
ich,
Orchans Tod
und Eigenſchaf-
ten.
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