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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Truppen zusammen ziehen, noch auf einige andere Weise dem unerwarteten
Feinde Widerstand thun kann: so greifet er zu dem einzigen Mittel, das ihm
in seinem verzweifelten Zustande übrig ist, und will sein Leben mit der Flucht
retten, und den griechischen Kaiser zu Constantinopel um Hülfe anrufen. Es
scheinet auch, daß er auf diese Weise dem Schwerte des Feindes bereits ent-
ronnen und außer Gefahr gesetzet sey, indem er schon zwanzig Meilen Weges
voraus gewonnen hat, ehe man ihm nachsetzet. Da ihn nun das Glück gerne
gerettet hätte: so liefern ihn seine geliebten Laster dem Untergange. Denn
indem er um seine Sachen ganz unbekümmert ist, seiner Gewohnheit nach sich
in iedem Wirthshause vollsäuft, und bey seinen Gläsern die Macht seines Bru-
ders verachtet: so wird er in einem gewissen Dorfe 12, zwischen Constantinopel
und Adrianopel, im Bade gefangen und von Musas Soldaten 13 einem umge-
bracht. Der Leichnam desselben wurde zu seinem Bruder hingeführet; und
ungeachtet dieser über seines Mitbuhlers Tode froh war: so befahl er dennoch,
ihn in dem Grabe seines Großvaters Murads, mit dem Zunamen Chudawen-
digjar, beyzusetzen.

11.

Sülejman stund den türkischen Sachen sieben Jahre und zehen Mo-Seine Eigen-
schaften.

nate lang vor. Er war ein junger Herr, der alle die übrigen sowol an guten,
als an schlimmen Eigenschaften übertraf. Ein tapferer und ungemein glückli-
cher Soldat, von unüberwindlicher Standhaftigkeit, und ein höchst gnädiger
und großmüthiger Fürst. Im Gegentheile, wann er nachließ und sich einbil-
dete, er hätte nichts zu befürchten: so verfiel er in das Laster, und versank
gänzlich in die Wollust; durch welche Aufführung er nicht allein veranlassete,
daß ihn seine beständige Gefährtinn, das Glück, verließ, sondern auch die
sonst tiefgewurzelte Gewogenheit seiner Truppen und vornehmen Bedienten
verscherzte, und dieselbe Musa zuwendete. Dieses war die Ursache, daß er bey
seinen glücklichen Umständen unversehens Leben und guten Namen zugleich ver-
[Spaltenumbruch]

Constantinopel, und eben so weit von Adria-
nopel.
13 Soldaten] Einige von den christli-
chen Schriftstellern erzählen, Sülejman, oder,
wie sie ihn nennen, Cyricelebi, sey aus der
Welt gegangen, als er sich eben auf einen
Feldzug gegen den Despot in Servien gerüstet
habe. Es scheinet aber, daß sie ihn mit sei-
[Spaltenumbruch]
nem Bruder Musa vermengen, der gegen den
König in Ungarn, Siegmund, und gegen die
Servier Krieg führete. Wir halten also da-
für, die türkischen Nachrichten kommen der
Wahrheit am nächsten.
14 Laster] Die Türken wissen von nicht
mehr als fünf ihrer Kaiser, die merklich
den Lastern ergeben gewesen seyen: nämlich

lor,
M

unter Suͤlejman
Truppen zuſammen ziehen, noch auf einige andere Weiſe dem unerwarteten
Feinde Widerſtand thun kann: ſo greifet er zu dem einzigen Mittel, das ihm
in ſeinem verzweifelten Zuſtande uͤbrig iſt, und will ſein Leben mit der Flucht
retten, und den griechiſchen Kaiſer zu Conſtantinopel um Huͤlfe anrufen. Es
ſcheinet auch, daß er auf dieſe Weiſe dem Schwerte des Feindes bereits ent-
ronnen und außer Gefahr geſetzet ſey, indem er ſchon zwanzig Meilen Weges
voraus gewonnen hat, ehe man ihm nachſetzet. Da ihn nun das Gluͤck gerne
gerettet haͤtte: ſo liefern ihn ſeine geliebten Laſter dem Untergange. Denn
indem er um ſeine Sachen ganz unbekuͤmmert iſt, ſeiner Gewohnheit nach ſich
in iedem Wirthshauſe vollſaͤuft, und bey ſeinen Glaͤſern die Macht ſeines Bru-
ders verachtet: ſo wird er in einem gewiſſen Dorfe 12, zwiſchen Conſtantinopel
und Adrianopel, im Bade gefangen und von Muſas Soldaten 13 einem umge-
bracht. Der Leichnam deſſelben wurde zu ſeinem Bruder hingefuͤhret; und
ungeachtet dieſer uͤber ſeines Mitbuhlers Tode froh war: ſo befahl er dennoch,
ihn in dem Grabe ſeines Großvaters Murads, mit dem Zunamen Chudawen-
digjar, beyzuſetzen.

11.

Suͤlejman ſtund den tuͤrkiſchen Sachen ſieben Jahre und zehen Mo-Seine Eigen-
ſchaften.

nate lang vor. Er war ein junger Herr, der alle die uͤbrigen ſowol an guten,
als an ſchlimmen Eigenſchaften uͤbertraf. Ein tapferer und ungemein gluͤckli-
cher Soldat, von unuͤberwindlicher Standhaftigkeit, und ein hoͤchſt gnaͤdiger
und großmuͤthiger Fuͤrſt. Im Gegentheile, wann er nachließ und ſich einbil-
dete, er haͤtte nichts zu befuͤrchten: ſo verfiel er in das Laſter, und verſank
gaͤnzlich in die Wolluſt; durch welche Auffuͤhrung er nicht allein veranlaſſete,
daß ihn ſeine beſtaͤndige Gefaͤhrtinn, das Gluͤck, verließ, ſondern auch die
ſonſt tiefgewurzelte Gewogenheit ſeiner Truppen und vornehmen Bedienten
verſcherzte, und dieſelbe Muſa zuwendete. Dieſes war die Urſache, daß er bey
ſeinen gluͤcklichen Umſtaͤnden unverſehens Leben und guten Namen zugleich ver-
[Spaltenumbruch]

Conſtantinopel, und eben ſo weit von Adria-
nopel.
13 Soldaten] Einige von den chriſtli-
chen Schriftſtellern erzaͤhlen, Suͤlejman, oder,
wie ſie ihn nennen, Cyricelebi, ſey aus der
Welt gegangen, als er ſich eben auf einen
Feldzug gegen den Deſpot in Servien geruͤſtet
habe. Es ſcheinet aber, daß ſie ihn mit ſei-
[Spaltenumbruch]
nem Bruder Muſa vermengen, der gegen den
Koͤnig in Ungarn, Siegmund, und gegen die
Servier Krieg fuͤhrete. Wir halten alſo da-
fuͤr, die tuͤrkiſchen Nachrichten kommen der
Wahrheit am naͤchſten.
14 Laſter] Die Tuͤrken wiſſen von nicht
mehr als fuͤnf ihrer Kaiſer, die merklich
den Laſtern ergeben geweſen ſeyen: naͤmlich

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[89/0167] unter Suͤlejman Truppen zuſammen ziehen, noch auf einige andere Weiſe dem unerwarteten Feinde Widerſtand thun kann: ſo greifet er zu dem einzigen Mittel, das ihm in ſeinem verzweifelten Zuſtande uͤbrig iſt, und will ſein Leben mit der Flucht retten, und den griechiſchen Kaiſer zu Conſtantinopel um Huͤlfe anrufen. Es ſcheinet auch, daß er auf dieſe Weiſe dem Schwerte des Feindes bereits ent- ronnen und außer Gefahr geſetzet ſey, indem er ſchon zwanzig Meilen Weges voraus gewonnen hat, ehe man ihm nachſetzet. Da ihn nun das Gluͤck gerne gerettet haͤtte: ſo liefern ihn ſeine geliebten Laſter dem Untergange. Denn indem er um ſeine Sachen ganz unbekuͤmmert iſt, ſeiner Gewohnheit nach ſich in iedem Wirthshauſe vollſaͤuft, und bey ſeinen Glaͤſern die Macht ſeines Bru- ders verachtet: ſo wird er in einem gewiſſen Dorfe ¹² , zwiſchen Conſtantinopel und Adrianopel, im Bade gefangen und von Muſas Soldaten ¹³ einem umge- bracht. Der Leichnam deſſelben wurde zu ſeinem Bruder hingefuͤhret; und ungeachtet dieſer uͤber ſeines Mitbuhlers Tode froh war: ſo befahl er dennoch, ihn in dem Grabe ſeines Großvaters Murads, mit dem Zunamen Chudawen- digjar, beyzuſetzen. 11. Suͤlejman ſtund den tuͤrkiſchen Sachen ſieben Jahre und zehen Mo- nate lang vor. Er war ein junger Herr, der alle die uͤbrigen ſowol an guten, als an ſchlimmen Eigenſchaften uͤbertraf. Ein tapferer und ungemein gluͤckli- cher Soldat, von unuͤberwindlicher Standhaftigkeit, und ein hoͤchſt gnaͤdiger und großmuͤthiger Fuͤrſt. Im Gegentheile, wann er nachließ und ſich einbil- dete, er haͤtte nichts zu befuͤrchten: ſo verfiel er in das Laſter, und verſank gaͤnzlich in die Wolluſt; durch welche Auffuͤhrung er nicht allein veranlaſſete, daß ihn ſeine beſtaͤndige Gefaͤhrtinn, das Gluͤck, verließ, ſondern auch die ſonſt tiefgewurzelte Gewogenheit ſeiner Truppen und vornehmen Bedienten verſcherzte, und dieſelbe Muſa zuwendete. Dieſes war die Urſache, daß er bey ſeinen gluͤcklichen Umſtaͤnden unverſehens Leben und guten Namen zugleich ver- lor, Conſtantinopel, und eben ſo weit von Adria- nopel. ¹³ Soldaten] Einige von den chriſtli- chen Schriftſtellern erzaͤhlen, Suͤlejman, oder, wie ſie ihn nennen, Cyricelebi, ſey aus der Welt gegangen, als er ſich eben auf einen Feldzug gegen den Deſpot in Servien geruͤſtet habe. Es ſcheinet aber, daß ſie ihn mit ſei- nem Bruder Muſa vermengen, der gegen den Koͤnig in Ungarn, Siegmund, und gegen die Servier Krieg fuͤhrete. Wir halten alſo da- fuͤr, die tuͤrkiſchen Nachrichten kommen der Wahrheit am naͤchſten. ¹⁴ Laſter] Die Tuͤrken wiſſen von nicht mehr als fuͤnf ihrer Kaiſer, die merklich den Laſtern ergeben geweſen ſeyen: naͤmlich die Seine Eigen- ſchaften. M

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/167>, abgerufen am 26.11.2024.