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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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unter Musa
12.

Weil nun Musa Tschelebi sich von seinen eigenen Leuten verlassenüberwindet sei-
nen Bruder und
bekommt ihn ge-
fangen.

und von allem guten Rathe und Kräften entblößet siehet: so fället ihm ein, sich
wieder in seine alte Freystätte, Servien, zu begeben. Er ist aber kaum mit
einigen wenigen Begleitern vor die Vorstadt hinaus gekommen: so wird er von
Muhämmed, der mit einer Anzahl auserlesener Soldaten dahin gekommen war,
überfallen. Die Verzweifelung machet ihn hier beherzt, weil er siehet, daß er
entweder siegen oder sterben muß: daher stellet er seine Leute in Schlachtord-
nung und ficht mit großem Muthe. Die Tapferkeit aber muß doch endlich der
Menge weichen; und da er gewahr wird, daß seine Leute überwunden und zer-
streuet sind: so ergreifet er gleichfals die Flucht, in der Absicht, sein Vorhaben
zu verfolgen. Allein, nicht weit von der Stadt wird er von einem Reiter,
von der Schar Seradsche 12 genennet, eingeholet und lebendig vor seinen Bru-
[Spaltenumbruch]

hurtigen Schritten zu gehen. Denn ein
langsamer Schritt zeiget etwas majestätisches
an, das in einer so hohen Gegenwart, wie
man glaubet, allzu hochmüthig herauskom-
men würde.
12 Seradsche] Dieses war die erste
und älteste Schar oder Legion zu Pferde, bey
den Arabern und Türken, von der das Wort
Saracen durch eine verderbte Aussprache
scheinet entstanden zu seyn. Denn von einem
arabischen Volke dieses Namens geschiehet in
ihren Jahrbüchern keine Meldung: so hat
auch das Wort Saracen weder in der arabi-
schen, persischen noch türkischen Sprache die
geringste Bedeutung*. An die Stelle der
Seradsche sind die Sipahi gekommen, gleich-
wie auf die Segjban oder alten Fußvölker die
Jeng-itscheri gefolget sind. Auch noch heu-
tiges Tages heißen die Fußvölker unter den
Paschen Segjban, und die von der Reiterey
Seradsche. Es stammet aber dieses Wort
aus dem persischen Serendscham her, und
[Spaltenumbruch]
bedeutet einen, der der Gefahr ausgesetzet
ist, oder über dessen Haupte Gefahr schwebet:
denn es ist zusammengesetzet von Ser, der
Kopf, und Endscham, Gefahr oder ein un-
glücklicher Zufall. Als wenn man saget:
Baschüme gjelen Serendscham; eine Gefahr
oder unglücklicher Erfolg, der mir über dem
Haupte schwebet. Es ist auch bis auf den
heutigen Tag noch eine andere Gattung
Mannschaft unter den türkischen Truppen,
Serden gjetschti oder die verlorne Hoffnung2*
genennet, von deren Errichtung weiter unten
wird geredet werden. Segjban ist ebenfals
ein persisches Wort, und bedeutet einen Hun-
dewärter: denn Segj ist in der persischen
Sprache ein Hund, und Ban, ein Hüter,
Wärter. So heißet Baguban, ein Wein-
bergshüter, Ruhban, ein Beobachter guter
Wege3*, welchen Namen sie den griechischen
Mönchen beylegen: als Ruhban Ssahidüß-
ßahid Perest; ein abergläubischer (oder der
Enthaltung ergebener) Mönch, und Anhän-
ger des Aberglaubens.

der
* [Einige leiten dieses Wort her von Schärk, das in der arabischen Sprache Osten bedeutet.]
2* Eigentlich einer, der seinen Kopf nicht achtet, oder ein Waghals.
3* Ein Bewahrer
der Seele.
N
unter Muſa
12.

Weil nun Muſa Tſchelebi ſich von ſeinen eigenen Leuten verlaſſenuͤberwindet ſei-
nen Bruder und
bekommt ihn ge-
fangen.

und von allem guten Rathe und Kraͤften entbloͤßet ſiehet: ſo faͤllet ihm ein, ſich
wieder in ſeine alte Freyſtaͤtte, Servien, zu begeben. Er iſt aber kaum mit
einigen wenigen Begleitern vor die Vorſtadt hinaus gekommen: ſo wird er von
Muhaͤmmed, der mit einer Anzahl auserleſener Soldaten dahin gekommen war,
uͤberfallen. Die Verzweifelung machet ihn hier beherzt, weil er ſiehet, daß er
entweder ſiegen oder ſterben muß: daher ſtellet er ſeine Leute in Schlachtord-
nung und ficht mit großem Muthe. Die Tapferkeit aber muß doch endlich der
Menge weichen; und da er gewahr wird, daß ſeine Leute uͤberwunden und zer-
ſtreuet ſind: ſo ergreifet er gleichfals die Flucht, in der Abſicht, ſein Vorhaben
zu verfolgen. Allein, nicht weit von der Stadt wird er von einem Reiter,
von der Schar Seradſche 12 genennet, eingeholet und lebendig vor ſeinen Bru-
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hurtigen Schritten zu gehen. Denn ein
langſamer Schritt zeiget etwas majeſtaͤtiſches
an, das in einer ſo hohen Gegenwart, wie
man glaubet, allzu hochmuͤthig herauskom-
men wuͤrde.
12 Seradſche] Dieſes war die erſte
und aͤlteſte Schar oder Legion zu Pferde, bey
den Arabern und Tuͤrken, von der das Wort
Saracen durch eine verderbte Ausſprache
ſcheinet entſtanden zu ſeyn. Denn von einem
arabiſchen Volke dieſes Namens geſchiehet in
ihren Jahrbuͤchern keine Meldung: ſo hat
auch das Wort Saracen weder in der arabi-
ſchen, perſiſchen noch tuͤrkiſchen Sprache die
geringſte Bedeutung*. An die Stelle der
Seradſche ſind die Sipahi gekommen, gleich-
wie auf die Segjban oder alten Fußvoͤlker die
Jeng-itſcheri gefolget ſind. Auch noch heu-
tiges Tages heißen die Fußvoͤlker unter den
Paſchen Segjban, und die von der Reiterey
Seradſche. Es ſtammet aber dieſes Wort
aus dem perſiſchen Serendſcham her, und
[Spaltenumbruch]
bedeutet einen, der der Gefahr ausgeſetzet
iſt, oder uͤber deſſen Haupte Gefahr ſchwebet:
denn es iſt zuſammengeſetzet von Ser, der
Kopf, und Endſcham, Gefahr oder ein un-
gluͤcklicher Zufall. Als wenn man ſaget:
Baſchuͤme gjelen Serendſcham; eine Gefahr
oder ungluͤcklicher Erfolg, der mir uͤber dem
Haupte ſchwebet. Es iſt auch bis auf den
heutigen Tag noch eine andere Gattung
Mannſchaft unter den tuͤrkiſchen Truppen,
Serden gjetſchti oder die verlorne Hoffnung2*
genennet, von deren Errichtung weiter unten
wird geredet werden. Segjban iſt ebenfals
ein perſiſches Wort, und bedeutet einen Hun-
dewaͤrter: denn Segj iſt in der perſiſchen
Sprache ein Hund, und Ban, ein Huͤter,
Waͤrter. So heißet Baguban, ein Wein-
bergshuͤter, Ruhban, ein Beobachter guter
Wege3*, welchen Namen ſie den griechiſchen
Moͤnchen beylegen: als Ruhban Sſahiduͤß-
ßahid Pereſt; ein aberglaͤubiſcher (oder der
Enthaltung ergebener) Moͤnch, und Anhaͤn-
ger des Aberglaubens.

der
* [Einige leiten dieſes Wort her von Schaͤrk, das in der arabiſchen Sprache Oſten bedeutet.]
2* Eigentlich einer, der ſeinen Kopf nicht achtet, oder ein Waghals.
3* Ein Bewahrer
der Seele.
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[97/0175] unter Muſa 12. Weil nun Muſa Tſchelebi ſich von ſeinen eigenen Leuten verlaſſen und von allem guten Rathe und Kraͤften entbloͤßet ſiehet: ſo faͤllet ihm ein, ſich wieder in ſeine alte Freyſtaͤtte, Servien, zu begeben. Er iſt aber kaum mit einigen wenigen Begleitern vor die Vorſtadt hinaus gekommen: ſo wird er von Muhaͤmmed, der mit einer Anzahl auserleſener Soldaten dahin gekommen war, uͤberfallen. Die Verzweifelung machet ihn hier beherzt, weil er ſiehet, daß er entweder ſiegen oder ſterben muß: daher ſtellet er ſeine Leute in Schlachtord- nung und ficht mit großem Muthe. Die Tapferkeit aber muß doch endlich der Menge weichen; und da er gewahr wird, daß ſeine Leute uͤberwunden und zer- ſtreuet ſind: ſo ergreifet er gleichfals die Flucht, in der Abſicht, ſein Vorhaben zu verfolgen. Allein, nicht weit von der Stadt wird er von einem Reiter, von der Schar Seradſche ¹² genennet, eingeholet und lebendig vor ſeinen Bru- der hurtigen Schritten zu gehen. Denn ein langſamer Schritt zeiget etwas majeſtaͤtiſches an, das in einer ſo hohen Gegenwart, wie man glaubet, allzu hochmuͤthig herauskom- men wuͤrde. ¹² Seradſche] Dieſes war die erſte und aͤlteſte Schar oder Legion zu Pferde, bey den Arabern und Tuͤrken, von der das Wort Saracen durch eine verderbte Ausſprache ſcheinet entſtanden zu ſeyn. Denn von einem arabiſchen Volke dieſes Namens geſchiehet in ihren Jahrbuͤchern keine Meldung: ſo hat auch das Wort Saracen weder in der arabi- ſchen, perſiſchen noch tuͤrkiſchen Sprache die geringſte Bedeutung *. An die Stelle der Seradſche ſind die Sipahi gekommen, gleich- wie auf die Segjban oder alten Fußvoͤlker die Jeng-itſcheri gefolget ſind. Auch noch heu- tiges Tages heißen die Fußvoͤlker unter den Paſchen Segjban, und die von der Reiterey Seradſche. Es ſtammet aber dieſes Wort aus dem perſiſchen Serendſcham her, und bedeutet einen, der der Gefahr ausgeſetzet iſt, oder uͤber deſſen Haupte Gefahr ſchwebet: denn es iſt zuſammengeſetzet von Ser, der Kopf, und Endſcham, Gefahr oder ein un- gluͤcklicher Zufall. Als wenn man ſaget: Baſchuͤme gjelen Serendſcham; eine Gefahr oder ungluͤcklicher Erfolg, der mir uͤber dem Haupte ſchwebet. Es iſt auch bis auf den heutigen Tag noch eine andere Gattung Mannſchaft unter den tuͤrkiſchen Truppen, Serden gjetſchti oder die verlorne Hoffnung 2* genennet, von deren Errichtung weiter unten wird geredet werden. Segjban iſt ebenfals ein perſiſches Wort, und bedeutet einen Hun- dewaͤrter: denn Segj iſt in der perſiſchen Sprache ein Hund, und Ban, ein Huͤter, Waͤrter. So heißet Baguban, ein Wein- bergshuͤter, Ruhban, ein Beobachter guter Wege 3*, welchen Namen ſie den griechiſchen Moͤnchen beylegen: als Ruhban Sſahiduͤß- ßahid Pereſt; ein aberglaͤubiſcher (oder der Enthaltung ergebener) Moͤnch, und Anhaͤn- ger des Aberglaubens. uͤberwindet ſei- nen Bruder und bekommt ihn ge- fangen. * [Einige leiten dieſes Wort her von Schaͤrk, das in der arabiſchen Sprache Oſten bedeutet.] 2* Eigentlich einer, der ſeinen Kopf nicht achtet, oder ein Waghals. 3* Ein Bewahrer der Seele. N

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/175>, abgerufen am 26.11.2024.