Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.Osmanische Geschichte als derselbe eine unvermuthete Botschaft von dem Weßire bekam, mit der Nach-richt, daß sein Vater todt sey und ihn zum Nachfolger verordnet habe. Er er- hielte auch zugleich ein Schreiben, das von dem Weßire und den übrigen Gro- ßen unterzeichnet war, darinnen diese ihn ermahneten, zu kommen und von dem Throne Besitz zu nehmen, seine vorgehabte Wallfahrt aber Leuten von niedri- gerer Geburt und mehrerer Muße zu überlassen: indem es weit mehr zur Auf- nahme der muhämmedischen Religion gereichen werde, wenn er durch seine Tap- ferkeit und Rathschläge verhinderte, daß die Feinde derselben nicht neuen Muth und neue Kräfte bekämen. gierung seinemSohne Korkud. 2. Diese Botschaft machte Bajeßid zweifelhaft und bestürzt, so daß er und bequem durch die wüsten und dürren Oer- ter reisen können: so giebt der Sultan ge- meiniglich dem Pascha zu Damaskus Befehl, dieselben mit Soldaten und Wasserträgern zu begleiten, und Sorge zu tragen, daß ihre Anzahl niemals unter vierzehen tausend seyn möge. 3 Sünnet] Die Türken theilen die Ge- bote ihres Gesetzes in zwo Gattungen ein: nämlich Sünnet, deren Beobachtung bey ge- wissen Gelegenheiten einem kann erlassen wer- den; und Färß, die zur Seligkeit unumgäng- lich nöthig sind. Zu Färß gehören, wie sie sagen, Sälewat, das ist, die Bekenntniß des [Spaltenumbruch] Glaubens, die von einem Menschen, der nur den Gebrauch seiner Zunge hat, niemals kann verabsäumet oder unterlassen werden, ohne die Seligkeit selbst zu verscherzen: ferner Sse- kjat, oder die jährliche Austheilung des funf- zigsten* Theils ihres Vermögens unter die Armen, und dergleichen. Insbesondere nen- nen sie Sünnet, die Beschneidung, und Sün- net Dügjüni, die Feierlichkeiten bey der Be- schneidung: in welche Ordnung auch noch andere Kirchengebräuche gehören, die zu unter- lassen zwar eine Sünde, aber nur eine erläß- liche Sünde ist. In dringender Noth ach- ten sie die Unterlassung derselben ganz und gar für keine Sünde. Daher beschneiden sie guten * Dieses gebotene Almosen beträget den vierzigsten Theil des Vermögens, oder zwey und ein Halbes vom
Hundert. Man sehe Marracci vorläufige Abhandlung vor seiner Ausgabe des Kurons, 4 Th. 20 S. Sale's vorläufige Abhandlung vor der englischen Uebersetzung desselben, 110 S. Osmaniſche Geſchichte als derſelbe eine unvermuthete Botſchaft von dem Weßire bekam, mit der Nach-richt, daß ſein Vater todt ſey und ihn zum Nachfolger verordnet habe. Er er- hielte auch zugleich ein Schreiben, das von dem Weßire und den uͤbrigen Gro- ßen unterzeichnet war, darinnen dieſe ihn ermahneten, zu kommen und von dem Throne Beſitz zu nehmen, ſeine vorgehabte Wallfahrt aber Leuten von niedri- gerer Geburt und mehrerer Muße zu uͤberlaſſen: indem es weit mehr zur Auf- nahme der muhaͤmmediſchen Religion gereichen werde, wenn er durch ſeine Tap- ferkeit und Rathſchlaͤge verhinderte, daß die Feinde derſelben nicht neuen Muth und neue Kraͤfte bekaͤmen. gierung ſeinemSohne Korkud. 2. Dieſe Botſchaft machte Bajeßid zweifelhaft und beſtuͤrzt, ſo daß er und bequem durch die wuͤſten und duͤrren Oer- ter reiſen koͤnnen: ſo giebt der Sultan ge- meiniglich dem Paſcha zu Damaskus Befehl, dieſelben mit Soldaten und Waſſertraͤgern zu begleiten, und Sorge zu tragen, daß ihre Anzahl niemals unter vierzehen tauſend ſeyn moͤge. 3 Suͤnnet] Die Tuͤrken theilen die Ge- bote ihres Geſetzes in zwo Gattungen ein: naͤmlich Suͤnnet, deren Beobachtung bey ge- wiſſen Gelegenheiten einem kann erlaſſen wer- den; und Faͤrß, die zur Seligkeit unumgaͤng- lich noͤthig ſind. Zu Faͤrß gehoͤren, wie ſie ſagen, Saͤlewat, das iſt, die Bekenntniß des [Spaltenumbruch] Glaubens, die von einem Menſchen, der nur den Gebrauch ſeiner Zunge hat, niemals kann verabſaͤumet oder unterlaſſen werden, ohne die Seligkeit ſelbſt zu verſcherzen: ferner Sſe- kjat, oder die jaͤhrliche Austheilung des funf- zigſten* Theils ihres Vermoͤgens unter die Armen, und dergleichen. Insbeſondere nen- nen ſie Suͤnnet, die Beſchneidung, und Suͤn- net Duͤgjuͤni, die Feierlichkeiten bey der Be- ſchneidung: in welche Ordnung auch noch andere Kirchengebraͤuche gehoͤren, die zu unter- laſſen zwar eine Suͤnde, aber nur eine erlaͤß- liche Suͤnde iſt. In dringender Noth ach- ten ſie die Unterlaſſung derſelben ganz und gar fuͤr keine Suͤnde. Daher beſchneiden ſie guten * Dieſes gebotene Almoſen betraͤget den vierzigſten Theil des Vermoͤgens, oder zwey und ein Halbes vom
Hundert. Man ſehe Marracci vorlaͤufige Abhandlung vor ſeiner Ausgabe des Kurons, 4 Th. 20 S. Sale's vorlaͤufige Abhandlung vor der engliſchen Ueberſetzung deſſelben, 110 S. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0258" n="172"/><fw place="top" type="header">Osmaniſche Geſchichte</fw><lb/> als derſelbe eine unvermuthete Botſchaft von dem Weßire bekam, mit der Nach-<lb/> richt, daß ſein Vater todt ſey und ihn zum Nachfolger verordnet habe. Er er-<lb/> hielte auch zugleich ein Schreiben, das von dem Weßire und den uͤbrigen Gro-<lb/> ßen unterzeichnet war, darinnen dieſe ihn ermahneten, zu kommen und von dem<lb/> Throne Beſitz zu nehmen, ſeine vorgehabte Wallfahrt aber Leuten von niedri-<lb/> gerer Geburt und mehrerer Muße zu uͤberlaſſen: indem es weit mehr zur Auf-<lb/> nahme der muhaͤmmediſchen Religion gereichen werde, wenn er durch ſeine Tap-<lb/> ferkeit und Rathſchlaͤge verhinderte, daß die Feinde derſelben nicht neuen Muth<lb/> und neue Kraͤfte bekaͤmen.</p><lb/> <note place="left">uͤbergiebt die Re-<lb/> gierung ſeinemSohne Korkud.</note> </div><lb/> <div n="3"> <head>2.</head> <p>Dieſe Botſchaft machte Bajeßid zweifelhaft und beſtuͤrzt, ſo daß er<lb/> nicht wußte, was er bey ſolchen Umſtaͤnden zuerſt vornehmen ſollte. Seine<lb/> Gottſeligkeit erinnerte ihn, ſein Geluͤbde zu erfuͤllen: und doch ſchiene es gefaͤhr-<lb/> lich zu ſeyn, den Thron ſo lange ledig ſtehen zu laſſen. Endlich gewann die Re-<lb/> ligion die Oberhand uͤber die Sorge fuͤr die Wohlfahrt des Stats, und das<lb/> Gluͤck gab Gelegenheit an die Hand, beydes beyzubehalten. Er hatte einen<lb/> Sohn, Namens Korkud, von ſolchem leutſeligen und ſittſamen Weſen, daß er<lb/> nicht allein alle andere von ſeinem Alter, ſondern auch aͤltere hierinnen uͤbertraf.<lb/> Sein Großvater Muhaͤmmed hatte vor zweyen Jahren nach ihm geſchicket, um<lb/> die Feierlichkeit der Suͤnnet <note place="end" n="3"/> an ihm verrichten zu laſſen, und war durch ſeine<lb/> <fw place="bottom" type="catch">guten</fw><lb/><cb n="1"/><lb/><note xml:id="V258" prev="#V257" place="end">und bequem durch die wuͤſten und duͤrren Oer-<lb/> ter reiſen koͤnnen: ſo giebt der Sultan ge-<lb/> meiniglich dem Paſcha zu Damaskus Befehl,<lb/> dieſelben mit Soldaten und Waſſertraͤgern zu<lb/> begleiten, und Sorge zu tragen, daß ihre<lb/> Anzahl niemals unter vierzehen tauſend ſeyn<lb/> moͤge.</note><lb/><note xml:id="W258" next="#W259" place="end" n="3">Suͤnnet] Die Tuͤrken theilen die Ge-<lb/> bote ihres Geſetzes in zwo Gattungen ein:<lb/> naͤmlich Suͤnnet, deren Beobachtung bey ge-<lb/> wiſſen Gelegenheiten einem kann erlaſſen wer-<lb/> den; und Faͤrß, die zur Seligkeit unumgaͤng-<lb/> lich noͤthig ſind. Zu Faͤrß gehoͤren, wie ſie<lb/> ſagen, Saͤlewat, das iſt, die Bekenntniß des<lb/><cb n="2"/><lb/> Glaubens, die von einem Menſchen, der nur<lb/> den Gebrauch ſeiner Zunge hat, niemals kann<lb/> verabſaͤumet oder unterlaſſen werden, ohne<lb/> die Seligkeit ſelbſt zu verſcherzen: ferner Sſe-<lb/> kjat, oder die jaͤhrliche Austheilung des funf-<lb/> zigſten<note place="foot" n="*">Dieſes gebotene Almoſen betraͤget den vierzigſten Theil des Vermoͤgens, oder zwey und ein Halbes vom<lb/> Hundert. Man ſehe Marracci vorlaͤufige Abhandlung vor ſeiner Ausgabe des Kurons, 4 Th. 20 S.<lb/> Sale's vorlaͤufige Abhandlung vor der engliſchen Ueberſetzung deſſelben, 110 S.</note> Theils ihres Vermoͤgens unter die<lb/> Armen, und dergleichen. Insbeſondere nen-<lb/> nen ſie Suͤnnet, die Beſchneidung, und Suͤn-<lb/> net Duͤgjuͤni, die Feierlichkeiten bey der Be-<lb/> ſchneidung: in welche Ordnung auch noch<lb/> andere Kirchengebraͤuche gehoͤren, die zu unter-<lb/> laſſen zwar eine Suͤnde, aber nur eine erlaͤß-<lb/> liche Suͤnde iſt. In dringender Noth ach-<lb/> ten ſie die Unterlaſſung derſelben ganz und<lb/> gar fuͤr keine Suͤnde. Daher beſchneiden ſie<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ihre</fw></note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [172/0258]
Osmaniſche Geſchichte
als derſelbe eine unvermuthete Botſchaft von dem Weßire bekam, mit der Nach-
richt, daß ſein Vater todt ſey und ihn zum Nachfolger verordnet habe. Er er-
hielte auch zugleich ein Schreiben, das von dem Weßire und den uͤbrigen Gro-
ßen unterzeichnet war, darinnen dieſe ihn ermahneten, zu kommen und von dem
Throne Beſitz zu nehmen, ſeine vorgehabte Wallfahrt aber Leuten von niedri-
gerer Geburt und mehrerer Muße zu uͤberlaſſen: indem es weit mehr zur Auf-
nahme der muhaͤmmediſchen Religion gereichen werde, wenn er durch ſeine Tap-
ferkeit und Rathſchlaͤge verhinderte, daß die Feinde derſelben nicht neuen Muth
und neue Kraͤfte bekaͤmen.
2. Dieſe Botſchaft machte Bajeßid zweifelhaft und beſtuͤrzt, ſo daß er
nicht wußte, was er bey ſolchen Umſtaͤnden zuerſt vornehmen ſollte. Seine
Gottſeligkeit erinnerte ihn, ſein Geluͤbde zu erfuͤllen: und doch ſchiene es gefaͤhr-
lich zu ſeyn, den Thron ſo lange ledig ſtehen zu laſſen. Endlich gewann die Re-
ligion die Oberhand uͤber die Sorge fuͤr die Wohlfahrt des Stats, und das
Gluͤck gab Gelegenheit an die Hand, beydes beyzubehalten. Er hatte einen
Sohn, Namens Korkud, von ſolchem leutſeligen und ſittſamen Weſen, daß er
nicht allein alle andere von ſeinem Alter, ſondern auch aͤltere hierinnen uͤbertraf.
Sein Großvater Muhaͤmmed hatte vor zweyen Jahren nach ihm geſchicket, um
die Feierlichkeit der Suͤnnet
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an ihm verrichten zu laſſen, und war durch ſeine
guten
und bequem durch die wuͤſten und duͤrren Oer-
ter reiſen koͤnnen: ſo giebt der Sultan ge-
meiniglich dem Paſcha zu Damaskus Befehl,
dieſelben mit Soldaten und Waſſertraͤgern zu
begleiten, und Sorge zu tragen, daß ihre
Anzahl niemals unter vierzehen tauſend ſeyn
moͤge.
³ Suͤnnet] Die Tuͤrken theilen die Ge-
bote ihres Geſetzes in zwo Gattungen ein:
naͤmlich Suͤnnet, deren Beobachtung bey ge-
wiſſen Gelegenheiten einem kann erlaſſen wer-
den; und Faͤrß, die zur Seligkeit unumgaͤng-
lich noͤthig ſind. Zu Faͤrß gehoͤren, wie ſie
ſagen, Saͤlewat, das iſt, die Bekenntniß des
Glaubens, die von einem Menſchen, der nur
den Gebrauch ſeiner Zunge hat, niemals kann
verabſaͤumet oder unterlaſſen werden, ohne
die Seligkeit ſelbſt zu verſcherzen: ferner Sſe-
kjat, oder die jaͤhrliche Austheilung des funf-
zigſten * Theils ihres Vermoͤgens unter die
Armen, und dergleichen. Insbeſondere nen-
nen ſie Suͤnnet, die Beſchneidung, und Suͤn-
net Duͤgjuͤni, die Feierlichkeiten bey der Be-
ſchneidung: in welche Ordnung auch noch
andere Kirchengebraͤuche gehoͤren, die zu unter-
laſſen zwar eine Suͤnde, aber nur eine erlaͤß-
liche Suͤnde iſt. In dringender Noth ach-
ten ſie die Unterlaſſung derſelben ganz und
gar fuͤr keine Suͤnde. Daher beſchneiden ſie
ihre
* Dieſes gebotene Almoſen betraͤget den vierzigſten Theil des Vermoͤgens, oder zwey und ein Halbes vom
Hundert. Man ſehe Marracci vorlaͤufige Abhandlung vor ſeiner Ausgabe des Kurons, 4 Th. 20 S.
Sale's vorlaͤufige Abhandlung vor der engliſchen Ueberſetzung deſſelben, 110 S.
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