Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.Osmanische Geschichte sänftigen möchten. Der einzige Aehmed, der die Gemüthsart seines Brudersdurchaus kennete, und gewiß wußte, daß er nirgends sicher seyn werde, so lange derselbe auf dem Throne säße; entschloß sich aus Verzweifelung, entweder seinen Bruder aus dem Wege zu räumen, oder in diesem Unternehmen selbst zu ster- ben. Er ließ daher alle Truppen in Amasia aufbieten, indem er sich mit der falschen Hoffnung schmeichelte, daß gewisse Großen, die Selim bloß dem Scheine nach zugethan waren, sich seiner Sache annehmen würden. Und weil er für das rathsamste hielte, in seines Bruders Länder einzufallen: so machte er An- stalt, nach Europa überzusetzen. 2. Aehmed hatte kaum diesen Entschluß gefasset: so war derselbe bereits gegen alle vier Gegenden der Welt aufschla- gen lassen, und Sorge getragen, daß alles in Bereitschaft gehalten wurde, was zum Feldzuge nöthig war. Als ihn hernach der Sultan gefraget; ob und in welcher Gegend die Anstalten zum Feldzuge gemacht wären: so habe er demselben geantwortet; es sey alles in Bereitschaft, er möchte ausrücken, welchen Weg er es für dienlich erachtete. Hierauf habe der Sultan versetzet: "Der "Tod der beyden erstern hat dem dritten "das Leben gerettet und mir einen guten "Weßir zuwege gebracht." Er allein un- ter so vielen türkischen Kaisern ließ seinen Bart abscheren, nachdem er zum Throne gelanget war: welches den Gesetzen des Kurons und der eingeführten Gewohnheit zuwider ist. [Spaltenumbruch] Denn den Söhnen der Kaiser ist in dem Ge- setze anbefohlen, ihre Bärte abzunehmen, ehe sie zu der Regierung gelangen: nachher aber dieselben wachsen zu lassen. Als Selim eins- mals deswegen von dem Müfti auf höfliche und scherzhafte Weise bestraft wurde: so gab er zur Antwort; er thäte es deswegen, da- mit sein Weßir an ihm nichts finden möchte, dabey er ihn herumführen könnte. Die Tür- ken berichten von ihm, er habe beständig ei- nen Kolben, Topuß genennet, bey sich ge- führet oder in der Hand getragen, davon die Gelegenheit diese gewesen seyn soll. Zu den Lebzeiten seines Vaters lieferten einige Land- schaften, die an Persien grenzen, diesem Rei- che, um Frieden zu erhalten, jährlich statt eines Tributs eine gewisse Anzahl von der Art Heer
Osmaniſche Geſchichte ſaͤnftigen moͤchten. Der einzige Aehmed, der die Gemuͤthsart ſeines Brudersdurchaus kennete, und gewiß wußte, daß er nirgends ſicher ſeyn werde, ſo lange derſelbe auf dem Throne ſaͤße; entſchloß ſich aus Verzweifelung, entweder ſeinen Bruder aus dem Wege zu raͤumen, oder in dieſem Unternehmen ſelbſt zu ſter- ben. Er ließ daher alle Truppen in Amaſia aufbieten, indem er ſich mit der falſchen Hoffnung ſchmeichelte, daß gewiſſe Großen, die Selim bloß dem Scheine nach zugethan waren, ſich ſeiner Sache annehmen wuͤrden. Und weil er fuͤr das rathſamſte hielte, in ſeines Bruders Laͤnder einzufallen: ſo machte er An- ſtalt, nach Europa uͤberzuſetzen. 2. Aehmed hatte kaum dieſen Entſchluß gefaſſet: ſo war derſelbe bereits gegen alle vier Gegenden der Welt aufſchla- gen laſſen, und Sorge getragen, daß alles in Bereitſchaft gehalten wurde, was zum Feldzuge noͤthig war. Als ihn hernach der Sultan gefraget; ob und in welcher Gegend die Anſtalten zum Feldzuge gemacht waͤren: ſo habe er demſelben geantwortet; es ſey alles in Bereitſchaft, er moͤchte ausruͤcken, welchen Weg er es fuͤr dienlich erachtete. Hierauf habe der Sultan verſetzet: “Der “Tod der beyden erſtern hat dem dritten “das Leben gerettet und mir einen guten “Weßir zuwege gebracht.„ Er allein un- ter ſo vielen tuͤrkiſchen Kaiſern ließ ſeinen Bart abſcheren, nachdem er zum Throne gelanget war: welches den Geſetzen des Kurons und der eingefuͤhrten Gewohnheit zuwider iſt. [Spaltenumbruch] Denn den Soͤhnen der Kaiſer iſt in dem Ge- ſetze anbefohlen, ihre Baͤrte abzunehmen, ehe ſie zu der Regierung gelangen: nachher aber dieſelben wachſen zu laſſen. Als Selim eins- mals deswegen von dem Muͤfti auf hoͤfliche und ſcherzhafte Weiſe beſtraft wurde: ſo gab er zur Antwort; er thaͤte es deswegen, da- mit ſein Weßir an ihm nichts finden moͤchte, dabey er ihn herumfuͤhren koͤnnte. Die Tuͤr- ken berichten von ihm, er habe beſtaͤndig ei- nen Kolben, Topuß genennet, bey ſich ge- fuͤhret oder in der Hand getragen, davon die Gelegenheit dieſe geweſen ſeyn ſoll. Zu den Lebzeiten ſeines Vaters lieferten einige Land- ſchaften, die an Perſien grenzen, dieſem Rei- che, um Frieden zu erhalten, jaͤhrlich ſtatt eines Tributs eine gewiſſe Anzahl von der Art Heer
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Osmaniſche Geſchichte
ſaͤnftigen moͤchten. Der einzige Aehmed, der die Gemuͤthsart ſeines Bruders
durchaus kennete, und gewiß wußte, daß er nirgends ſicher ſeyn werde, ſo lange
derſelbe auf dem Throne ſaͤße; entſchloß ſich aus Verzweifelung, entweder ſeinen
Bruder aus dem Wege zu raͤumen, oder in dieſem Unternehmen ſelbſt zu ſter-
ben. Er ließ daher alle Truppen in Amaſia aufbieten, indem er ſich mit der
falſchen Hoffnung ſchmeichelte, daß gewiſſe Großen, die Selim bloß dem Scheine
nach zugethan waren, ſich ſeiner Sache annehmen wuͤrden. Und weil er fuͤr
das rathſamſte hielte, in ſeines Bruders Laͤnder einzufallen: ſo machte er An-
ſtalt, nach Europa uͤberzuſetzen.
2. Aehmed hatte kaum dieſen Entſchluß gefaſſet: ſo war derſelbe bereits
ſeinem Bruder durch ſeine Kundſchafter entdecket worden, die er allenthal-
ben zum Ausſpaͤhen unterhielte. Damit er alſo dieſe Flamme daͤmpfen, und
ſeinen Bruder uͤberraſchen moͤchte, ehe derſelbe ſein ganzes Heer zuſammen ge-
bracht haͤtte: ſo ging er mit ſeinen Voͤlkern uͤber den conſtantinopeliſchen Kanal
nach Aſien. Ungeachtet nun Aehmed wohl merkte, daß ſein Vorhaben allzu-
fruͤhe verrathen ſey: dennoch, weil er ſahe, daß er entweder ſiegen oder ſterben
muͤſſe, ging derſelbe ſeinem Bruder bey Jeng-iſchehir beherzt entgegen, mit ſo
vielen Truppen, als er eben beyſammen hatte. Er ſtellete ſich auch ſogar vor-
an, und fochte in den voͤrderſten Gliedern tapfer, ſo daß er die getrenneten
Fluͤgel mehr als einmal wieder zuſammen brachte. Endlich aber wurde ſein
Heer
gegen alle vier Gegenden der Welt aufſchla-
gen laſſen, und Sorge getragen, daß alles
in Bereitſchaft gehalten wurde, was zum
Feldzuge noͤthig war. Als ihn hernach der
Sultan gefraget; ob und in welcher Gegend
die Anſtalten zum Feldzuge gemacht waͤren:
ſo habe er demſelben geantwortet; es ſey
alles in Bereitſchaft, er moͤchte ausruͤcken,
welchen Weg er es fuͤr dienlich erachtete.
Hierauf habe der Sultan verſetzet: “Der
“Tod der beyden erſtern hat dem dritten
“das Leben gerettet und mir einen guten
“Weßir zuwege gebracht.„ Er allein un-
ter ſo vielen tuͤrkiſchen Kaiſern ließ ſeinen Bart
abſcheren, nachdem er zum Throne gelanget
war: welches den Geſetzen des Kurons und
der eingefuͤhrten Gewohnheit zuwider iſt.
Denn den Soͤhnen der Kaiſer iſt in dem Ge-
ſetze anbefohlen, ihre Baͤrte abzunehmen, ehe
ſie zu der Regierung gelangen: nachher aber
dieſelben wachſen zu laſſen. Als Selim eins-
mals deswegen von dem Muͤfti auf hoͤfliche
und ſcherzhafte Weiſe beſtraft wurde: ſo gab
er zur Antwort; er thaͤte es deswegen, da-
mit ſein Weßir an ihm nichts finden moͤchte,
dabey er ihn herumfuͤhren koͤnnte. Die Tuͤr-
ken berichten von ihm, er habe beſtaͤndig ei-
nen Kolben, Topuß genennet, bey ſich ge-
fuͤhret oder in der Hand getragen, davon die
Gelegenheit dieſe geweſen ſeyn ſoll. Zu den
Lebzeiten ſeines Vaters lieferten einige Land-
ſchaften, die an Perſien grenzen, dieſem Rei-
che, um Frieden zu erhalten, jaͤhrlich ſtatt
eines Tributs eine gewiſſe Anzahl von der Art
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