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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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10. Sülejman der I
zug sehr schwer sollten gemacht haben, wenn sie nicht auf Zureden ihres Lands-
mannes, Ajas Paschas, sich dem Kaiser gutwillig unterworfen hätten. Nach-
dem Arnawd* solchergestalt ohne Blutvergießen bezwungen war: so hielte er
sich beynahe einen Monat lang daselbst auf, um die nöthigen Einrichtungen in dem
Lande zu machen, und ging hierauf nach gedachtem Eylande über, von dem er bereits
in Gedanken Meister war. Als er seine Völker an das Land gesetzet hatte: so ließ
[Spaltenumbruch]
von neun frischgelegten Eyern in die Wunde.
Weil nun dieses innerhalb einer bis zwoer
Stunden schäumete oder johre: so hielten sie
es für ein gutes Zeichen einer glücklichen Hei-
lung. Denn wenn nach dreyen Stunden
kein bläsiges Aufwallen oder Jährung erfol-
get: so achten sie es für tödtlich, weil man
hieraus vermuthen kann, die Schwachheit des
Kranken sey so groß, daß man ihm durch
Arzneyen unmöglich zu Hülfe kommen könne.
Wiewol ihnen von hunderten kaum einer oder
zween sterben, welches sie alsdann mehr der
Schwachheit oder dem Alter der Person, als
der Unzulänglichkeit ihrer Kunst, beymessen.
Den andern und dritten Tag wiederholten sie
das Eingießen des Eyerweißes, und diese
ganze Zeit über mußte der Kranke auf dem
Rücken liegen, und ließe so wenig von seinen
Sinnen von sich spüren, daß man ihn wirk-
lich für todt hätte halten sollen. Sie erlaub-
ten ihm auch nicht das mindeste weder zu essen
noch zu trinken, und hielten es schon für zu-
länglich, wenn nur seine Zunge öfters mit
einem Tropfen Wasser angefeuchtet wurde.
Am dritten Tage legten sie den Kranken, auf
dem Brete gebunden, auf den Boden, da er
dann bald wieder zu seinen Sinnen kam, und
mit schwacher Stimme über Schmerzen klagte.
Itzo erquickten sie ihn mit einem mäßigen
Trunke warmes Wassers, und die drey fol-
genden Tage gaben sie ihm ein wenig Brühe,
sie mochte gemacht seyn wovon sie wollte,
und waren nur dafür besorgt, daß er den
[Spaltenumbruch]
Magen nicht mit Essen überladen möchte.
Am siebenten Tage machten sie ihm die Bande
wieder los, und legten den Kranken sachte in
ein Bett. Es blieben aber beständig ihrer
zween bey ihm, damit er nicht die Beine auf-
heben oder sich bewegen sollte: und diese wie-
derholten das Eingießen des Eyerweißes alle
Tage. Am neunten bis zum zwölften Tage
kam nur das Weiße von sechs Eyern in die
Wunde, und so bald dieses eingegossen war,
schiene es noch mehr zu schäumen, als zuvor.
Am funfzehenten Tage fassete die Wunde kaum
noch das Weiße von einem Eye; dennoch
wiederholten sie das Eingießen so lange, als
sie merkten, daß noch etwas in die Wunde
ging und schäumete. Als dieses aufhörete:
so legten sie ein Pflaster, von Pech, Oele und
andern Dingen gemacht, auf die Wunde,
und verstatteten dem Kranken, seine Füße zu
bewegen und auf der Seite zu liegen. Mitt-
lerweile zogen sie alle Morgen, ehe der Kranke
noch etwas zu sich genommen hatte, an dem
Ende des Fadens, das heraus hing, um zu
versuchen, ob die Naht nicht aufgegangen
sey. Am zwanzigsten, dreyßigsten oder vier-
zigsten Tage, nachdem das Alter oder die
Kräfte des Kranken es zulassen, ziehen sie
den Faden heraus, legen ein anderes Pflaster
darauf und bringen damit die Heilung zum
Ende. Auf diese grobe Weise, die ich selbst
mit Augen angesehen habe, pflegen diese un-
gelehrten Leute eine so schwere Krankheit zu
heilen.

er
* Albanien.
2 P 3

10. Suͤlejman der I
zug ſehr ſchwer ſollten gemacht haben, wenn ſie nicht auf Zureden ihres Lands-
mannes, Ajas Paſchas, ſich dem Kaiſer gutwillig unterworfen haͤtten. Nach-
dem Arnawd* ſolchergeſtalt ohne Blutvergießen bezwungen war: ſo hielte er
ſich beynahe einen Monat lang daſelbſt auf, um die noͤthigen Einrichtungen in dem
Lande zu machen, und ging hierauf nach gedachtem Eylande uͤber, von dem er bereits
in Gedanken Meiſter war. Als er ſeine Voͤlker an das Land geſetzet hatte: ſo ließ
[Spaltenumbruch]
von neun friſchgelegten Eyern in die Wunde.
Weil nun dieſes innerhalb einer bis zwoer
Stunden ſchaͤumete oder johre: ſo hielten ſie
es fuͤr ein gutes Zeichen einer gluͤcklichen Hei-
lung. Denn wenn nach dreyen Stunden
kein blaͤſiges Aufwallen oder Jaͤhrung erfol-
get: ſo achten ſie es fuͤr toͤdtlich, weil man
hieraus vermuthen kann, die Schwachheit des
Kranken ſey ſo groß, daß man ihm durch
Arzneyen unmoͤglich zu Huͤlfe kommen koͤnne.
Wiewol ihnen von hunderten kaum einer oder
zween ſterben, welches ſie alsdann mehr der
Schwachheit oder dem Alter der Perſon, als
der Unzulaͤnglichkeit ihrer Kunſt, beymeſſen.
Den andern und dritten Tag wiederholten ſie
das Eingießen des Eyerweißes, und dieſe
ganze Zeit uͤber mußte der Kranke auf dem
Ruͤcken liegen, und ließe ſo wenig von ſeinen
Sinnen von ſich ſpuͤren, daß man ihn wirk-
lich fuͤr todt haͤtte halten ſollen. Sie erlaub-
ten ihm auch nicht das mindeſte weder zu eſſen
noch zu trinken, und hielten es ſchon fuͤr zu-
laͤnglich, wenn nur ſeine Zunge oͤfters mit
einem Tropfen Waſſer angefeuchtet wurde.
Am dritten Tage legten ſie den Kranken, auf
dem Brete gebunden, auf den Boden, da er
dann bald wieder zu ſeinen Sinnen kam, und
mit ſchwacher Stimme uͤber Schmerzen klagte.
Itzo erquickten ſie ihn mit einem maͤßigen
Trunke warmes Waſſers, und die drey fol-
genden Tage gaben ſie ihm ein wenig Bruͤhe,
ſie mochte gemacht ſeyn wovon ſie wollte,
und waren nur dafuͤr beſorgt, daß er den
[Spaltenumbruch]
Magen nicht mit Eſſen uͤberladen moͤchte.
Am ſiebenten Tage machten ſie ihm die Bande
wieder los, und legten den Kranken ſachte in
ein Bett. Es blieben aber beſtaͤndig ihrer
zween bey ihm, damit er nicht die Beine auf-
heben oder ſich bewegen ſollte: und dieſe wie-
derholten das Eingießen des Eyerweißes alle
Tage. Am neunten bis zum zwoͤlften Tage
kam nur das Weiße von ſechs Eyern in die
Wunde, und ſo bald dieſes eingegoſſen war,
ſchiene es noch mehr zu ſchaͤumen, als zuvor.
Am funfzehenten Tage faſſete die Wunde kaum
noch das Weiße von einem Eye; dennoch
wiederholten ſie das Eingießen ſo lange, als
ſie merkten, daß noch etwas in die Wunde
ging und ſchaͤumete. Als dieſes aufhoͤrete:
ſo legten ſie ein Pflaſter, von Pech, Oele und
andern Dingen gemacht, auf die Wunde,
und verſtatteten dem Kranken, ſeine Fuͤße zu
bewegen und auf der Seite zu liegen. Mitt-
lerweile zogen ſie alle Morgen, ehe der Kranke
noch etwas zu ſich genommen hatte, an dem
Ende des Fadens, das heraus hing, um zu
verſuchen, ob die Naht nicht aufgegangen
ſey. Am zwanzigſten, dreyßigſten oder vier-
zigſten Tage, nachdem das Alter oder die
Kraͤfte des Kranken es zulaſſen, ziehen ſie
den Faden heraus, legen ein anderes Pflaſter
darauf und bringen damit die Heilung zum
Ende. Auf dieſe grobe Weiſe, die ich ſelbſt
mit Augen angeſehen habe, pflegen dieſe un-
gelehrten Leute eine ſo ſchwere Krankheit zu
heilen.

er
* Albanien.
2 P 3
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[301/0391] 10. Suͤlejman der I zug ſehr ſchwer ſollten gemacht haben, wenn ſie nicht auf Zureden ihres Lands- mannes, Ajas Paſchas, ſich dem Kaiſer gutwillig unterworfen haͤtten. Nach- dem Arnawd * ſolchergeſtalt ohne Blutvergießen bezwungen war: ſo hielte er ſich beynahe einen Monat lang daſelbſt auf, um die noͤthigen Einrichtungen in dem Lande zu machen, und ging hierauf nach gedachtem Eylande uͤber, von dem er bereits in Gedanken Meiſter war. Als er ſeine Voͤlker an das Land geſetzet hatte: ſo ließ er von neun friſchgelegten Eyern in die Wunde. Weil nun dieſes innerhalb einer bis zwoer Stunden ſchaͤumete oder johre: ſo hielten ſie es fuͤr ein gutes Zeichen einer gluͤcklichen Hei- lung. Denn wenn nach dreyen Stunden kein blaͤſiges Aufwallen oder Jaͤhrung erfol- get: ſo achten ſie es fuͤr toͤdtlich, weil man hieraus vermuthen kann, die Schwachheit des Kranken ſey ſo groß, daß man ihm durch Arzneyen unmoͤglich zu Huͤlfe kommen koͤnne. Wiewol ihnen von hunderten kaum einer oder zween ſterben, welches ſie alsdann mehr der Schwachheit oder dem Alter der Perſon, als der Unzulaͤnglichkeit ihrer Kunſt, beymeſſen. Den andern und dritten Tag wiederholten ſie das Eingießen des Eyerweißes, und dieſe ganze Zeit uͤber mußte der Kranke auf dem Ruͤcken liegen, und ließe ſo wenig von ſeinen Sinnen von ſich ſpuͤren, daß man ihn wirk- lich fuͤr todt haͤtte halten ſollen. Sie erlaub- ten ihm auch nicht das mindeſte weder zu eſſen noch zu trinken, und hielten es ſchon fuͤr zu- laͤnglich, wenn nur ſeine Zunge oͤfters mit einem Tropfen Waſſer angefeuchtet wurde. Am dritten Tage legten ſie den Kranken, auf dem Brete gebunden, auf den Boden, da er dann bald wieder zu ſeinen Sinnen kam, und mit ſchwacher Stimme uͤber Schmerzen klagte. Itzo erquickten ſie ihn mit einem maͤßigen Trunke warmes Waſſers, und die drey fol- genden Tage gaben ſie ihm ein wenig Bruͤhe, ſie mochte gemacht ſeyn wovon ſie wollte, und waren nur dafuͤr beſorgt, daß er den Magen nicht mit Eſſen uͤberladen moͤchte. Am ſiebenten Tage machten ſie ihm die Bande wieder los, und legten den Kranken ſachte in ein Bett. Es blieben aber beſtaͤndig ihrer zween bey ihm, damit er nicht die Beine auf- heben oder ſich bewegen ſollte: und dieſe wie- derholten das Eingießen des Eyerweißes alle Tage. Am neunten bis zum zwoͤlften Tage kam nur das Weiße von ſechs Eyern in die Wunde, und ſo bald dieſes eingegoſſen war, ſchiene es noch mehr zu ſchaͤumen, als zuvor. Am funfzehenten Tage faſſete die Wunde kaum noch das Weiße von einem Eye; dennoch wiederholten ſie das Eingießen ſo lange, als ſie merkten, daß noch etwas in die Wunde ging und ſchaͤumete. Als dieſes aufhoͤrete: ſo legten ſie ein Pflaſter, von Pech, Oele und andern Dingen gemacht, auf die Wunde, und verſtatteten dem Kranken, ſeine Fuͤße zu bewegen und auf der Seite zu liegen. Mitt- lerweile zogen ſie alle Morgen, ehe der Kranke noch etwas zu ſich genommen hatte, an dem Ende des Fadens, das heraus hing, um zu verſuchen, ob die Naht nicht aufgegangen ſey. Am zwanzigſten, dreyßigſten oder vier- zigſten Tage, nachdem das Alter oder die Kraͤfte des Kranken es zulaſſen, ziehen ſie den Faden heraus, legen ein anderes Pflaſter darauf und bringen damit die Heilung zum Ende. Auf dieſe grobe Weiſe, die ich ſelbſt mit Augen angeſehen habe, pflegen dieſe un- gelehrten Leute eine ſo ſchwere Krankheit zu heilen. * Albanien. 2 P 3

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/391>, abgerufen am 22.11.2024.