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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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11. Selim der II
heftigsten Wut herbey, treiben die in Unordnung gerathenen Linien vollends
aus einander, und versenken oder erobern bey nahe die ganze Flote 20.

12.

Wer einmal in seinem blühendsten Zustande das unfreundliche Be-Selim findet
bey diesem be-
trübten Vorfalle
Trost in dem
Kuron:

zeigen des Glückes erfahren hat: der mag sich vorstellen, in welche Betrübniß
Selim bey diesem unerwarteten Unglücke verfallen ist. Es hatte derselbe eben
die Zeitung von der Eroberung Cyperns erhalten; und da er itzo auf die Wie-
derkunft seiner sieghaften Flote wartet, und Zuschickung zu einem Triumphe
machet: so kommen die wenigen, die entronnen waren, zurück, und berichten
ihm den Untergang seines ganzen Kriegesheeres. Der Kaiser, der sonst von
unüberwindlichem Gemüthe war, wurde über dieser Zeitung dergestalt bestürzt,
daß er in dreyen Tagen 21 weder aß noch trank, auch keinen Menschen vor sich
ließe; sondern Tag und Nacht zu Gott, dem Beschützer der Müsülmanen, be-
tete, daß er Mitleiden mit seinem Volke haben, und die Schande, die demselben
durch diese Niederlage wiederfahren war, wieder abwenden möchte. Endlich
am vierten Tage nahm er den Kuron vor die Hand, und traf im Aufschlagen 22 [Spaltenumbruch]

"serer Niedergeschlagenheit des Gemüths,
"wegen des Verlustes, den wir erlitten ha-
"ben, Zeuge zu seyn. Ehe ihr aber eure
"Thorheit öffentlich an den Tag leget: so
"will ich euch als ein guter Freund angera-
"then haben, alles solches eitele Bezeigen
"abzulegen, und zu erwägen, daß ihr uns
"zwar ziemlich platt geschoren, wir hingegen
"euch eure Arme abgesäget haben. Und
"gleichwie der Bart, wann er abgeschoren
"wird, innerhalb drey bis vier Monate
"wieder wächset, und dazu noch dicker, als
"er zuvor gewesen ist: also wird unsere
"Flote, so lange es uns noch nicht an Holze
"gebricht, in kurzer Zeit noch größer und
"zahlreicher werden; da ihr hingegen nicht
"einmal daran gedenken dürfet, eure Arme
"wieder zu bekommen: ich meine dadurch
"das weitläuftige und berühmte Königreich
"Cypern."
[Spaltenumbruch]
21 in dreyen Tagen] Nach dem Bey-
spiele desselben hat Aehmed der III, der gegen-
wärtige türkische Kaiser, als er seinen Weßir
Aehmed Pascha gegen die Russen nach Moldau
schickte, wie man mir gesaget hat, vierzig Tage
und Nächte gebetet, und nicht eher, als nach
der Sonne Untergang, etwas zu sich genom-
men; auch mit dem Fasten nicht eher nach-
gelassen, als bis die Zeitung von dem guten
Erfolge seiner Waffen angelanget ist.
22 im Aufschlagen] Die Türken glau-
ben, das Wahrsagen durch den Kuron sey
untrieglich. Wann sie daher eines Anliegens
wegen bekümmert, oder zweifelhaft sind, wie
sie eine Sache angreifen sollen: so lesen sie
erstlich eine Suret* oder zwo aus dem Kuron;
alsdann schlagen sie das Buch ungefähr auf,
wie es fället, und lesen die erste Zeile auf der
ersten Seite. Wenn nun die Worte mit ihren

zufäl-
* Hauptstück.
2 U 2

11. Selim der II
heftigſten Wut herbey, treiben die in Unordnung gerathenen Linien vollends
aus einander, und verſenken oder erobern bey nahe die ganze Flote 20.

12.

Wer einmal in ſeinem bluͤhendſten Zuſtande das unfreundliche Be-Selim findet
bey dieſem be-
truͤbten Vorfalle
Troſt in dem
Kuron:

zeigen des Gluͤckes erfahren hat: der mag ſich vorſtellen, in welche Betruͤbniß
Selim bey dieſem unerwarteten Ungluͤcke verfallen iſt. Es hatte derſelbe eben
die Zeitung von der Eroberung Cyperns erhalten; und da er itzo auf die Wie-
derkunft ſeiner ſieghaften Flote wartet, und Zuſchickung zu einem Triumphe
machet: ſo kommen die wenigen, die entronnen waren, zuruͤck, und berichten
ihm den Untergang ſeines ganzen Kriegesheeres. Der Kaiſer, der ſonſt von
unuͤberwindlichem Gemuͤthe war, wurde uͤber dieſer Zeitung dergeſtalt beſtuͤrzt,
daß er in dreyen Tagen 21 weder aß noch trank, auch keinen Menſchen vor ſich
ließe; ſondern Tag und Nacht zu Gott, dem Beſchuͤtzer der Muͤſuͤlmanen, be-
tete, daß er Mitleiden mit ſeinem Volke haben, und die Schande, die demſelben
durch dieſe Niederlage wiederfahren war, wieder abwenden moͤchte. Endlich
am vierten Tage nahm er den Kuron vor die Hand, und traf im Aufſchlagen 22 [Spaltenumbruch]

“ſerer Niedergeſchlagenheit des Gemuͤths,
“wegen des Verluſtes, den wir erlitten ha-
“ben, Zeuge zu ſeyn. Ehe ihr aber eure
“Thorheit oͤffentlich an den Tag leget: ſo
“will ich euch als ein guter Freund angera-
“then haben, alles ſolches eitele Bezeigen
“abzulegen, und zu erwaͤgen, daß ihr uns
“zwar ziemlich platt geſchoren, wir hingegen
“euch eure Arme abgeſaͤget haben. Und
“gleichwie der Bart, wann er abgeſchoren
“wird, innerhalb drey bis vier Monate
“wieder waͤchſet, und dazu noch dicker, als
“er zuvor geweſen iſt: alſo wird unſere
“Flote, ſo lange es uns noch nicht an Holze
“gebricht, in kurzer Zeit noch groͤßer und
“zahlreicher werden; da ihr hingegen nicht
“einmal daran gedenken duͤrfet, eure Arme
“wieder zu bekommen: ich meine dadurch
“das weitlaͤuftige und beruͤhmte Koͤnigreich
“Cypern.„
[Spaltenumbruch]
21 in dreyen Tagen] Nach dem Bey-
ſpiele deſſelben hat Aehmed der III, der gegen-
waͤrtige tuͤrkiſche Kaiſer, als er ſeinen Weßir
Aehmed Paſcha gegen die Ruſſen nach Moldau
ſchickte, wie man mir geſaget hat, vierzig Tage
und Naͤchte gebetet, und nicht eher, als nach
der Sonne Untergang, etwas zu ſich genom-
men; auch mit dem Faſten nicht eher nach-
gelaſſen, als bis die Zeitung von dem guten
Erfolge ſeiner Waffen angelanget iſt.
22 im Aufſchlagen] Die Tuͤrken glau-
ben, das Wahrſagen durch den Kuron ſey
untrieglich. Wann ſie daher eines Anliegens
wegen bekuͤmmert, oder zweifelhaft ſind, wie
ſie eine Sache angreifen ſollen: ſo leſen ſie
erſtlich eine Suret* oder zwo aus dem Kuron;
alsdann ſchlagen ſie das Buch ungefaͤhr auf,
wie es faͤllet, und leſen die erſte Zeile auf der
erſten Seite. Wenn nun die Worte mit ihren

zufaͤl-
* Hauptſtuͤck.
2 U 2
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[339/0431] 11. Selim der II heftigſten Wut herbey, treiben die in Unordnung gerathenen Linien vollends aus einander, und verſenken oder erobern bey nahe die ganze Flote ²⁰ . 12. Wer einmal in ſeinem bluͤhendſten Zuſtande das unfreundliche Be- zeigen des Gluͤckes erfahren hat: der mag ſich vorſtellen, in welche Betruͤbniß Selim bey dieſem unerwarteten Ungluͤcke verfallen iſt. Es hatte derſelbe eben die Zeitung von der Eroberung Cyperns erhalten; und da er itzo auf die Wie- derkunft ſeiner ſieghaften Flote wartet, und Zuſchickung zu einem Triumphe machet: ſo kommen die wenigen, die entronnen waren, zuruͤck, und berichten ihm den Untergang ſeines ganzen Kriegesheeres. Der Kaiſer, der ſonſt von unuͤberwindlichem Gemuͤthe war, wurde uͤber dieſer Zeitung dergeſtalt beſtuͤrzt, daß er in dreyen Tagen ²¹ weder aß noch trank, auch keinen Menſchen vor ſich ließe; ſondern Tag und Nacht zu Gott, dem Beſchuͤtzer der Muͤſuͤlmanen, be- tete, daß er Mitleiden mit ſeinem Volke haben, und die Schande, die demſelben durch dieſe Niederlage wiederfahren war, wieder abwenden moͤchte. Endlich am vierten Tage nahm er den Kuron vor die Hand, und traf im Aufſchlagen ²² zufaͤl- “ſerer Niedergeſchlagenheit des Gemuͤths, “wegen des Verluſtes, den wir erlitten ha- “ben, Zeuge zu ſeyn. Ehe ihr aber eure “Thorheit oͤffentlich an den Tag leget: ſo “will ich euch als ein guter Freund angera- “then haben, alles ſolches eitele Bezeigen “abzulegen, und zu erwaͤgen, daß ihr uns “zwar ziemlich platt geſchoren, wir hingegen “euch eure Arme abgeſaͤget haben. Und “gleichwie der Bart, wann er abgeſchoren “wird, innerhalb drey bis vier Monate “wieder waͤchſet, und dazu noch dicker, als “er zuvor geweſen iſt: alſo wird unſere “Flote, ſo lange es uns noch nicht an Holze “gebricht, in kurzer Zeit noch groͤßer und “zahlreicher werden; da ihr hingegen nicht “einmal daran gedenken duͤrfet, eure Arme “wieder zu bekommen: ich meine dadurch “das weitlaͤuftige und beruͤhmte Koͤnigreich “Cypern.„ ²¹ in dreyen Tagen] Nach dem Bey- ſpiele deſſelben hat Aehmed der III, der gegen- waͤrtige tuͤrkiſche Kaiſer, als er ſeinen Weßir Aehmed Paſcha gegen die Ruſſen nach Moldau ſchickte, wie man mir geſaget hat, vierzig Tage und Naͤchte gebetet, und nicht eher, als nach der Sonne Untergang, etwas zu ſich genom- men; auch mit dem Faſten nicht eher nach- gelaſſen, als bis die Zeitung von dem guten Erfolge ſeiner Waffen angelanget iſt. ²² im Aufſchlagen] Die Tuͤrken glau- ben, das Wahrſagen durch den Kuron ſey untrieglich. Wann ſie daher eines Anliegens wegen bekuͤmmert, oder zweifelhaft ſind, wie ſie eine Sache angreifen ſollen: ſo leſen ſie erſtlich eine Suret * oder zwo aus dem Kuron; alsdann ſchlagen ſie das Buch ungefaͤhr auf, wie es faͤllet, und leſen die erſte Zeile auf der erſten Seite. Wenn nun die Worte mit ihren Gedan- Selim findet bey dieſem be- truͤbten Vorfalle Troſt in dem Kuron: * Hauptſtuͤck. 2 U 2

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/431>, abgerufen am 22.11.2024.