demselben wegen des Todes seines Vaters ihr Mitleiden mit ausbündigen Wor- ten bezeigten. Der Leichnam des Sultans Selims wurde, nach Verrichtung der gewöhnlichen Feierlichkeiten, in einem Türbe, nicht weit von St. Sophia, beygesetzet.
und Eigenschaf-ten.
20.
Sultan Selim brachte sein Leben auf zwey und funfzig Jahre, und regierete acht Jahre, fünf Monate und neunzehen Tage. Er war ein Fürst von großer Tapferkeit; aber nicht so glücklich, daß seine Unternehmungen alle- zeit den gewünschten Ausgang gehabt hätten. Er war fertig in Fassung der Anschläge, und mit denselben geheim 29; ein Liebhaber der Gerechtigkeit und eines guten Gerüchts; freygebig; so gnädig, daß es schiene, als wenn die Na- tur ihn mit einem sanfteren Gemüthe begabet hätte, als seinen Vorfahrer; ver- traulich und kurzweilig im Gespräche mit seinen Hausbedienten; ein heftiger Liebhaber der Gelehrten sowol als der Gaukler; und sehr ordentlich in Verrich- tung seiner täglichen und nächtlichen Andachten. Inzwischen sagen doch einige Geschichtschreiber, die entweder bessere Gelegenheit hatten, zu erfahren, was in dem innern Seraj vorginge, oder ihren Lesern mit Erzählung von Neuigkeiten zu gefallen suchten: er habe sich, unter dem Vorwande der Andacht, in den ge- heimen Zimmern seines Palastes gänzlich dem Trunke und den Wollüsten erge- ben. So viel ist gewiß, daß er öffentlich einen großen Schein der Religion von sich blicken lassen; und wann es schiene, daß seine Handlungen zu einer oder der andern Zeit von der Vorschrift der Vernunft abwichen: so wurde es mehr der göttlichen Eingebung, als dem Laster der Trunkenheit, beygemessen.
[Spaltenumbruch]
29 geheim] Eine seltene Eigenschaft an einem Manne, der der Trunkenheit erge- ben ist. Ich sollte aber diese Heimlichkeit eher der Gewohnheit des Hofes zuschreiben, [Spaltenumbruch] dessen tiefes Stilleschweigens ich bereits er- wähnet habe*, als der natürlichen Gemüths- art des Kaisers.
Mit Selim dem II regiereten in Europa zugleich. In Deutschland, Maximilian der II, 1565 - 78. In England, Elisabeth, 1558 - 1602. In Frankreich, Carl der VIIII, 1560 - 74.
Geschichte
* 330 S. 3 Anm.
Osmaniſche Geſchichte
demſelben wegen des Todes ſeines Vaters ihr Mitleiden mit ausbuͤndigen Wor- ten bezeigten. Der Leichnam des Sultans Selims wurde, nach Verrichtung der gewoͤhnlichen Feierlichkeiten, in einem Tuͤrbe, nicht weit von St. Sophia, beygeſetzet.
und Eigenſchaf-ten.
20.
Sultan Selim brachte ſein Leben auf zwey und funfzig Jahre, und regierete acht Jahre, fuͤnf Monate und neunzehen Tage. Er war ein Fuͤrſt von großer Tapferkeit; aber nicht ſo gluͤcklich, daß ſeine Unternehmungen alle- zeit den gewuͤnſchten Ausgang gehabt haͤtten. Er war fertig in Faſſung der Anſchlaͤge, und mit denſelben geheim 29; ein Liebhaber der Gerechtigkeit und eines guten Geruͤchts; freygebig; ſo gnaͤdig, daß es ſchiene, als wenn die Na- tur ihn mit einem ſanfteren Gemuͤthe begabet haͤtte, als ſeinen Vorfahrer; ver- traulich und kurzweilig im Geſpraͤche mit ſeinen Hausbedienten; ein heftiger Liebhaber der Gelehrten ſowol als der Gaukler; und ſehr ordentlich in Verrich- tung ſeiner taͤglichen und naͤchtlichen Andachten. Inzwiſchen ſagen doch einige Geſchichtſchreiber, die entweder beſſere Gelegenheit hatten, zu erfahren, was in dem innern Seraj vorginge, oder ihren Leſern mit Erzaͤhlung von Neuigkeiten zu gefallen ſuchten: er habe ſich, unter dem Vorwande der Andacht, in den ge- heimen Zimmern ſeines Palaſtes gaͤnzlich dem Trunke und den Wolluͤſten erge- ben. So viel iſt gewiß, daß er oͤffentlich einen großen Schein der Religion von ſich blicken laſſen; und wann es ſchiene, daß ſeine Handlungen zu einer oder der andern Zeit von der Vorſchrift der Vernunft abwichen: ſo wurde es mehr der goͤttlichen Eingebung, als dem Laſter der Trunkenheit, beygemeſſen.
[Spaltenumbruch]
29 geheim] Eine ſeltene Eigenſchaft an einem Manne, der der Trunkenheit erge- ben iſt. Ich ſollte aber dieſe Heimlichkeit eher der Gewohnheit des Hofes zuſchreiben, [Spaltenumbruch] deſſen tiefes Stilleſchweigens ich bereits er- waͤhnet habe*, als der natuͤrlichen Gemuͤths- art des Kaiſers.
Mit Selim dem II regiereten in Europa zugleich. In Deutſchland, Maximilian der II‚ 1565 - 78. In England, Eliſabeth, 1558 - 1602. In Frankreich, Carl der VIIII‚ 1560 - 74.
Geſchichte
* 330 S. 3 Anm.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0436"n="344"/><fwplace="top"type="header">Osmaniſche Geſchichte</fw><lb/>
demſelben wegen des Todes ſeines Vaters ihr Mitleiden mit ausbuͤndigen Wor-<lb/>
ten bezeigten. Der Leichnam des Sultans Selims wurde, nach Verrichtung<lb/>
der gewoͤhnlichen Feierlichkeiten, in einem Tuͤrbe, nicht weit von St. Sophia,<lb/>
beygeſetzet.</p><lb/><noteplace="left">und Eigenſchaf-ten.</note></div><lb/><divn="3"><head>20.</head><p>Sultan Selim brachte ſein Leben auf zwey und funfzig Jahre, und<lb/>
regierete acht Jahre, fuͤnf Monate und neunzehen Tage. Er war ein Fuͤrſt<lb/>
von großer Tapferkeit; aber nicht ſo gluͤcklich, daß ſeine Unternehmungen alle-<lb/>
zeit den gewuͤnſchten Ausgang gehabt haͤtten. Er war fertig in Faſſung der<lb/>
Anſchlaͤge, und mit denſelben geheim <noteplace="end"n="29"/>; ein Liebhaber der Gerechtigkeit und<lb/>
eines guten Geruͤchts; freygebig; ſo gnaͤdig, daß es ſchiene, als wenn die Na-<lb/>
tur ihn mit einem ſanfteren Gemuͤthe begabet haͤtte, als ſeinen Vorfahrer; ver-<lb/>
traulich und kurzweilig im Geſpraͤche mit ſeinen Hausbedienten; ein heftiger<lb/>
Liebhaber der Gelehrten ſowol als der Gaukler; und ſehr ordentlich in Verrich-<lb/>
tung ſeiner taͤglichen und naͤchtlichen Andachten. Inzwiſchen ſagen doch einige<lb/>
Geſchichtſchreiber, die entweder beſſere Gelegenheit hatten, zu erfahren, was in<lb/>
dem innern Seraj vorginge, oder ihren Leſern mit Erzaͤhlung von Neuigkeiten<lb/>
zu gefallen ſuchten: er habe ſich, unter dem Vorwande der Andacht, in den ge-<lb/>
heimen Zimmern ſeines Palaſtes gaͤnzlich dem Trunke und den Wolluͤſten erge-<lb/>
ben. So viel iſt gewiß, daß er oͤffentlich einen großen Schein der Religion<lb/>
von ſich blicken laſſen; und wann es ſchiene, daß ſeine Handlungen zu einer oder<lb/>
der andern Zeit von der Vorſchrift der Vernunft abwichen: ſo wurde es mehr<lb/>
der goͤttlichen Eingebung, als dem Laſter der Trunkenheit, beygemeſſen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Geſchichte</fw><lb/><cbn="1"/><lb/><noteplace="end"n="29">geheim] Eine ſeltene Eigenſchaft an<lb/>
einem Manne, der der Trunkenheit erge-<lb/>
ben iſt. Ich ſollte aber dieſe Heimlichkeit<lb/>
eher der Gewohnheit des Hofes zuſchreiben,<lb/><cbn="2"/><lb/>
deſſen tiefes Stilleſchweigens ich bereits er-<lb/>
waͤhnet habe<noteplace="foot"n="*">330 S. 3 Anm.</note>, als der natuͤrlichen Gemuͤths-<lb/>
art des Kaiſers.</note><lb/><p>Mit Selim dem <hirendition="#aq">II</hi> regiereten in Europa zugleich.<lb/>
In Deutſchland, Maximilian der <hirendition="#aq">II</hi>‚ 1565 - 78.<lb/>
In England, Eliſabeth, 1558 - 1602.<lb/>
In Frankreich, Carl der <hirendition="#aq">VIIII</hi>‚ 1560 - 74.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[344/0436]
Osmaniſche Geſchichte
demſelben wegen des Todes ſeines Vaters ihr Mitleiden mit ausbuͤndigen Wor-
ten bezeigten. Der Leichnam des Sultans Selims wurde, nach Verrichtung
der gewoͤhnlichen Feierlichkeiten, in einem Tuͤrbe, nicht weit von St. Sophia,
beygeſetzet.
20. Sultan Selim brachte ſein Leben auf zwey und funfzig Jahre, und
regierete acht Jahre, fuͤnf Monate und neunzehen Tage. Er war ein Fuͤrſt
von großer Tapferkeit; aber nicht ſo gluͤcklich, daß ſeine Unternehmungen alle-
zeit den gewuͤnſchten Ausgang gehabt haͤtten. Er war fertig in Faſſung der
Anſchlaͤge, und mit denſelben geheim
²⁹
; ein Liebhaber der Gerechtigkeit und
eines guten Geruͤchts; freygebig; ſo gnaͤdig, daß es ſchiene, als wenn die Na-
tur ihn mit einem ſanfteren Gemuͤthe begabet haͤtte, als ſeinen Vorfahrer; ver-
traulich und kurzweilig im Geſpraͤche mit ſeinen Hausbedienten; ein heftiger
Liebhaber der Gelehrten ſowol als der Gaukler; und ſehr ordentlich in Verrich-
tung ſeiner taͤglichen und naͤchtlichen Andachten. Inzwiſchen ſagen doch einige
Geſchichtſchreiber, die entweder beſſere Gelegenheit hatten, zu erfahren, was in
dem innern Seraj vorginge, oder ihren Leſern mit Erzaͤhlung von Neuigkeiten
zu gefallen ſuchten: er habe ſich, unter dem Vorwande der Andacht, in den ge-
heimen Zimmern ſeines Palaſtes gaͤnzlich dem Trunke und den Wolluͤſten erge-
ben. So viel iſt gewiß, daß er oͤffentlich einen großen Schein der Religion
von ſich blicken laſſen; und wann es ſchiene, daß ſeine Handlungen zu einer oder
der andern Zeit von der Vorſchrift der Vernunft abwichen: ſo wurde es mehr
der goͤttlichen Eingebung, als dem Laſter der Trunkenheit, beygemeſſen.
Geſchichte
²⁹ geheim] Eine ſeltene Eigenſchaft an
einem Manne, der der Trunkenheit erge-
ben iſt. Ich ſollte aber dieſe Heimlichkeit
eher der Gewohnheit des Hofes zuſchreiben,
deſſen tiefes Stilleſchweigens ich bereits er-
waͤhnet habe *, als der natuͤrlichen Gemuͤths-
art des Kaiſers.
Mit Selim dem II regiereten in Europa zugleich.
In Deutſchland, Maximilian der II‚ 1565 - 78.
In England, Eliſabeth, 1558 - 1602.
In Frankreich, Carl der VIIII‚ 1560 - 74.
* 330 S. 3 Anm.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/436>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.