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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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17. Murad der IIII
über, aber nicht unter die Erde. Durch diesen Einfall erhielte er nicht nur
sein Leben; sondern erlangte auch höhere Ehrenstellen, und die Erlaubniß ganz
allein, Tabak zu rauchen. Man erzählet auch von ihm, daß er öfters zu seinen
Leuten gesaget und ihnen diese Regel gegeben habe: Wenn ihr lustig seyn wollet;
so trinket Wein, und fresset keinen Dreck.

20.

Aus diesem Laster entsprang noch ein anderes, das nicht nur denSeine Grausam-
keit.

regierenden Personen, sondern auch dem ganzen State, höchst schädlich war;
nämlich die Grausamkeit. Er dürstete nach unschuldigem Blute, war nach
nichts so sehr begierig, als nach Morde, und schiene, als wenn er gleichsam sich
davon nährete. Sehr oft stahl sich derselbe um Mitternacht aus den Frauen-
zimmern durch heimliche Thüren aus dem Palaste, mit seinem bloßen Säbel in
der Hand, lief barfuß, und nur einen Rock weitläufig umgehangen, durch die
Straßen, wie ein Unsinniger, und brachte iedermann um, der ihm in den Weg
kam. Oefters schoß er aus den Fenstern der höhern Zimmer, da er zu trinken
und sich lustig zu machen pflegte, die Leute, die ungefähr vorbey gingen, mit
Pfeilen. Bey Tage rennete er in verstellten Kleidern auf und nieder, und keh-
[Spaltenumbruch]

Welt. Murad fraget: wie dieses geschehen
könnte? Dadurch, antwortet er, daß ihr
diesen göttlichen Saft trinket. Der Kaiser
lässet sich hiedurch überreden, und thut einen
starken Trunk. Weil er nun des Weines
nicht gewohnt war: so wird er gleich so trun-
ken davon, daß er sich einbildet, die ganze
Welt wäre nicht groß genug, ihn zu fassen.
Er lässet sich gewaltige Anschläge einfallen,
und wird so voller Freuden und Lustigkeit,
daß es ihm vorkommt, die Reizungen einer
Krone wären kaum damit zu vergleichen.
Hierauf wird er taumelnd, und fället in ei-
nen Schlaf. Nach Verfließung einiger Stun-
den wachet er auf, und hat Kopfwehe: schic-
ket auch gleich nach Mustäfa, in dem größ-
ten Unmuthe. Dieser kommt unverzüglich
herbey; und als er vernimmt, was demselben
fehlet: so saget er; Hier ist das Mittel da-
für: und überreichet ihm einen Becher mit
Weine, der ihm sein Kopfwehe auf einmal
vertreibet, und ihm seine vorige Fröhlichkeit
[Spaltenumbruch]
wieder bringet. Als er dieses zwey bis drey-
mal wiederholet hatte: so wurde er nach und
nach dem Weine so sehr ergeben, daß er fast
alle Tage trunken war. Sein Lehrmeister,
Bekjri Mustäfa, wurde unter seine Musahib
oder geheimen Räthe aufgenommen, und
war beständig um den Kaiser. Bey seinem
Tode befahl der Sultan, daß der ganze Hof
in der Trauer gehen mußte: er ließ aber sei-
nen Leichnam mit großem Gepränge in einem
Wirthshause unter die Fässer begraben.
Nach seinem Absterben bezeugte der Kaiser,
daß er keinen einzigen fröhlichen Tag mehr
gehabt habe; und wann ungefähr Mustäfas
Erwähnung geschahe: so sahe man ihn öfters
darüber in Threnen ausbrechen, und aus dem
Innersten seines Herzens seufzen. Mit ei-
nem Worte, ich habe niemals gelesen, daß
iemand eine so große Gewogenheit bey dem
andern durch die Lehren der Tugend erlanget
hätte, ols Mustäfa sich durch die Anweisung
zum Laster erworben hat.

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17. Murad der IIII
uͤber, aber nicht unter die Erde. Durch dieſen Einfall erhielte er nicht nur
ſein Leben; ſondern erlangte auch hoͤhere Ehrenſtellen, und die Erlaubniß ganz
allein, Tabak zu rauchen. Man erzaͤhlet auch von ihm, daß er oͤfters zu ſeinen
Leuten geſaget und ihnen dieſe Regel gegeben habe: Wenn ihr luſtig ſeyn wollet;
ſo trinket Wein, und freſſet keinen Dreck.

20.

Aus dieſem Laſter entſprang noch ein anderes, das nicht nur denSeine Grauſam-
keit.

regierenden Perſonen, ſondern auch dem ganzen State, hoͤchſt ſchaͤdlich war;
naͤmlich die Grauſamkeit. Er duͤrſtete nach unſchuldigem Blute, war nach
nichts ſo ſehr begierig, als nach Morde, und ſchiene, als wenn er gleichſam ſich
davon naͤhrete. Sehr oft ſtahl ſich derſelbe um Mitternacht aus den Frauen-
zimmern durch heimliche Thuͤren aus dem Palaſte, mit ſeinem bloßen Saͤbel in
der Hand, lief barfuß, und nur einen Rock weitlaͤufig umgehangen, durch die
Straßen, wie ein Unſinniger, und brachte iedermann um, der ihm in den Weg
kam. Oefters ſchoß er aus den Fenſtern der hoͤhern Zimmer, da er zu trinken
und ſich luſtig zu machen pflegte, die Leute, die ungefaͤhr vorbey gingen, mit
Pfeilen. Bey Tage rennete er in verſtellten Kleidern auf und nieder, und keh-
[Spaltenumbruch]

Welt. Murad fraget: wie dieſes geſchehen
koͤnnte? Dadurch, antwortet er, daß ihr
dieſen goͤttlichen Saft trinket. Der Kaiſer
laͤſſet ſich hiedurch uͤberreden, und thut einen
ſtarken Trunk. Weil er nun des Weines
nicht gewohnt war: ſo wird er gleich ſo trun-
ken davon, daß er ſich einbildet, die ganze
Welt waͤre nicht groß genug, ihn zu faſſen.
Er laͤſſet ſich gewaltige Anſchlaͤge einfallen,
und wird ſo voller Freuden und Luſtigkeit,
daß es ihm vorkommt, die Reizungen einer
Krone waͤren kaum damit zu vergleichen.
Hierauf wird er taumelnd, und faͤllet in ei-
nen Schlaf. Nach Verfließung einiger Stun-
den wachet er auf, und hat Kopfwehe: ſchic-
ket auch gleich nach Muſtaͤfa, in dem groͤß-
ten Unmuthe. Dieſer kommt unverzuͤglich
herbey; und als er vernimmt, was demſelben
fehlet: ſo ſaget er; Hier iſt das Mittel da-
fuͤr: und uͤberreichet ihm einen Becher mit
Weine, der ihm ſein Kopfwehe auf einmal
vertreibet, und ihm ſeine vorige Froͤhlichkeit
[Spaltenumbruch]
wieder bringet. Als er dieſes zwey bis drey-
mal wiederholet hatte: ſo wurde er nach und
nach dem Weine ſo ſehr ergeben, daß er faſt
alle Tage trunken war. Sein Lehrmeiſter,
Bekjri Muſtaͤfa, wurde unter ſeine Muſahib
oder geheimen Raͤthe aufgenommen, und
war beſtaͤndig um den Kaiſer. Bey ſeinem
Tode befahl der Sultan, daß der ganze Hof
in der Trauer gehen mußte: er ließ aber ſei-
nen Leichnam mit großem Gepraͤnge in einem
Wirthshauſe unter die Faͤſſer begraben.
Nach ſeinem Abſterben bezeugte der Kaiſer,
daß er keinen einzigen froͤhlichen Tag mehr
gehabt habe; und wann ungefaͤhr Muſtaͤfas
Erwaͤhnung geſchahe: ſo ſahe man ihn oͤfters
daruͤber in Threnen ausbrechen, und aus dem
Innerſten ſeines Herzens ſeufzen. Mit ei-
nem Worte, ich habe niemals geleſen, daß
iemand eine ſo große Gewogenheit bey dem
andern durch die Lehren der Tugend erlanget
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zum Laſter erworben hat.

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[379/0483] 17. Murad der IIII uͤber, aber nicht unter die Erde. Durch dieſen Einfall erhielte er nicht nur ſein Leben; ſondern erlangte auch hoͤhere Ehrenſtellen, und die Erlaubniß ganz allein, Tabak zu rauchen. Man erzaͤhlet auch von ihm, daß er oͤfters zu ſeinen Leuten geſaget und ihnen dieſe Regel gegeben habe: Wenn ihr luſtig ſeyn wollet; ſo trinket Wein, und freſſet keinen Dreck. 20. Aus dieſem Laſter entſprang noch ein anderes, das nicht nur den regierenden Perſonen, ſondern auch dem ganzen State, hoͤchſt ſchaͤdlich war; naͤmlich die Grauſamkeit. Er duͤrſtete nach unſchuldigem Blute, war nach nichts ſo ſehr begierig, als nach Morde, und ſchiene, als wenn er gleichſam ſich davon naͤhrete. Sehr oft ſtahl ſich derſelbe um Mitternacht aus den Frauen- zimmern durch heimliche Thuͤren aus dem Palaſte, mit ſeinem bloßen Saͤbel in der Hand, lief barfuß, und nur einen Rock weitlaͤufig umgehangen, durch die Straßen, wie ein Unſinniger, und brachte iedermann um, der ihm in den Weg kam. Oefters ſchoß er aus den Fenſtern der hoͤhern Zimmer, da er zu trinken und ſich luſtig zu machen pflegte, die Leute, die ungefaͤhr vorbey gingen, mit Pfeilen. Bey Tage rennete er in verſtellten Kleidern auf und nieder, und keh- rete Welt. Murad fraget: wie dieſes geſchehen koͤnnte? Dadurch, antwortet er, daß ihr dieſen goͤttlichen Saft trinket. Der Kaiſer laͤſſet ſich hiedurch uͤberreden, und thut einen ſtarken Trunk. Weil er nun des Weines nicht gewohnt war: ſo wird er gleich ſo trun- ken davon, daß er ſich einbildet, die ganze Welt waͤre nicht groß genug, ihn zu faſſen. Er laͤſſet ſich gewaltige Anſchlaͤge einfallen, und wird ſo voller Freuden und Luſtigkeit, daß es ihm vorkommt, die Reizungen einer Krone waͤren kaum damit zu vergleichen. Hierauf wird er taumelnd, und faͤllet in ei- nen Schlaf. Nach Verfließung einiger Stun- den wachet er auf, und hat Kopfwehe: ſchic- ket auch gleich nach Muſtaͤfa, in dem groͤß- ten Unmuthe. Dieſer kommt unverzuͤglich herbey; und als er vernimmt, was demſelben fehlet: ſo ſaget er; Hier iſt das Mittel da- fuͤr: und uͤberreichet ihm einen Becher mit Weine, der ihm ſein Kopfwehe auf einmal vertreibet, und ihm ſeine vorige Froͤhlichkeit wieder bringet. Als er dieſes zwey bis drey- mal wiederholet hatte: ſo wurde er nach und nach dem Weine ſo ſehr ergeben, daß er faſt alle Tage trunken war. Sein Lehrmeiſter, Bekjri Muſtaͤfa, wurde unter ſeine Muſahib oder geheimen Raͤthe aufgenommen, und war beſtaͤndig um den Kaiſer. Bey ſeinem Tode befahl der Sultan, daß der ganze Hof in der Trauer gehen mußte: er ließ aber ſei- nen Leichnam mit großem Gepraͤnge in einem Wirthshauſe unter die Faͤſſer begraben. Nach ſeinem Abſterben bezeugte der Kaiſer, daß er keinen einzigen froͤhlichen Tag mehr gehabt habe; und wann ungefaͤhr Muſtaͤfas Erwaͤhnung geſchahe: ſo ſahe man ihn oͤfters daruͤber in Threnen ausbrechen, und aus dem Innerſten ſeines Herzens ſeufzen. Mit ei- nem Worte, ich habe niemals geleſen, daß iemand eine ſo große Gewogenheit bey dem andern durch die Lehren der Tugend erlanget haͤtte, ols Muſtaͤfa ſich durch die Anweiſung zum Laſter erworben hat. Seine Grauſam- keit. 3 B 2

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/483>, abgerufen am 22.11.2024.