Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede
aber die heutigen Türken ihren Ursprung von diesem Volke herleiten sollten:
davon finde ich nicht die mindeste Spur bey den Geschichtschreibern derselben,
die nur einer Muthmaßung ähnlich wäre. So viel ist wahr: sie sind eben
dieselben, die anfangs Aeladdin, und nachgehends Osman, dem ersten Sul-
tane der Osmanen, unterworfen waren; davon in dem folgenden Stücke
ausführlicher gehandelt werden soll. Daher machen wir mit Recht den Schluß,
daß die gegenseitige gemeine Meinung sich mehr auf die Unwissenheit der Euro-
päer in den morgenländischen Sprachen und auf den Schall der Wörter, als
auf die Wahrheit der Sache, gründet.

3. Ursprung des osmanischen Geschlechts.

Es scheinet den berühmtesten Geschlechtern in der Welt eigen zu seyn, daß sie
entweder einen ungewissen, oder einen fabelhaften Ursprung haben.
Wenn wir den ersten Anfang der edelsten Häuser unter den Griechen, Persern
und Römern betrachten: was treffen wir anderes an, als Mährleine und
lächerliche Erdichtungen der Poeten von ihrem Ursprunge? Da es nun bey
den bestunterrichteten Völkern auf der Welt also ergangen ist: was kann man
wol von Barbarn erwarten, die in gelehrten Sachen ganz unerfahren sind?
Ungeachtet bald nach Grundlegung dieses Reichs verschiedene türkische Schrift-
steller fabelhafte Geschichte aufgesetzet haben; zum Beyspiele das Tewarichi
Oliosman (daraus einige der christlichen Verfasser ihre Zeitrechnung der Os-
manen geborget zu haben scheinen): so werden doch dieselben von den Türken
nicht gutgeheißen, sondern vielmehr in dem Tadschüt-Tewarich auf das heftigste
durchgezogen. So lesen wir, daß einige die Aufnahme des türkischen Reichs
von dem Untergange der tatarischen Herrschaft, andere aber von einer Bande
Räuber, herleiten; und wir treffen sehr wenige an, die den wahren Ursprung
desjenigen Geschlechtes, das itzo auf dem Throne sitzet, entdecket haben.

1.

Was diejenigen betrifft, die den Wachsthum der türkischen Herrschaft
von dem Untergange des tatarischen Reichs anheben: so dichten dieselben

(damit

Vorrede
aber die heutigen Tuͤrken ihren Urſprung von dieſem Volke herleiten ſollten:
davon finde ich nicht die mindeſte Spur bey den Geſchichtſchreibern derſelben,
die nur einer Muthmaßung aͤhnlich waͤre. So viel iſt wahr: ſie ſind eben
dieſelben, die anfangs Aeladdin, und nachgehends Osman, dem erſten Sul-
tane der Osmanen, unterworfen waren; davon in dem folgenden Stuͤcke
ausfuͤhrlicher gehandelt werden ſoll. Daher machen wir mit Recht den Schluß,
daß die gegenſeitige gemeine Meinung ſich mehr auf die Unwiſſenheit der Euro-
paͤer in den morgenlaͤndiſchen Sprachen und auf den Schall der Woͤrter, als
auf die Wahrheit der Sache, gruͤndet.

3. Urſprung des osmaniſchen Geſchlechts.

Es ſcheinet den beruͤhmteſten Geſchlechtern in der Welt eigen zu ſeyn, daß ſie
entweder einen ungewiſſen, oder einen fabelhaften Urſprung haben.
Wenn wir den erſten Anfang der edelſten Haͤuſer unter den Griechen, Perſern
und Roͤmern betrachten: was treffen wir anderes an, als Maͤhrleine und
laͤcherliche Erdichtungen der Poeten von ihrem Urſprunge? Da es nun bey
den beſtunterrichteten Voͤlkern auf der Welt alſo ergangen iſt: was kann man
wol von Barbarn erwarten, die in gelehrten Sachen ganz unerfahren ſind?
Ungeachtet bald nach Grundlegung dieſes Reichs verſchiedene tuͤrkiſche Schrift-
ſteller fabelhafte Geſchichte aufgeſetzet haben; zum Beyſpiele das Tewarichi
Oliosman (daraus einige der chriſtlichen Verfaſſer ihre Zeitrechnung der Os-
manen geborget zu haben ſcheinen): ſo werden doch dieſelben von den Tuͤrken
nicht gutgeheißen, ſondern vielmehr in dem Tadſchuͤt-Tewarich auf das heftigſte
durchgezogen. So leſen wir, daß einige die Aufnahme des tuͤrkiſchen Reichs
von dem Untergange der tatariſchen Herrſchaft, andere aber von einer Bande
Raͤuber, herleiten; und wir treffen ſehr wenige an, die den wahren Urſprung
desjenigen Geſchlechtes, das itzo auf dem Throne ſitzet, entdecket haben.

1.

Was diejenigen betrifft, die den Wachsthum der tuͤrkiſchen Herrſchaft
von dem Untergange des tatariſchen Reichs anheben: ſo dichten dieſelben

(damit
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0050" n="44"/><fw place="top" type="header">Vorrede</fw><lb/>
aber die heutigen Tu&#x0364;rken ihren Ur&#x017F;prung von die&#x017F;em Volke herleiten &#x017F;ollten:<lb/>
davon finde ich nicht die minde&#x017F;te Spur bey den Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreibern der&#x017F;elben,<lb/>
die nur einer Muthmaßung a&#x0364;hnlich wa&#x0364;re. So viel i&#x017F;t wahr: &#x017F;ie &#x017F;ind eben<lb/>
die&#x017F;elben, die anfangs Aeladdin, und nachgehends Osman, dem er&#x017F;ten Sul-<lb/>
tane der Osmanen, unterworfen waren; davon in dem folgenden Stu&#x0364;cke<lb/>
ausfu&#x0364;hrlicher gehandelt werden &#x017F;oll. Daher machen wir mit Recht den Schluß,<lb/>
daß die gegen&#x017F;eitige gemeine Meinung &#x017F;ich mehr auf die Unwi&#x017F;&#x017F;enheit der Euro-<lb/>
pa&#x0364;er in den morgenla&#x0364;ndi&#x017F;chen Sprachen und auf den Schall der Wo&#x0364;rter, als<lb/>
auf die Wahrheit der Sache, gru&#x0364;ndet.</p>
          </div><lb/>
          <div n="2">
            <head>3. Ur&#x017F;prung des osmani&#x017F;chen Ge&#x017F;chlechts.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">E</hi>s &#x017F;cheinet den beru&#x0364;hmte&#x017F;ten Ge&#x017F;chlechtern in der Welt eigen zu &#x017F;eyn, daß &#x017F;ie<lb/>
entweder einen ungewi&#x017F;&#x017F;en, oder einen fabelhaften Ur&#x017F;prung haben.<lb/>
Wenn wir den er&#x017F;ten Anfang der edel&#x017F;ten Ha&#x0364;u&#x017F;er unter den Griechen, Per&#x017F;ern<lb/>
und Ro&#x0364;mern betrachten: was treffen wir anderes an, als Ma&#x0364;hrleine und<lb/>
la&#x0364;cherliche Erdichtungen der Poeten von ihrem Ur&#x017F;prunge? Da es nun bey<lb/>
den be&#x017F;tunterrichteten Vo&#x0364;lkern auf der Welt al&#x017F;o ergangen i&#x017F;t: was kann man<lb/>
wol von Barbarn erwarten, die in gelehrten Sachen ganz unerfahren &#x017F;ind?<lb/>
Ungeachtet bald nach Grundlegung die&#x017F;es Reichs ver&#x017F;chiedene tu&#x0364;rki&#x017F;che Schrift-<lb/>
&#x017F;teller fabelhafte Ge&#x017F;chichte aufge&#x017F;etzet haben; zum Bey&#x017F;piele das Tewarichi<lb/>
Oliosman (daraus einige der chri&#x017F;tlichen Verfa&#x017F;&#x017F;er ihre Zeitrechnung der Os-<lb/>
manen geborget zu haben &#x017F;cheinen): &#x017F;o werden doch die&#x017F;elben von den Tu&#x0364;rken<lb/>
nicht gutgeheißen, &#x017F;ondern vielmehr in dem Tad&#x017F;chu&#x0364;t-Tewarich auf das heftig&#x017F;te<lb/>
durchgezogen. So le&#x017F;en wir, daß einige die Aufnahme des tu&#x0364;rki&#x017F;chen Reichs<lb/>
von dem Untergange der tatari&#x017F;chen Herr&#x017F;chaft, andere aber von einer Bande<lb/>
Ra&#x0364;uber, herleiten; und wir treffen &#x017F;ehr wenige an, die den wahren Ur&#x017F;prung<lb/>
desjenigen Ge&#x017F;chlechtes, das itzo auf dem Throne &#x017F;itzet, entdecket haben.</p><lb/>
            <div n="3">
              <head>1.</head>
              <p>Was diejenigen betrifft, die den Wachsthum der tu&#x0364;rki&#x017F;chen Herr&#x017F;chaft<lb/>
von dem Untergange des tatari&#x017F;chen Reichs anheben: &#x017F;o dichten die&#x017F;elben<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">(damit</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[44/0050] Vorrede aber die heutigen Tuͤrken ihren Urſprung von dieſem Volke herleiten ſollten: davon finde ich nicht die mindeſte Spur bey den Geſchichtſchreibern derſelben, die nur einer Muthmaßung aͤhnlich waͤre. So viel iſt wahr: ſie ſind eben dieſelben, die anfangs Aeladdin, und nachgehends Osman, dem erſten Sul- tane der Osmanen, unterworfen waren; davon in dem folgenden Stuͤcke ausfuͤhrlicher gehandelt werden ſoll. Daher machen wir mit Recht den Schluß, daß die gegenſeitige gemeine Meinung ſich mehr auf die Unwiſſenheit der Euro- paͤer in den morgenlaͤndiſchen Sprachen und auf den Schall der Woͤrter, als auf die Wahrheit der Sache, gruͤndet. 3. Urſprung des osmaniſchen Geſchlechts. Es ſcheinet den beruͤhmteſten Geſchlechtern in der Welt eigen zu ſeyn, daß ſie entweder einen ungewiſſen, oder einen fabelhaften Urſprung haben. Wenn wir den erſten Anfang der edelſten Haͤuſer unter den Griechen, Perſern und Roͤmern betrachten: was treffen wir anderes an, als Maͤhrleine und laͤcherliche Erdichtungen der Poeten von ihrem Urſprunge? Da es nun bey den beſtunterrichteten Voͤlkern auf der Welt alſo ergangen iſt: was kann man wol von Barbarn erwarten, die in gelehrten Sachen ganz unerfahren ſind? Ungeachtet bald nach Grundlegung dieſes Reichs verſchiedene tuͤrkiſche Schrift- ſteller fabelhafte Geſchichte aufgeſetzet haben; zum Beyſpiele das Tewarichi Oliosman (daraus einige der chriſtlichen Verfaſſer ihre Zeitrechnung der Os- manen geborget zu haben ſcheinen): ſo werden doch dieſelben von den Tuͤrken nicht gutgeheißen, ſondern vielmehr in dem Tadſchuͤt-Tewarich auf das heftigſte durchgezogen. So leſen wir, daß einige die Aufnahme des tuͤrkiſchen Reichs von dem Untergange der tatariſchen Herrſchaft, andere aber von einer Bande Raͤuber, herleiten; und wir treffen ſehr wenige an, die den wahren Urſprung desjenigen Geſchlechtes, das itzo auf dem Throne ſitzet, entdecket haben. 1. Was diejenigen betrifft, die den Wachsthum der tuͤrkiſchen Herrſchaft von dem Untergange des tatariſchen Reichs anheben: ſo dichten dieſelben (damit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/50
Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/50>, abgerufen am 21.11.2024.