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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
lieber sterben, als gestatten, daß der Kaiser von Deutschland die Unterthanen
des osmanischen Reichs ungestraft unterdrückte. Des Sultans Mutter 36,
die der gegenseitigen Meinung gewesen war, ließ sich durch den Weßir gewin-
nen, mit der Hoffnung, die er derselben machte, daß ihr Paschmaklik 37 von den
künftigen Eroberungen mit drey hundert Beuteln sollte vermehret werden.
[Spaltenumbruch]
wie man dieses bey der Absetzung des Sultan
Muhämmeds deutlich gesehen hat.
36 des Sultans Mutter] Walide Sul-
tan. Diese Benennung ist der Mutter des
regierenden Sultans allein eigen; und sie
kann dieselbe nicht führen, ehe ihr Sohn zur
kaiserlichen Würde gelanget, oder nachdem
derselbe abgesetzet ist: wiewol es sonst nie-
mals, als bey Muhämmed Fatih und Selim
Jawuß geschehen ist, daß ein Sohn bey sei-
nes Vaters Lebzeiten den Thron bestiegen hat.
Die Sultane haben iederzeit große Hochach-
tung gegen ihre Mütter bezeiget, und dieses
zufolge den göttlichen Gesetzen und den Gebo-
ten des Kurons. Sie können nicht allein
in dem Seraj viele Dinge nach Belieben ein-
führen und ändern; sondern es ist auch dem
Sultan durch die Gesetze verboten, ohne Ein-
willigung seiner Mutter bey einem von denen
Frauenzimmern, die daselbst verwahret wer-
den, zu liegen. So lange, als das Fest Bäj-
ram währet, bringet die Mutter des Sultans
alle Tage eine schöne Jungfer, die wohl ge-
zogen, herrlich gekleidet und mit Edelsteinen
ausgeschmücket ist, ihrem Sohne zu seinem
Gebrauche in das Zimmer; und ungeachtet
der Weßir und die übrigen Paschen unter an-
dern Sachen dem Kaiser auch junge Mädchen
zum Geschenke schicken: so berühret er den-
noch keine von denselben, als die ihm von sei-
ner Mutter zugeführet werden. Wenn der
Sultan das Belieben hat, sich eine Beyschlä-
ferinn zu erwählen, die seine Mutter gar nicht
[Spaltenumbruch]
kennet: so kann er zwar dieses ohne ieman-
des Widersetzung thun; man siehet es aber
an als eine That, die den Regeln des Serajs
entgegen ist, und dadurch er gegen die Hoch-
achtung seiner Mutter handelt. Der Sultan
berathschlaget sich sehr oft mit seiner Mutter
von Statsgeschäfften; wie Sultan Muhäm-
med bekanntermaßen gethan hat: und manch-
mal hält sie auch Unterredungen mit dem
Weßire und Müfti (mit einer Decke vor dem
Angesichte, daß man sie nicht sehen kann),
und empfiehlet ihnen, ihrem Sohne getreu
zu seyn. Wann dieselbe krank ist: so wird
der Häkjim Efendi oder oberste Arzt zu ihr
in das Schlafzimmer geführet; er spricht aber
mit ihr durch einen Vorhang, der rings um
das Bette herum gezogen ist. Und wenn er
nöthig hat, ihr den Puls zu fühlen: so ge-
schiehet es durch ein Stück zartes Leinwands,
das ihr über den Arm geleget wird; denn es
wird für ein Verbrechen gehalten, wenn eine
Mannsperson die Sultane, es mag in Krank-
heiten oder in gesunden Tagen seyn, sehen
sollte. Ihre Einkünfte erstrecken sich auf mehr
als tausend Beutel, die aus den Landschaften
des Reiches erhoben werden, und zu deren
Einsammlung ein Beamter bestellet ist, Kjet-
chudai Walide Sultan genennet, das eine be-
sondere Ehrenstelle ist. Dieses Geld wendet
sie an, wie es ihr gefället. Manchmal, wann
Noth vorhanden ist, strecket sie der Schatz-
kammer Geld vor: zu anderer Zeit lässet sie
zum Dienste des Reiches Soldaten anwerben;
wie von der Mutter des gegenwärtigen Kai-

Nach

Osmaniſche Geſchichte
lieber ſterben, als geſtatten, daß der Kaiſer von Deutſchland die Unterthanen
des osmaniſchen Reichs ungeſtraft unterdruͤckte. Des Sultans Mutter 36,
die der gegenſeitigen Meinung geweſen war, ließ ſich durch den Weßir gewin-
nen, mit der Hoffnung, die er derſelben machte, daß ihr Paſchmaklik 37 von den
kuͤnftigen Eroberungen mit drey hundert Beuteln ſollte vermehret werden.
[Spaltenumbruch]
wie man dieſes bey der Abſetzung des Sultan
Muhaͤmmeds deutlich geſehen hat.
36 des Sultans Mutter] Walide Sul-
tan. Dieſe Benennung iſt der Mutter des
regierenden Sultans allein eigen; und ſie
kann dieſelbe nicht fuͤhren, ehe ihr Sohn zur
kaiſerlichen Wuͤrde gelanget, oder nachdem
derſelbe abgeſetzet iſt: wiewol es ſonſt nie-
mals, als bey Muhaͤmmed Fatih und Selim
Jawuß geſchehen iſt, daß ein Sohn bey ſei-
nes Vaters Lebzeiten den Thron beſtiegen hat.
Die Sultane haben iederzeit große Hochach-
tung gegen ihre Muͤtter bezeiget, und dieſes
zufolge den goͤttlichen Geſetzen und den Gebo-
ten des Kurons. Sie koͤnnen nicht allein
in dem Seraj viele Dinge nach Belieben ein-
fuͤhren und aͤndern; ſondern es iſt auch dem
Sultan durch die Geſetze verboten, ohne Ein-
willigung ſeiner Mutter bey einem von denen
Frauenzimmern, die daſelbſt verwahret wer-
den, zu liegen. So lange, als das Feſt Baͤj-
ram waͤhret, bringet die Mutter des Sultans
alle Tage eine ſchoͤne Jungfer, die wohl ge-
zogen, herrlich gekleidet und mit Edelſteinen
ausgeſchmuͤcket iſt, ihrem Sohne zu ſeinem
Gebrauche in das Zimmer; und ungeachtet
der Weßir und die uͤbrigen Paſchen unter an-
dern Sachen dem Kaiſer auch junge Maͤdchen
zum Geſchenke ſchicken: ſo beruͤhret er den-
noch keine von denſelben, als die ihm von ſei-
ner Mutter zugefuͤhret werden. Wenn der
Sultan das Belieben hat, ſich eine Beyſchlaͤ-
ferinn zu erwaͤhlen, die ſeine Mutter gar nicht
[Spaltenumbruch]
kennet: ſo kann er zwar dieſes ohne ieman-
des Widerſetzung thun; man ſiehet es aber
an als eine That, die den Regeln des Serajs
entgegen iſt, und dadurch er gegen die Hoch-
achtung ſeiner Mutter handelt. Der Sultan
berathſchlaget ſich ſehr oft mit ſeiner Mutter
von Statsgeſchaͤfften; wie Sultan Muhaͤm-
med bekanntermaßen gethan hat: und manch-
mal haͤlt ſie auch Unterredungen mit dem
Weßire und Muͤfti (mit einer Decke vor dem
Angeſichte, daß man ſie nicht ſehen kann),
und empfiehlet ihnen, ihrem Sohne getreu
zu ſeyn. Wann dieſelbe krank iſt: ſo wird
der Haͤkjim Efendi oder oberſte Arzt zu ihr
in das Schlafzimmer gefuͤhret; er ſpricht aber
mit ihr durch einen Vorhang, der rings um
das Bette herum gezogen iſt. Und wenn er
noͤthig hat, ihr den Puls zu fuͤhlen: ſo ge-
ſchiehet es durch ein Stuͤck zartes Leinwands,
das ihr uͤber den Arm geleget wird; denn es
wird fuͤr ein Verbrechen gehalten, wenn eine
Mannsperſon die Sultane, es mag in Krank-
heiten oder in geſunden Tagen ſeyn, ſehen
ſollte. Ihre Einkuͤnfte erſtrecken ſich auf mehr
als tauſend Beutel, die aus den Landſchaften
des Reiches erhoben werden, und zu deren
Einſammlung ein Beamter beſtellet iſt, Kjet-
chudai Walide Sultan genennet, das eine be-
ſondere Ehrenſtelle iſt. Dieſes Geld wendet
ſie an, wie es ihr gefaͤllet. Manchmal, wann
Noth vorhanden iſt, ſtrecket ſie der Schatz-
kammer Geld vor: zu anderer Zeit laͤſſet ſie
zum Dienſte des Reiches Soldaten anwerben;
wie von der Mutter des gegenwaͤrtigen Kai-

Nach
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[454/0562] Osmaniſche Geſchichte lieber ſterben, als geſtatten, daß der Kaiſer von Deutſchland die Unterthanen des osmaniſchen Reichs ungeſtraft unterdruͤckte. Des Sultans Mutter ³⁶ , die der gegenſeitigen Meinung geweſen war, ließ ſich durch den Weßir gewin- nen, mit der Hoffnung, die er derſelben machte, daß ihr Paſchmaklik ³⁷ von den kuͤnftigen Eroberungen mit drey hundert Beuteln ſollte vermehret werden. Nach wie man dieſes bey der Abſetzung des Sultan Muhaͤmmeds deutlich geſehen hat. ³⁶ des Sultans Mutter] Walide Sul- tan. Dieſe Benennung iſt der Mutter des regierenden Sultans allein eigen; und ſie kann dieſelbe nicht fuͤhren, ehe ihr Sohn zur kaiſerlichen Wuͤrde gelanget, oder nachdem derſelbe abgeſetzet iſt: wiewol es ſonſt nie- mals, als bey Muhaͤmmed Fatih und Selim Jawuß geſchehen iſt, daß ein Sohn bey ſei- nes Vaters Lebzeiten den Thron beſtiegen hat. Die Sultane haben iederzeit große Hochach- tung gegen ihre Muͤtter bezeiget, und dieſes zufolge den goͤttlichen Geſetzen und den Gebo- ten des Kurons. Sie koͤnnen nicht allein in dem Seraj viele Dinge nach Belieben ein- fuͤhren und aͤndern; ſondern es iſt auch dem Sultan durch die Geſetze verboten, ohne Ein- willigung ſeiner Mutter bey einem von denen Frauenzimmern, die daſelbſt verwahret wer- den, zu liegen. So lange, als das Feſt Baͤj- ram waͤhret, bringet die Mutter des Sultans alle Tage eine ſchoͤne Jungfer, die wohl ge- zogen, herrlich gekleidet und mit Edelſteinen ausgeſchmuͤcket iſt, ihrem Sohne zu ſeinem Gebrauche in das Zimmer; und ungeachtet der Weßir und die uͤbrigen Paſchen unter an- dern Sachen dem Kaiſer auch junge Maͤdchen zum Geſchenke ſchicken: ſo beruͤhret er den- noch keine von denſelben, als die ihm von ſei- ner Mutter zugefuͤhret werden. Wenn der Sultan das Belieben hat, ſich eine Beyſchlaͤ- ferinn zu erwaͤhlen, die ſeine Mutter gar nicht kennet: ſo kann er zwar dieſes ohne ieman- des Widerſetzung thun; man ſiehet es aber an als eine That, die den Regeln des Serajs entgegen iſt, und dadurch er gegen die Hoch- achtung ſeiner Mutter handelt. Der Sultan berathſchlaget ſich ſehr oft mit ſeiner Mutter von Statsgeſchaͤfften; wie Sultan Muhaͤm- med bekanntermaßen gethan hat: und manch- mal haͤlt ſie auch Unterredungen mit dem Weßire und Muͤfti (mit einer Decke vor dem Angeſichte, daß man ſie nicht ſehen kann), und empfiehlet ihnen, ihrem Sohne getreu zu ſeyn. Wann dieſelbe krank iſt: ſo wird der Haͤkjim Efendi oder oberſte Arzt zu ihr in das Schlafzimmer gefuͤhret; er ſpricht aber mit ihr durch einen Vorhang, der rings um das Bette herum gezogen iſt. Und wenn er noͤthig hat, ihr den Puls zu fuͤhlen: ſo ge- ſchiehet es durch ein Stuͤck zartes Leinwands, das ihr uͤber den Arm geleget wird; denn es wird fuͤr ein Verbrechen gehalten, wenn eine Mannsperſon die Sultane, es mag in Krank- heiten oder in geſunden Tagen ſeyn, ſehen ſollte. Ihre Einkuͤnfte erſtrecken ſich auf mehr als tauſend Beutel, die aus den Landſchaften des Reiches erhoben werden, und zu deren Einſammlung ein Beamter beſtellet iſt, Kjet- chudai Walide Sultan genennet, das eine be- ſondere Ehrenſtelle iſt. Dieſes Geld wendet ſie an, wie es ihr gefaͤllet. Manchmal, wann Noth vorhanden iſt, ſtrecket ſie der Schatz- kammer Geld vor: zu anderer Zeit laͤſſet ſie zum Dienſte des Reiches Soldaten anwerben; wie von der Mutter des gegenwaͤrtigen Kai- ſers,

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/562>, abgerufen am 22.11.2024.