Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.Osmanische Geschichte nebst einigen andern, die um sein Vorhaben Mitwissen hatten, ums Leben brin-gen lassen; und der Sultan hatte dieses in seinem Antwortschreiben gutgeheißen. Nun waren noch einige übrig, die der Weßir nicht das Herz gehabt hatte mit den übrigen zugleich zu bestrafen; aus Furcht, die große Anzahl der Hingerich- teten möchte bey dem Sultane einen Argwohn erwecken. Diese suchte er nach- her durch Versprechungen an sich zu ziehen, um zu verhindern, daß sie ihn nicht anklagen sollten. Inzwischen hielte er es doch nicht der Klugheit gemäß zu seyn, daß er sie leben ließe; weil er auf diese Weise beständig Ursache gehabt hätte sich zu fürchten, sie möchten von seinen Feinden bestochen werden, und dasjenige offenbaren, was zwischen ihnen vorgegangen war. Es war aber doch nöthig, einigen Vorwand anzuführen, warum man ihnen das Leben nähme: denn die- jenigen, die die Niederlage bey Wien sollten veranlasset haben, waren bereits alle hingerichtet; und also schiene es ungerecht zu seyn, wenn man solche Personen, welche einmal losgesprochen worden, wiederum zur Rechenschaft ziehen wollte. Weil nun derselbe keine scheinbare Ursache ausfündig machen noch ausdenken konnte: so gab er dem Sultan durch Briefe ingeheim zu erkennen; der Aga der Jeng-itscheri und die andern Paschen, die er mit Namen nennete, hätten sich abermals seinen Befehlen ungehorsam bezeiget, und seine ihnen erwiesene Gnade, da er ihnen ihre übele Aufführung bey der Belagerung von Wien vergeben hätte, nicht dazu angewendet, sich zu bessern, sondern in ihrem halsstarrigen Vorha- ben, das Reich zu Grunde zu richten, sich zu bestärken. Seine Majestät hät- ten ihm zwar die Gewalt verliehen, alle Kriegsbefehlhaber, es seyen welche es wollten, wenn er sie schuldig befinden würde, zu bestrafen: er wollte sich aber dieser Gewalt nicht gerne gebrauchen, damit nicht seine Feinde daher Gelegen- heit nehmen möchten, ihn unverschuldeter Weise anzuklagen; und bäte sich da- her seiner Majestät beliebige Befehle wegen derselben aus. und die falschen Vorstellungen des Weßirs wer-den entdecket. 94. Ungeachtet nun diese Vorstellungen vielen Schein hatten: so trafen 63 Kara Ibrahim] Dieser Mann war anfangs Kjetchudabegj bey Kara Mustäfa Pascha: hernach, als dieser den tschehrinischen Feldzug that, wurde er zum Kaimmäkam be- [Spaltenumbruch] stellet. Bey diesen Aemtern bezeigte er sich dergestalt hochmüthig und unruhig, daß sowol Türken als Christen mit seiner Erhebung übel zufrieden waren. Nachdem er aber Weßir sendet
Osmaniſche Geſchichte nebſt einigen andern, die um ſein Vorhaben Mitwiſſen hatten, ums Leben brin-gen laſſen; und der Sultan hatte dieſes in ſeinem Antwortſchreiben gutgeheißen. Nun waren noch einige uͤbrig, die der Weßir nicht das Herz gehabt hatte mit den uͤbrigen zugleich zu beſtrafen; aus Furcht, die große Anzahl der Hingerich- teten moͤchte bey dem Sultane einen Argwohn erwecken. Dieſe ſuchte er nach- her durch Verſprechungen an ſich zu ziehen, um zu verhindern, daß ſie ihn nicht anklagen ſollten. Inzwiſchen hielte er es doch nicht der Klugheit gemaͤß zu ſeyn, daß er ſie leben ließe; weil er auf dieſe Weiſe beſtaͤndig Urſache gehabt haͤtte ſich zu fuͤrchten, ſie moͤchten von ſeinen Feinden beſtochen werden, und dasjenige offenbaren, was zwiſchen ihnen vorgegangen war. Es war aber doch noͤthig, einigen Vorwand anzufuͤhren, warum man ihnen das Leben naͤhme: denn die- jenigen, die die Niederlage bey Wien ſollten veranlaſſet haben, waren bereits alle hingerichtet; und alſo ſchiene es ungerecht zu ſeyn, wenn man ſolche Perſonen, welche einmal losgeſprochen worden, wiederum zur Rechenſchaft ziehen wollte. Weil nun derſelbe keine ſcheinbare Urſache ausfuͤndig machen noch ausdenken konnte: ſo gab er dem Sultan durch Briefe ingeheim zu erkennen; der Aga der Jeng-itſcheri und die andern Paſchen, die er mit Namen nennete, haͤtten ſich abermals ſeinen Befehlen ungehorſam bezeiget, und ſeine ihnen erwieſene Gnade, da er ihnen ihre uͤbele Auffuͤhrung bey der Belagerung von Wien vergeben haͤtte, nicht dazu angewendet, ſich zu beſſern, ſondern in ihrem halsſtarrigen Vorha- ben, das Reich zu Grunde zu richten, ſich zu beſtaͤrken. Seine Majeſtaͤt haͤt- ten ihm zwar die Gewalt verliehen, alle Kriegsbefehlhaber, es ſeyen welche es wollten, wenn er ſie ſchuldig befinden wuͤrde, zu beſtrafen: er wollte ſich aber dieſer Gewalt nicht gerne gebrauchen, damit nicht ſeine Feinde daher Gelegen- heit nehmen moͤchten, ihn unverſchuldeter Weiſe anzuklagen; und baͤte ſich da- her ſeiner Majeſtaͤt beliebige Befehle wegen derſelben aus. und die falſchen Vorſtellungen des Weßirs wer-den entdecket. 94. Ungeachtet nun dieſe Vorſtellungen vielen Schein hatten: ſo trafen 63 Kara Ibrahim] Dieſer Mann war anfangs Kjetchudabegj bey Kara Muſtaͤfa Paſcha: hernach, als dieſer den tſchehriniſchen Feldzug that, wurde er zum Kaimmaͤkam be- [Spaltenumbruch] ſtellet. Bey dieſen Aemtern bezeigte er ſich dergeſtalt hochmuͤthig und unruhig, daß ſowol Tuͤrken als Chriſten mit ſeiner Erhebung uͤbel zufrieden waren. Nachdem er aber Weßir ſendet
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Osmaniſche Geſchichte
nebſt einigen andern, die um ſein Vorhaben Mitwiſſen hatten, ums Leben brin-
gen laſſen; und der Sultan hatte dieſes in ſeinem Antwortſchreiben gutgeheißen.
Nun waren noch einige uͤbrig, die der Weßir nicht das Herz gehabt hatte mit
den uͤbrigen zugleich zu beſtrafen; aus Furcht, die große Anzahl der Hingerich-
teten moͤchte bey dem Sultane einen Argwohn erwecken. Dieſe ſuchte er nach-
her durch Verſprechungen an ſich zu ziehen, um zu verhindern, daß ſie ihn nicht
anklagen ſollten. Inzwiſchen hielte er es doch nicht der Klugheit gemaͤß zu ſeyn,
daß er ſie leben ließe; weil er auf dieſe Weiſe beſtaͤndig Urſache gehabt haͤtte
ſich zu fuͤrchten, ſie moͤchten von ſeinen Feinden beſtochen werden, und dasjenige
offenbaren, was zwiſchen ihnen vorgegangen war. Es war aber doch noͤthig,
einigen Vorwand anzufuͤhren, warum man ihnen das Leben naͤhme: denn die-
jenigen, die die Niederlage bey Wien ſollten veranlaſſet haben, waren bereits alle
hingerichtet; und alſo ſchiene es ungerecht zu ſeyn, wenn man ſolche Perſonen,
welche einmal losgeſprochen worden, wiederum zur Rechenſchaft ziehen wollte.
Weil nun derſelbe keine ſcheinbare Urſache ausfuͤndig machen noch ausdenken
konnte: ſo gab er dem Sultan durch Briefe ingeheim zu erkennen; der Aga
der Jeng-itſcheri und die andern Paſchen, die er mit Namen nennete, haͤtten ſich
abermals ſeinen Befehlen ungehorſam bezeiget, und ſeine ihnen erwieſene Gnade,
da er ihnen ihre uͤbele Auffuͤhrung bey der Belagerung von Wien vergeben haͤtte,
nicht dazu angewendet, ſich zu beſſern, ſondern in ihrem halsſtarrigen Vorha-
ben, das Reich zu Grunde zu richten, ſich zu beſtaͤrken. Seine Majeſtaͤt haͤt-
ten ihm zwar die Gewalt verliehen, alle Kriegsbefehlhaber, es ſeyen welche es
wollten, wenn er ſie ſchuldig befinden wuͤrde, zu beſtrafen: er wollte ſich aber
dieſer Gewalt nicht gerne gebrauchen, damit nicht ſeine Feinde daher Gelegen-
heit nehmen moͤchten, ihn unverſchuldeter Weiſe anzuklagen; und baͤte ſich da-
her ſeiner Majeſtaͤt beliebige Befehle wegen derſelben aus.
94. Ungeachtet nun dieſe Vorſtellungen vielen Schein hatten: ſo trafen
doch dieſelben den osmaniſchen Hof dergeſtalt veraͤndert an, daß der Weßir,
anſtatt ſein Verlangen erfuͤllet zu ſehen, unbedachtſamer Weiſe die Gelegenheit
zu ſeinem eigenen Untergange an die Hand gab. Naͤmlich, es waren dem Hofe
durch andere Kriegsbefehlhaber, die bey der Belagerung von Wien gegenwaͤr-
tig geweſen waren, getreuere Nachrichten von den daſigen Verrichtungen zuge-
ſendet
⁶³ Kara Ibrahim] Dieſer Mann war
anfangs Kjetchudabegj bey Kara Muſtaͤfa
Paſcha: hernach, als dieſer den tſchehriniſchen
Feldzug that, wurde er zum Kaimmaͤkam be-
ſtellet. Bey dieſen Aemtern bezeigte er ſich
dergeſtalt hochmuͤthig und unruhig, daß ſowol
Tuͤrken als Chriſten mit ſeiner Erhebung uͤbel
zufrieden waren. Nachdem er aber Weßir
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