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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
zu sich bescheiden, und befahl den Auslegern des Gesetzes, ihre Meinung zu sa-
gen: ob es recht sey, daß man die Deutschen um Frieden bitte; oder ob man
dasjenige, dessen die Verbundenen sich unrechtmäßiger Weise bemächtiget haben,
durch Gewalt der Waffen wieder zu erobern suchen solle? Der Müfti erklärete
zuerst: es sey dem göttlichen Gesetze nicht zuwider, auch selbst die Unglaubigen
zur Zeit der Noth um Frieden zu bitten. Eben diese Meinung bekräftigte Rum-
ili Kaßijüläskjer. Der asiatische Kaßijüläskjer aber setzte sich (entweder auf
Anstiften des Weßirs, oder, weil er versichert war, daß sein Sprengel außer Ge-
fahr sey) derselben entgegen, und behauptete: es sey eher zu rathen, daß alle
Müsülmanen sich durch des Feindes Schwert umbringen ließen, als daß sie
den Gjawrn ein Ejüwallah machten; denn man könne sich keine abscheulichere
Sünde gedenken, dadurch die Ehre des Propheten und des Kurons mehr ver-
letzet werde, als diese. Der Weßir billigte die Rede des Anadol Kaßijüläskjers,
und sagte: "So oft ich auch unsere Aufführung die letzten sieben Jahre hin-
"durch gegen den Kaiser von Deutschland mit Aufmerksamkeit erwäget habe:
"so kann ich mich doch über den Unverstand unserer Feldherren, über die Blind-
"heit unserer Rathgeber, und über die furchtsamen oder verkehrten Gemüther
"der Ausleger des Gesetzes nicht genugsam verwundern. Die Weßire und
"Seräskjer, die man wegen ihrer Klugheit so sehr gerühmet hat, ungeachtet
"sie wohl wußten, daß der Krieg gegen die Gjawr geführet werden sollte,
"haben dennoch niemals auf etwas anderes gedacht, als wie sie so große Krie-
"gesheere, als möglich sey, auf die Beine bringen möchten. Die Rathgeber
"waren bloß damit bemühet, die Schatzkammer durch allerhand Mittel anzu-
"füllen und die Soldaten mit Gelde und Kriegsvorrathe zu versehen; eben
"als wenn die Müsülmanen keine anderen Quellen des Sieges hätten, als
"ihre Waffen und ihre Schatzkammer. Die Ulema, deren Pflicht es gewesen
"wäre, sie zu erinnern und sie in ihrem irrigen Verfahren auf den rechten Weg
"zu weisen, begnügten sich an ihren Besoldungen, und zogen die Gemächlich-
"keit der Arbeit vor; ohne sich im mindesten darum zu bekümmern, ob der
"osmanische Stat übel verwaltet werde, oder nicht. Da es nun diesen Um-
"ständen nach nicht anders seyn konnte, als daß das Reich in das allerkläg-
"lichste Elend geriethe: so ließen sie sich doch niemals einfallen, die Quelle
"desselben wegzuräumen, dadurch nämlich, daß sie die Laster des Volks zu ver-
"bessern gesuchet hätten; sondern bestätigten sogleich durch ihre Einwilligung
"den Vorschlag eines Friedens, und wollten die wahren Müsülmanen fast
"zu demselben zwingen. Da aber Gott durch diesen Unglauben noch mehr
"gereizet wurde, und ihnen einen Frieden auf rühmliche Bedingungen versagte:
"so fielen sie augenblicklich wieder auf ihre alte Gewohnheit, und schoben die
"Schuld, die sie den Unterthanen hätten beymessen sollen, auf die Kaiser.

"Nach-

Osmaniſche Geſchichte
zu ſich beſcheiden, und befahl den Auslegern des Geſetzes, ihre Meinung zu ſa-
gen: ob es recht ſey, daß man die Deutſchen um Frieden bitte; oder ob man
dasjenige, deſſen die Verbundenen ſich unrechtmaͤßiger Weiſe bemaͤchtiget haben,
durch Gewalt der Waffen wieder zu erobern ſuchen ſolle? Der Muͤfti erklaͤrete
zuerſt: es ſey dem goͤttlichen Geſetze nicht zuwider, auch ſelbſt die Unglaubigen
zur Zeit der Noth um Frieden zu bitten. Eben dieſe Meinung bekraͤftigte Rum-
ili Kaßijuͤlaͤskjer. Der aſiatiſche Kaßijuͤlaͤskjer aber ſetzte ſich (entweder auf
Anſtiften des Weßirs, oder, weil er verſichert war, daß ſein Sprengel außer Ge-
fahr ſey) derſelben entgegen, und behauptete: es ſey eher zu rathen, daß alle
Muͤſuͤlmanen ſich durch des Feindes Schwert umbringen ließen, als daß ſie
den Gjawrn ein Ejuͤwallah machten; denn man koͤnne ſich keine abſcheulichere
Suͤnde gedenken, dadurch die Ehre des Propheten und des Kurons mehr ver-
letzet werde, als dieſe. Der Weßir billigte die Rede des Anadol Kaßijuͤlaͤskjers,
und ſagte: “So oft ich auch unſere Auffuͤhrung die letzten ſieben Jahre hin-
“durch gegen den Kaiſer von Deutſchland mit Aufmerkſamkeit erwaͤget habe:
“ſo kann ich mich doch uͤber den Unverſtand unſerer Feldherren, uͤber die Blind-
“heit unſerer Rathgeber, und uͤber die furchtſamen oder verkehrten Gemuͤther
“der Ausleger des Geſetzes nicht genugſam verwundern. Die Weßire und
“Seraͤskjer, die man wegen ihrer Klugheit ſo ſehr geruͤhmet hat, ungeachtet
“ſie wohl wußten, daß der Krieg gegen die Gjawr gefuͤhret werden ſollte,
“haben dennoch niemals auf etwas anderes gedacht, als wie ſie ſo große Krie-
“gesheere, als moͤglich ſey, auf die Beine bringen moͤchten. Die Rathgeber
“waren bloß damit bemuͤhet, die Schatzkammer durch allerhand Mittel anzu-
“fuͤllen und die Soldaten mit Gelde und Kriegsvorrathe zu verſehen; eben
“als wenn die Muͤſuͤlmanen keine anderen Quellen des Sieges haͤtten, als
“ihre Waffen und ihre Schatzkammer. Die Ulema, deren Pflicht es geweſen
“waͤre, ſie zu erinnern und ſie in ihrem irrigen Verfahren auf den rechten Weg
“zu weiſen, begnuͤgten ſich an ihren Beſoldungen, und zogen die Gemaͤchlich-
“keit der Arbeit vor; ohne ſich im mindeſten darum zu bekuͤmmern, ob der
“osmaniſche Stat uͤbel verwaltet werde, oder nicht. Da es nun dieſen Um-
“ſtaͤnden nach nicht anders ſeyn konnte, als daß das Reich in das allerklaͤg-
“lichſte Elend geriethe: ſo ließen ſie ſich doch niemals einfallen, die Quelle
“deſſelben wegzuraͤumen, dadurch naͤmlich, daß ſie die Laſter des Volks zu ver-
“beſſern geſuchet haͤtten; ſondern beſtaͤtigten ſogleich durch ihre Einwilligung
“den Vorſchlag eines Friedens, und wollten die wahren Muͤſuͤlmanen faſt
“zu demſelben zwingen. Da aber Gott durch dieſen Unglauben noch mehr
“gereizet wurde, und ihnen einen Frieden auf ruͤhmliche Bedingungen verſagte:
“ſo fielen ſie augenblicklich wieder auf ihre alte Gewohnheit, und ſchoben die
“Schuld, die ſie den Unterthanen haͤtten beymeſſen ſollen, auf die Kaiſer.

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[590/0700] Osmaniſche Geſchichte zu ſich beſcheiden, und befahl den Auslegern des Geſetzes, ihre Meinung zu ſa- gen: ob es recht ſey, daß man die Deutſchen um Frieden bitte; oder ob man dasjenige, deſſen die Verbundenen ſich unrechtmaͤßiger Weiſe bemaͤchtiget haben, durch Gewalt der Waffen wieder zu erobern ſuchen ſolle? Der Muͤfti erklaͤrete zuerſt: es ſey dem goͤttlichen Geſetze nicht zuwider, auch ſelbſt die Unglaubigen zur Zeit der Noth um Frieden zu bitten. Eben dieſe Meinung bekraͤftigte Rum- ili Kaßijuͤlaͤskjer. Der aſiatiſche Kaßijuͤlaͤskjer aber ſetzte ſich (entweder auf Anſtiften des Weßirs, oder, weil er verſichert war, daß ſein Sprengel außer Ge- fahr ſey) derſelben entgegen, und behauptete: es ſey eher zu rathen, daß alle Muͤſuͤlmanen ſich durch des Feindes Schwert umbringen ließen, als daß ſie den Gjawrn ein Ejuͤwallah machten; denn man koͤnne ſich keine abſcheulichere Suͤnde gedenken, dadurch die Ehre des Propheten und des Kurons mehr ver- letzet werde, als dieſe. Der Weßir billigte die Rede des Anadol Kaßijuͤlaͤskjers, und ſagte: “So oft ich auch unſere Auffuͤhrung die letzten ſieben Jahre hin- “durch gegen den Kaiſer von Deutſchland mit Aufmerkſamkeit erwaͤget habe: “ſo kann ich mich doch uͤber den Unverſtand unſerer Feldherren, uͤber die Blind- “heit unſerer Rathgeber, und uͤber die furchtſamen oder verkehrten Gemuͤther “der Ausleger des Geſetzes nicht genugſam verwundern. Die Weßire und “Seraͤskjer, die man wegen ihrer Klugheit ſo ſehr geruͤhmet hat, ungeachtet “ſie wohl wußten, daß der Krieg gegen die Gjawr gefuͤhret werden ſollte, “haben dennoch niemals auf etwas anderes gedacht, als wie ſie ſo große Krie- “gesheere, als moͤglich ſey, auf die Beine bringen moͤchten. Die Rathgeber “waren bloß damit bemuͤhet, die Schatzkammer durch allerhand Mittel anzu- “fuͤllen und die Soldaten mit Gelde und Kriegsvorrathe zu verſehen; eben “als wenn die Muͤſuͤlmanen keine anderen Quellen des Sieges haͤtten, als “ihre Waffen und ihre Schatzkammer. Die Ulema, deren Pflicht es geweſen “waͤre, ſie zu erinnern und ſie in ihrem irrigen Verfahren auf den rechten Weg “zu weiſen, begnuͤgten ſich an ihren Beſoldungen, und zogen die Gemaͤchlich- “keit der Arbeit vor; ohne ſich im mindeſten darum zu bekuͤmmern, ob der “osmaniſche Stat uͤbel verwaltet werde, oder nicht. Da es nun dieſen Um- “ſtaͤnden nach nicht anders ſeyn konnte, als daß das Reich in das allerklaͤg- “lichſte Elend geriethe: ſo ließen ſie ſich doch niemals einfallen, die Quelle “deſſelben wegzuraͤumen, dadurch naͤmlich, daß ſie die Laſter des Volks zu ver- “beſſern geſuchet haͤtten; ſondern beſtaͤtigten ſogleich durch ihre Einwilligung “den Vorſchlag eines Friedens, und wollten die wahren Muͤſuͤlmanen faſt “zu demſelben zwingen. Da aber Gott durch dieſen Unglauben noch mehr “gereizet wurde, und ihnen einen Frieden auf ruͤhmliche Bedingungen verſagte: “ſo fielen ſie augenblicklich wieder auf ihre alte Gewohnheit, und ſchoben die “Schuld, die ſie den Unterthanen haͤtten beymeſſen ſollen, auf die Kaiſer. “Nach-

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/700>, abgerufen am 22.11.2024.