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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
der alle Fürsten seines Volkes an edler Geburt, Ruhme der Vorfahrer und
H. 611.


J. C. 1214.
eigenen Tugenden übertraf; im Jahre der Hidschret 611 nach Nischrins Zeit-
rechnung [und nach der christlichen Zeitrechnung, im Jahre 1214] durch das
Beyspiel und Glück Dschingjiß Chans angetrieben wurde, mit ungefähr funfzig
tausend auserlesenen Tatarn von ogußischem Stamme, seine alten Wohnungen
zu verlassen, und gegen Europa 10 einen Zug vorzunehmen, um sich einen neuen
Wohnplatz auszusuchen.

Seine Erobe-
rungen,

Sülejman Schah drang also mit großer Geschwindigkeit und eben so
gutem Fortgange in die Landschaft Oßerbedschan 11 ein, die an Syrien grenzet,
und machte sich sowol durch die Gewalt der Waffen, als durch Hülfe des er-
schollenen Gerüchts von seinen Thaten, von allem Meister, was er unterweges
antraf, bis nach Ahlad, eine Landschaft und Stadt in Großarmenien. Weil
aber die dschingjißischen Tatarn mit unerhörter Wut und Grausamkeit alles
[Spaltenumbruch]

der Vorrede gezeiget haben) "um das Leben
"gekommen war: so wurde die Befehlha-
"bung über die Heere unter seine zweene
"Söhne, Chalaus und Telepugas, vertheilet."
So weit Gregoras, über dessen Worte wir
unserer Absicht gemäß die Anmerkung machen,
daß die [fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt] oder das erste oder
äußerste Scythien, wie er es nennet, eben
dasjenige Land ist, das itzo die große Tatarey
heißet: und obzwar die Geschichtschreiber den
Einwohnern derselben mancherley Namen
beygeleget haben; so sind doch dieselben mehr
von andern aufgegebene Beynamen, als daß
sie ihnen eigentlich und besonders zukommen
sollten, so lange sie noch in ihren alten Woh-
nungen blieben. Wenn also der Leser in der
Vorrede zu der gegenwärtigen Geschichte fin-
det, daß das ogußische Geschlecht sich in zwo
Linien, die oliosmanische und die olidschingji-
ßische, getheilet habe: so muß sich derselbe
nicht einbilden, als wenn diese Eintheilung
bey den Lebzeiten der Stifter dieser Linien auf-
gekommen wäre. Denn so ungereimt es
seyn würde zu sagen, daß die Oliosmanen
unter Sülejmans Befehlhabung, einen Ra-
[Spaltenumbruch]
men von dessen Enkel sollten angenommen
haben, der erst hundert Jahre hernach regieret
hat: eben so falsch ist es auch, wann man
insgemein vorgiebt, daß die Fürsten der kri-
mischen Tatarey die Benennung Olidschingjiß
von Dschingjiß Chan selbst beybehalten hät-
ten. Denn es wurde nicht eher gebräuchlich,
sie mit diesem Namen zu benennen, als bis
die Osmanen sie durch ihre Waffen unter ihre
Botmäßigkeit brachten: und die Chane der-
selben führen auch ihren Ursprung nicht von
Dschingjiß Chan her; sondern von dessen En-
kel Gjiraj, der diese Gegenden zuerst erobert
hat. Und es scheinet, daß diese Fürsten erst
in den letztern Zeiten, nach dem Beyspiele der
abendländischen Kaiser (die die Gewohnheit
hatten, sich von den Stiftern ihres Reichs
Caesar (Kaiser) und Augustus (Mehrer) zu
nennen), angefangen haben die Namen ihrer
heldenmäßigen Vorfahrer anzunehmen und
auf ihre Nachkommen zu bringen: die Tür-
ken nämlich den Namen Osman, und die
Tatarn den Namen Gjiraj. Von dieser ein-
geführten Gewohnheit an setzen die Chane in
der Tatarey ihren eigenen Namen iederzeit

vor

Osmaniſche Geſchichte
der alle Fuͤrſten ſeines Volkes an edler Geburt, Ruhme der Vorfahrer und
H. 611.


J. C. 1214.
eigenen Tugenden uͤbertraf; im Jahre der Hidſchret 611 nach Niſchrins Zeit-
rechnung [und nach der chriſtlichen Zeitrechnung, im Jahre 1214] durch das
Beyſpiel und Gluͤck Dſchingjiß Chans angetrieben wurde, mit ungefaͤhr funfzig
tauſend auserleſenen Tatarn von ogußiſchem Stamme, ſeine alten Wohnungen
zu verlaſſen, und gegen Europa 10 einen Zug vorzunehmen, um ſich einen neuen
Wohnplatz auszuſuchen.

Seine Erobe-
rungen,

Suͤlejman Schah drang alſo mit großer Geſchwindigkeit und eben ſo
gutem Fortgange in die Landſchaft Oßerbedſchan 11 ein, die an Syrien grenzet,
und machte ſich ſowol durch die Gewalt der Waffen, als durch Huͤlfe des er-
ſchollenen Geruͤchts von ſeinen Thaten, von allem Meiſter, was er unterweges
antraf, bis nach Ahlad, eine Landſchaft und Stadt in Großarmenien. Weil
aber die dſchingjißiſchen Tatarn mit unerhoͤrter Wut und Grauſamkeit alles
[Spaltenumbruch]

der Vorrede gezeiget haben) “um das Leben
“gekommen war: ſo wurde die Befehlha-
“bung uͤber die Heere unter ſeine zweene
“Soͤhne, Chalaus und Telepugas, vertheilet.„
So weit Gregoras, uͤber deſſen Worte wir
unſerer Abſicht gemaͤß die Anmerkung machen,
daß die [fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt] oder das erſte oder
aͤußerſte Scythien, wie er es nennet, eben
dasjenige Land iſt, das itzo die große Tatarey
heißet: und obzwar die Geſchichtſchreiber den
Einwohnern derſelben mancherley Namen
beygeleget haben; ſo ſind doch dieſelben mehr
von andern aufgegebene Beynamen, als daß
ſie ihnen eigentlich und beſonders zukommen
ſollten, ſo lange ſie noch in ihren alten Woh-
nungen blieben. Wenn alſo der Leſer in der
Vorrede zu der gegenwaͤrtigen Geſchichte fin-
det, daß das ogußiſche Geſchlecht ſich in zwo
Linien, die oliosmaniſche und die olidſchingji-
ßiſche, getheilet habe: ſo muß ſich derſelbe
nicht einbilden, als wenn dieſe Eintheilung
bey den Lebzeiten der Stifter dieſer Linien auf-
gekommen waͤre. Denn ſo ungereimt es
ſeyn wuͤrde zu ſagen, daß die Oliosmanen
unter Suͤlejmans Befehlhabung, einen Ra-
[Spaltenumbruch]
men von deſſen Enkel ſollten angenommen
haben, der erſt hundert Jahre hernach regieret
hat: eben ſo falſch iſt es auch, wann man
insgemein vorgiebt, daß die Fuͤrſten der kri-
miſchen Tatarey die Benennung Olidſchingjiß
von Dſchingjiß Chan ſelbſt beybehalten haͤt-
ten. Denn es wurde nicht eher gebraͤuchlich,
ſie mit dieſem Namen zu benennen, als bis
die Osmanen ſie durch ihre Waffen unter ihre
Botmaͤßigkeit brachten: und die Chane der-
ſelben fuͤhren auch ihren Urſprung nicht von
Dſchingjiß Chan her; ſondern von deſſen En-
kel Gjiraj, der dieſe Gegenden zuerſt erobert
hat. Und es ſcheinet, daß dieſe Fuͤrſten erſt
in den letztern Zeiten, nach dem Beyſpiele der
abendlaͤndiſchen Kaiſer (die die Gewohnheit
hatten, ſich von den Stiftern ihres Reichs
Caeſar (Kaiſer) und Auguſtus (Mehrer) zu
nennen), angefangen haben die Namen ihrer
heldenmaͤßigen Vorfahrer anzunehmen und
auf ihre Nachkommen zu bringen: die Tuͤr-
ken naͤmlich den Namen Osman, und die
Tatarn den Namen Gjiraj. Von dieſer ein-
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der Tatarey ihren eigenen Namen iederzeit

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[8/0078] Osmaniſche Geſchichte der alle Fuͤrſten ſeines Volkes an edler Geburt, Ruhme der Vorfahrer und eigenen Tugenden uͤbertraf; im Jahre der Hidſchret 611 nach Niſchrins Zeit- rechnung [und nach der chriſtlichen Zeitrechnung, im Jahre 1214] durch das Beyſpiel und Gluͤck Dſchingjiß Chans angetrieben wurde, mit ungefaͤhr funfzig tauſend auserleſenen Tatarn von ogußiſchem Stamme, ſeine alten Wohnungen zu verlaſſen, und gegen Europa ¹⁰ einen Zug vorzunehmen, um ſich einen neuen Wohnplatz auszuſuchen. H. 611. J. C. 1214. Suͤlejman Schah drang alſo mit großer Geſchwindigkeit und eben ſo gutem Fortgange in die Landſchaft Oßerbedſchan ¹¹ ein, die an Syrien grenzet, und machte ſich ſowol durch die Gewalt der Waffen, als durch Huͤlfe des er- ſchollenen Geruͤchts von ſeinen Thaten, von allem Meiſter, was er unterweges antraf, bis nach Ahlad, eine Landſchaft und Stadt in Großarmenien. Weil aber die dſchingjißiſchen Tatarn mit unerhoͤrter Wut und Grauſamkeit alles vor der Vorrede gezeiget haben) “um das Leben “gekommen war: ſo wurde die Befehlha- “bung uͤber die Heere unter ſeine zweene “Soͤhne, Chalaus und Telepugas, vertheilet.„ So weit Gregoras, uͤber deſſen Worte wir unſerer Abſicht gemaͤß die Anmerkung machen, daß die _ oder das erſte oder aͤußerſte Scythien, wie er es nennet, eben dasjenige Land iſt, das itzo die große Tatarey heißet: und obzwar die Geſchichtſchreiber den Einwohnern derſelben mancherley Namen beygeleget haben; ſo ſind doch dieſelben mehr von andern aufgegebene Beynamen, als daß ſie ihnen eigentlich und beſonders zukommen ſollten, ſo lange ſie noch in ihren alten Woh- nungen blieben. Wenn alſo der Leſer in der Vorrede zu der gegenwaͤrtigen Geſchichte fin- det, daß das ogußiſche Geſchlecht ſich in zwo Linien, die oliosmaniſche und die olidſchingji- ßiſche, getheilet habe: ſo muß ſich derſelbe nicht einbilden, als wenn dieſe Eintheilung bey den Lebzeiten der Stifter dieſer Linien auf- gekommen waͤre. Denn ſo ungereimt es ſeyn wuͤrde zu ſagen, daß die Oliosmanen unter Suͤlejmans Befehlhabung, einen Ra- men von deſſen Enkel ſollten angenommen haben, der erſt hundert Jahre hernach regieret hat: eben ſo falſch iſt es auch, wann man insgemein vorgiebt, daß die Fuͤrſten der kri- miſchen Tatarey die Benennung Olidſchingjiß von Dſchingjiß Chan ſelbſt beybehalten haͤt- ten. Denn es wurde nicht eher gebraͤuchlich, ſie mit dieſem Namen zu benennen, als bis die Osmanen ſie durch ihre Waffen unter ihre Botmaͤßigkeit brachten: und die Chane der- ſelben fuͤhren auch ihren Urſprung nicht von Dſchingjiß Chan her; ſondern von deſſen En- kel Gjiraj, der dieſe Gegenden zuerſt erobert hat. Und es ſcheinet, daß dieſe Fuͤrſten erſt in den letztern Zeiten, nach dem Beyſpiele der abendlaͤndiſchen Kaiſer (die die Gewohnheit hatten, ſich von den Stiftern ihres Reichs Caeſar (Kaiſer) und Auguſtus (Mehrer) zu nennen), angefangen haben die Namen ihrer heldenmaͤßigen Vorfahrer anzunehmen und auf ihre Nachkommen zu bringen: die Tuͤr- ken naͤmlich den Namen Osman, und die Tatarn den Namen Gjiraj. Von dieſer ein- gefuͤhrten Gewohnheit an ſetzen die Chane in der Tatarey ihren eigenen Namen iederzeit den

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/78>, abgerufen am 24.11.2024.