Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.Osmanische Geschichte verschiedenen Wegen zerstreuen, und einem ieden seiner eigenen Sicherheit wegenbange ist; so daß er an nichts anderes gedenket, als wie er den Deutschen ent- rinnen möge, von denen sie sich alle Augenblicke einbildeten, daß sie hinter ihnen her wären. ein Gerücht aus, daß der Sultangefangen sey. 63. Während der Zeit, da die Soldaten sich mit dieser eingebildeten sich noch mehr anderes Unglückein. 64. Außer dieser Furcht wurden diejenigen, die entronnen waren, noch 27 die mächtigsten waren] So oft ich an die klägliche Unordnung selbiger Zeit ge- denke: so kann ich mich nicht enthalten, daß mich nicht ein heimlicher Schauer darüber ankommen sollte. Es war damals keine Si- cherheit anzutreffen, weder bey Freunden noch Feinden; sondern im Gegentheile die größte Verwirrung, die man sich nur vorstellen kann. Der Sultan steckte drey Tage lang in der Stadt verborgen, so daß es niemand, als der Pascha, wußte; und inzwischen ging ein flie- gendes Gerücht durch das ganze Lager hin- durch, daß er gefangen und von seinen eige- nen Unterthanen den Feinden verrathen wor- den sey. Die Truppen, die noch davon ge- kommen waren, wanderten auf und nieder, ohne Befehlhaber, ohne Anführer, und ohne Kriegeszucht, und plünderten vor Hunger alles, was sie antrafen. Weil die große [Spaltenumbruch] Dürre, die dasselbe Jahr eingefallen war, alles Wasser ausgetrocknet hatte: so waren die Pferde genöthiget, vor Durst so gar den Schlamm einzuschlucken; und wenn ein Mensch von ungefähr etwas stehendes Wasser antraf: so mußte er vorher viele andere ums Leben bringen oder verwunden, ehe er dazu kommen konnte, nur seine Lippen anzufeuch- ten, geschweige daß er hätte seinen Durst lö- schen können. Nachdem ich aus dem Treffen entronnen war und meine Gezelte nebst meinem völligen Reisezeuge davon gebracht hatte: so war ich mit den übrigen Truppen nach Te- mischwar gekommen, und legte mich daselbst mit meinem Geräthe in einen Weinberg. Hier fand ich zufälliger Weise die Oeffnung einer Quelle, die mit Erde bedecket war. Ich schlug über derselben mein Zelt auf; und nachdem ich sie bis auf den Grund gerei- kaufen
Osmaniſche Geſchichte verſchiedenen Wegen zerſtreuen, und einem ieden ſeiner eigenen Sicherheit wegenbange iſt; ſo daß er an nichts anderes gedenket, als wie er den Deutſchen ent- rinnen moͤge, von denen ſie ſich alle Augenblicke einbildeten, daß ſie hinter ihnen her waͤren. ein Geruͤcht aus, daß der Sultangefangen ſey. 63. Waͤhrend der Zeit, da die Soldaten ſich mit dieſer eingebildeten ſich noch mehr anderes Ungluͤckein. 64. Außer dieſer Furcht wurden diejenigen, die entronnen waren, noch 27 die maͤchtigſten waren] So oft ich an die klaͤgliche Unordnung ſelbiger Zeit ge- denke: ſo kann ich mich nicht enthalten, daß mich nicht ein heimlicher Schauer daruͤber ankommen ſollte. Es war damals keine Si- cherheit anzutreffen, weder bey Freunden noch Feinden; ſondern im Gegentheile die groͤßte Verwirrung, die man ſich nur vorſtellen kann. Der Sultan ſteckte drey Tage lang in der Stadt verborgen, ſo daß es niemand, als der Paſcha, wußte; und inzwiſchen ging ein flie- gendes Geruͤcht durch das ganze Lager hin- durch, daß er gefangen und von ſeinen eige- nen Unterthanen den Feinden verrathen wor- den ſey. Die Truppen, die noch davon ge- kommen waren, wanderten auf und nieder, ohne Befehlhaber, ohne Anfuͤhrer, und ohne Kriegeszucht, und pluͤnderten vor Hunger alles, was ſie antrafen. Weil die große [Spaltenumbruch] Duͤrre, die daſſelbe Jahr eingefallen war, alles Waſſer ausgetrocknet hatte: ſo waren die Pferde genoͤthiget, vor Durſt ſo gar den Schlamm einzuſchlucken; und wenn ein Menſch von ungefaͤhr etwas ſtehendes Waſſer antraf: ſo mußte er vorher viele andere ums Leben bringen oder verwunden, ehe er dazu kommen konnte, nur ſeine Lippen anzufeuch- ten, geſchweige daß er haͤtte ſeinen Durſt loͤ- ſchen koͤnnen. Nachdem ich aus dem Treffen entronnen war und meine Gezelte nebſt meinem voͤlligen Reiſezeuge davon gebracht hatte: ſo war ich mit den uͤbrigen Truppen nach Te- miſchwar gekommen, und legte mich daſelbſt mit meinem Geraͤthe in einen Weinberg. Hier fand ich zufaͤlliger Weiſe die Oeffnung einer Quelle, die mit Erde bedecket war. Ich ſchlug uͤber derſelben mein Zelt auf; und nachdem ich ſie bis auf den Grund gerei- kaufen
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Osmaniſche Geſchichte
verſchiedenen Wegen zerſtreuen, und einem ieden ſeiner eigenen Sicherheit wegen
bange iſt; ſo daß er an nichts anderes gedenket, als wie er den Deutſchen ent-
rinnen moͤge, von denen ſie ſich alle Augenblicke einbildeten, daß ſie hinter ihnen
her waͤren.
63. Waͤhrend der Zeit, da die Soldaten ſich mit dieſer eingebildeten
Furcht quaͤlen, erreichen ſie endlich am Abend Temiſchwar, deſſen Befehlhaber
die Thore vor ihnen zuſperret. Weil ſie nun noch immer keine gewiſſe Nach-
richt von dem Sultane bekommen: ſo vermehret ſich das Geruͤcht von deſſen
Gefangennehmung. Denn der Kriegsbefehlhaber dieſer Stadt hatte von dem
Sultane Befehl erhalten, ſeine Ankunft auf alle moͤgliche Weiſe zu verhehlen;
damit die Deutſchen es nicht erfahren und ihn daſelbſt einſperren moͤchten.
64. Außer dieſer Furcht wurden diejenigen, die entronnen waren, noch
von dem gewoͤhnlichen Gefaͤhrten einer Niederlage begleitet, naͤmlich dem Man-
gel an Lebensmitteln. Sie hatten alles Getreide in ihrem Lager zuruͤckgelaſſen;
weil ſie mehr fuͤr ihre Errettung, als fuͤr ihren Unterhalt, beſorget waren. Ei-
nige wenige hatten das Gluͤck, daß ſie Brod um einen uͤbermaͤßigen Preis
kaufen
²⁷ die maͤchtigſten waren] So oft ich
an die klaͤgliche Unordnung ſelbiger Zeit ge-
denke: ſo kann ich mich nicht enthalten, daß
mich nicht ein heimlicher Schauer daruͤber
ankommen ſollte. Es war damals keine Si-
cherheit anzutreffen, weder bey Freunden noch
Feinden; ſondern im Gegentheile die groͤßte
Verwirrung, die man ſich nur vorſtellen kann.
Der Sultan ſteckte drey Tage lang in der
Stadt verborgen, ſo daß es niemand, als der
Paſcha, wußte; und inzwiſchen ging ein flie-
gendes Geruͤcht durch das ganze Lager hin-
durch, daß er gefangen und von ſeinen eige-
nen Unterthanen den Feinden verrathen wor-
den ſey. Die Truppen, die noch davon ge-
kommen waren, wanderten auf und nieder,
ohne Befehlhaber, ohne Anfuͤhrer, und ohne
Kriegeszucht, und pluͤnderten vor Hunger
alles, was ſie antrafen. Weil die große
Duͤrre, die daſſelbe Jahr eingefallen war,
alles Waſſer ausgetrocknet hatte: ſo waren
die Pferde genoͤthiget, vor Durſt ſo gar den
Schlamm einzuſchlucken; und wenn ein
Menſch von ungefaͤhr etwas ſtehendes Waſſer
antraf: ſo mußte er vorher viele andere ums
Leben bringen oder verwunden, ehe er dazu
kommen konnte, nur ſeine Lippen anzufeuch-
ten, geſchweige daß er haͤtte ſeinen Durſt loͤ-
ſchen koͤnnen. Nachdem ich aus dem Treffen
entronnen war und meine Gezelte nebſt meinem
voͤlligen Reiſezeuge davon gebracht hatte: ſo
war ich mit den uͤbrigen Truppen nach Te-
miſchwar gekommen, und legte mich daſelbſt
mit meinem Geraͤthe in einen Weinberg.
Hier fand ich zufaͤlliger Weiſe die Oeffnung
einer Quelle, die mit Erde bedecket war.
Ich ſchlug uͤber derſelben mein Zelt auf;
und nachdem ich ſie bis auf den Grund gerei-
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