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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
[Spaltenumbruch]
noch den Sultan deswegen tadelte. Er hatte
eine Begierde, die Grenzen des Reichs zu er-
weitern; iedoch also, daß er den Stat um
eines schlechten Vortheils willen nicht der Ge-
fahr aussetzte. Aus dieser Ursache hatte er
vor dem Kriege einen Abscheu; weil er aus
den vorigen Schlachten zur Genüge gelernet
hatte, wie wenig Hitze und eine große Menge
gegen ein wohlgezogenes Heer der Christen
ausrichten könne. Die Russen liebte er nicht;
ja er hatte sich schon in den vorigen Zeiten
bemühet, ihnen auf allerhand Art zu schaden:
er stellete sich aber doch freundlich gegen sie;
in der Absicht, den Krieg, darum der König
von Schweden ernstlich anhielte, abzuwen-
den. Endlich, da er von dem Könige
von Schweden des Verraths angeklagt, und
aus den in der Geschichte angeführten Ursa-
chen abgesetzet wurde: erhielte er anfangs
von dem Sultane die Erlaubniß, in einem
Palaste, den er in der Vorstadt Ejjub hatte,
für sich zu leben. Als ihn hier einige Per-
sonen des ersten Ranges besuchten: so stichelte
er mit allzu großer Kühnheit auf den Sultan,
und sagte unter andern; es bekümmere ihn
nicht, daß ihm das Weßiramt genommen
worden sey, als welches er in der That für
eine schwere Last ansehe: aber das beküm-
mere ihn nur, daß er seiner Seele Wohlfahrt
um des Sultans willen verscherzet, und viele
reichen Bürger in die äußerste Armuth ge-
bracht habe; dadurch er aber dennoch nicht
vermögend gewesen sey, dessen unersättlichen
Geiz zu stillen. Diese Reden legte der Sul-
tan also aus, als wenn er sie in der Absicht
gesprochen hätte, eine Empörung zu erregen;
und was ihn bewog, dieses desto eher zu glau-
ben, das war: daß derselbe die fünf Jahre
seines Weßiramtes hindurch die Liebe, nicht
allein der Soldaten, sondern auch des gan-
zen Volkes, an sich gezogen hatte. Er schickte
also drey Tage hernach einen Kapudschi Ba-
schi mit einem Chättischerif zu demselben,
darinnen er zum Pascha von Bender verord-
[Spaltenumbruch]
net würde: fertigte aber, als er auf der
Reise dahin begriffen war, einen andern Ka-
pudschi Baschi ab, Nemtsche Jusüf Aga,
der ihn wieder zurück bringen mußte; schalt
denselben derb aus, und befahl, ihn nach Mi-
tylene zu verweisen. Hier ließ er ihn fast
ein ganzes Jahr lang bewahren; in der Ab-
sicht, damit in dem Falle, wenn der mit den
Russen begonnene Krieg unglücklich ablaufen
sollte, er ihm die Verwaltung der Sachen
wiederum anvertrauen und sich seiner Klug-
heit bedienen könnte, den erlittenen Verlust
wieder zu ersetzen. Als aber der Sultan
von dem guten Erfolge desselben versichert
war: so begehrete er von dem Müfti ein
Fetwa, dadurch derjenige des Todes schuldig
erkläret würde, der seinen Herrn durch falsch-
ersonnene Furcht hintergangen, und ihn ver-
hindert habe, den Feind zu einer solchen Zeit
anzugreifen, da er bequeme Gelegenheit ge-
habt, alle dessen Länder sich unterwürfig
zu machen. Nachdem nun der Müfti den
Ausspruch gethan hatte, daß ein solches Ver-
brechen den Tod verdiene: so schickte der
Sultan ein Chättischerif ab, ließ demselben
den Kopf abhauen, und seinen Leichnam auf
dem Marktplatze vor Babi Hümajun, oder
dem äußern Thore des Palasts, öffentlich
zur Schau hinwerfen. Ich habe mir aber
sagen lassen, er habe es nachgehends oft be-
reuet, daß er das osmanische Reich eines
so großen Mannes um einer so schlechten Ur-
sache willen beraubet habe; denn es besaß
derselbe in der That solche herrlichen Natur-
gaben, daß, wenn ich sagte, er hätte zur sel-
bigen Zeit in dem osmanischen Reiche, ja gar
in der ganzen Welt, seines Gleichen nicht
gehabt, ich die Grenzen der Wahrheit nicht
überschreiten würde. Ungeachtet er keine
freyen Künste gelernet hatte: so konnte ihn
doch niemand reden hören, ohne seine Be-
redtsamkeit und vortreffliche Urtheilskraft
zu bewundern. Alles, was er sagte, das
bewies er mit solchen richtigen und an einan-
Osmaniſche Geſchichte
[Spaltenumbruch]
noch den Sultan deswegen tadelte. Er hatte
eine Begierde, die Grenzen des Reichs zu er-
weitern; iedoch alſo, daß er den Stat um
eines ſchlechten Vortheils willen nicht der Ge-
fahr ausſetzte. Aus dieſer Urſache hatte er
vor dem Kriege einen Abſcheu; weil er aus
den vorigen Schlachten zur Genuͤge gelernet
hatte, wie wenig Hitze und eine große Menge
gegen ein wohlgezogenes Heer der Chriſten
ausrichten koͤnne. Die Ruſſen liebte er nicht;
ja er hatte ſich ſchon in den vorigen Zeiten
bemuͤhet, ihnen auf allerhand Art zu ſchaden:
er ſtellete ſich aber doch freundlich gegen ſie;
in der Abſicht, den Krieg, darum der Koͤnig
von Schweden ernſtlich anhielte, abzuwen-
den. Endlich, da er von dem Koͤnige
von Schweden des Verraths angeklagt, und
aus den in der Geſchichte angefuͤhrten Urſa-
chen abgeſetzet wurde: erhielte er anfangs
von dem Sultane die Erlaubniß, in einem
Palaſte, den er in der Vorſtadt Ejjub hatte,
fuͤr ſich zu leben. Als ihn hier einige Per-
ſonen des erſten Ranges beſuchten: ſo ſtichelte
er mit allzu großer Kuͤhnheit auf den Sultan,
und ſagte unter andern; es bekuͤmmere ihn
nicht, daß ihm das Weßiramt genommen
worden ſey, als welches er in der That fuͤr
eine ſchwere Laſt anſehe: aber das bekuͤm-
mere ihn nur, daß er ſeiner Seele Wohlfahrt
um des Sultans willen verſcherzet, und viele
reichen Buͤrger in die aͤußerſte Armuth ge-
bracht habe; dadurch er aber dennoch nicht
vermoͤgend geweſen ſey, deſſen unerſaͤttlichen
Geiz zu ſtillen. Dieſe Reden legte der Sul-
tan alſo aus, als wenn er ſie in der Abſicht
geſprochen haͤtte, eine Empoͤrung zu erregen;
und was ihn bewog, dieſes deſto eher zu glau-
ben, das war: daß derſelbe die fuͤnf Jahre
ſeines Weßiramtes hindurch die Liebe, nicht
allein der Soldaten, ſondern auch des gan-
zen Volkes, an ſich gezogen hatte. Er ſchickte
alſo drey Tage hernach einen Kapudſchi Ba-
ſchi mit einem Chaͤttiſcherif zu demſelben,
darinnen er zum Paſcha von Bender verord-
[Spaltenumbruch]
net wuͤrde: fertigte aber, als er auf der
Reiſe dahin begriffen war, einen andern Ka-
pudſchi Baſchi ab, Nemtſche Juſuͤf Aga,
der ihn wieder zuruͤck bringen mußte; ſchalt
denſelben derb aus, und befahl, ihn nach Mi-
tylene zu verweiſen. Hier ließ er ihn faſt
ein ganzes Jahr lang bewahren; in der Ab-
ſicht, damit in dem Falle, wenn der mit den
Ruſſen begonnene Krieg ungluͤcklich ablaufen
ſollte, er ihm die Verwaltung der Sachen
wiederum anvertrauen und ſich ſeiner Klug-
heit bedienen koͤnnte, den erlittenen Verluſt
wieder zu erſetzen. Als aber der Sultan
von dem guten Erfolge deſſelben verſichert
war: ſo begehrete er von dem Muͤfti ein
Fetwa, dadurch derjenige des Todes ſchuldig
erklaͤret wuͤrde, der ſeinen Herrn durch falſch-
erſonnene Furcht hintergangen, und ihn ver-
hindert habe, den Feind zu einer ſolchen Zeit
anzugreifen, da er bequeme Gelegenheit ge-
habt, alle deſſen Laͤnder ſich unterwuͤrfig
zu machen. Nachdem nun der Muͤfti den
Ausſpruch gethan hatte, daß ein ſolches Ver-
brechen den Tod verdiene: ſo ſchickte der
Sultan ein Chaͤttiſcherif ab, ließ demſelben
den Kopf abhauen, und ſeinen Leichnam auf
dem Marktplatze vor Babi Huͤmajun, oder
dem aͤußern Thore des Palaſts, oͤffentlich
zur Schau hinwerfen. Ich habe mir aber
ſagen laſſen, er habe es nachgehends oft be-
reuet, daß er das osmaniſche Reich eines
ſo großen Mannes um einer ſo ſchlechten Ur-
ſache willen beraubet habe; denn es beſaß
derſelbe in der That ſolche herrlichen Natur-
gaben, daß, wenn ich ſagte, er haͤtte zur ſel-
bigen Zeit in dem osmaniſchen Reiche, ja gar
in der ganzen Welt, ſeines Gleichen nicht
gehabt, ich die Grenzen der Wahrheit nicht
uͤberſchreiten wuͤrde. Ungeachtet er keine
freyen Kuͤnſte gelernet hatte: ſo konnte ihn
doch niemand reden hoͤren, ohne ſeine Be-
redtſamkeit und vortreffliche Urtheilskraft
zu bewundern. Alles, was er ſagte, das
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[754/0868] Osmaniſche Geſchichte noch den Sultan deswegen tadelte. Er hatte eine Begierde, die Grenzen des Reichs zu er- weitern; iedoch alſo, daß er den Stat um eines ſchlechten Vortheils willen nicht der Ge- fahr ausſetzte. Aus dieſer Urſache hatte er vor dem Kriege einen Abſcheu; weil er aus den vorigen Schlachten zur Genuͤge gelernet hatte, wie wenig Hitze und eine große Menge gegen ein wohlgezogenes Heer der Chriſten ausrichten koͤnne. Die Ruſſen liebte er nicht; ja er hatte ſich ſchon in den vorigen Zeiten bemuͤhet, ihnen auf allerhand Art zu ſchaden: er ſtellete ſich aber doch freundlich gegen ſie; in der Abſicht, den Krieg, darum der Koͤnig von Schweden ernſtlich anhielte, abzuwen- den. Endlich, da er von dem Koͤnige von Schweden des Verraths angeklagt, und aus den in der Geſchichte angefuͤhrten Urſa- chen abgeſetzet wurde: erhielte er anfangs von dem Sultane die Erlaubniß, in einem Palaſte, den er in der Vorſtadt Ejjub hatte, fuͤr ſich zu leben. Als ihn hier einige Per- ſonen des erſten Ranges beſuchten: ſo ſtichelte er mit allzu großer Kuͤhnheit auf den Sultan, und ſagte unter andern; es bekuͤmmere ihn nicht, daß ihm das Weßiramt genommen worden ſey, als welches er in der That fuͤr eine ſchwere Laſt anſehe: aber das bekuͤm- mere ihn nur, daß er ſeiner Seele Wohlfahrt um des Sultans willen verſcherzet, und viele reichen Buͤrger in die aͤußerſte Armuth ge- bracht habe; dadurch er aber dennoch nicht vermoͤgend geweſen ſey, deſſen unerſaͤttlichen Geiz zu ſtillen. Dieſe Reden legte der Sul- tan alſo aus, als wenn er ſie in der Abſicht geſprochen haͤtte, eine Empoͤrung zu erregen; und was ihn bewog, dieſes deſto eher zu glau- ben, das war: daß derſelbe die fuͤnf Jahre ſeines Weßiramtes hindurch die Liebe, nicht allein der Soldaten, ſondern auch des gan- zen Volkes, an ſich gezogen hatte. Er ſchickte alſo drey Tage hernach einen Kapudſchi Ba- ſchi mit einem Chaͤttiſcherif zu demſelben, darinnen er zum Paſcha von Bender verord- net wuͤrde: fertigte aber, als er auf der Reiſe dahin begriffen war, einen andern Ka- pudſchi Baſchi ab, Nemtſche Juſuͤf Aga, der ihn wieder zuruͤck bringen mußte; ſchalt denſelben derb aus, und befahl, ihn nach Mi- tylene zu verweiſen. Hier ließ er ihn faſt ein ganzes Jahr lang bewahren; in der Ab- ſicht, damit in dem Falle, wenn der mit den Ruſſen begonnene Krieg ungluͤcklich ablaufen ſollte, er ihm die Verwaltung der Sachen wiederum anvertrauen und ſich ſeiner Klug- heit bedienen koͤnnte, den erlittenen Verluſt wieder zu erſetzen. Als aber der Sultan von dem guten Erfolge deſſelben verſichert war: ſo begehrete er von dem Muͤfti ein Fetwa, dadurch derjenige des Todes ſchuldig erklaͤret wuͤrde, der ſeinen Herrn durch falſch- erſonnene Furcht hintergangen, und ihn ver- hindert habe, den Feind zu einer ſolchen Zeit anzugreifen, da er bequeme Gelegenheit ge- habt, alle deſſen Laͤnder ſich unterwuͤrfig zu machen. Nachdem nun der Muͤfti den Ausſpruch gethan hatte, daß ein ſolches Ver- brechen den Tod verdiene: ſo ſchickte der Sultan ein Chaͤttiſcherif ab, ließ demſelben den Kopf abhauen, und ſeinen Leichnam auf dem Marktplatze vor Babi Huͤmajun, oder dem aͤußern Thore des Palaſts, oͤffentlich zur Schau hinwerfen. Ich habe mir aber ſagen laſſen, er habe es nachgehends oft be- reuet, daß er das osmaniſche Reich eines ſo großen Mannes um einer ſo ſchlechten Ur- ſache willen beraubet habe; denn es beſaß derſelbe in der That ſolche herrlichen Natur- gaben, daß, wenn ich ſagte, er haͤtte zur ſel- bigen Zeit in dem osmaniſchen Reiche, ja gar in der ganzen Welt, ſeines Gleichen nicht gehabt, ich die Grenzen der Wahrheit nicht uͤberſchreiten wuͤrde. Ungeachtet er keine freyen Kuͤnſte gelernet hatte: ſo konnte ihn doch niemand reden hoͤren, ohne ſeine Be- redtſamkeit und vortreffliche Urtheilskraft zu bewundern. Alles, was er ſagte, das bewies er mit ſolchen richtigen und an einan- der

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 754. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/868>, abgerufen am 22.11.2024.