Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.Osmanische Geschichte Die Königevon Schweden und Polen wer- den von dem Sultane aufge-nommen. 9. Es war nämlich zwischen den Königen von Schweden und Polen lichkeit, die Wahrheit ausfündig zu machen, gleich gewesen wäre. Ich hoffe, ich werde dem Leser nicht verdrießlich fallen, wenn ich hier ein Beyspiel davon erzähle. Ein türki- scher Kaufmann zu Constantinopel ging, der Gewohnheit nach, vor dem Morgengebete in das Bad, und da er aus demselben zurück kam und in den Dschami ging: so verlor er auf der Straße seinen Beutel aus dem Bu- sen, mit zwey hundert Stücken Gold, Turali genennet. Bey seiner Rückkehre aus dem Dschami, nachdem das Gebet verrichtet war, merket er, daß sein Busen leichter ist; und weil er befindet, daß er sein Geld verloren hat: so gehet er augenblicklich zu dem Aus- rufer, und träget demselben auf, einen ver- lornen Beutel, mit solchen Merkzeichen und so vielem Gelde darinnen, öffentlich auszu- rufen; und daß der Eigner desselben denje- nigen, der ihn gefunden habe, um Gottes willen bitte, ihm denselben wieder zu bringen, er wolle ihm gerne die Hälfte des Geldes zur Belohnung geben. Ein Lewend oder Bots- knecht, der eben diesen Weg kam, hatte das Glück gehabt, den Beutel zu finden. Als dieser höret, daß der Eigner dem Zurückbrin- ger hundert Turali zur Verehrung anbote: so schlug ihn das Gewissen, daß er sich entschloß, lieber die Hälfte dessen, was er gefunden hatte, [Spaltenumbruch] auf ehrliche Weise zu gewinnen, als die ganze Summe in der Eigenschaft eines Diebes zu behalten; denn wenn iemand eine Sache, die er gefunden hat, ausrufen höret, und dieselbe behält: so ist er nach dem Gesetze des Kurons des Diebstahls schuldig. Der Mensch gehet daher zu dem Ausrufer, geste- het, daß er das Verlorne gefunden habe, und saget, er wolle dem geschehenen Verspre- chen gemäß hundert Turali davon behalten, und die übrigen hundert dem wahren Eigner zurück geben. Der Eigner kommt alsobald herbey; als er aber siehet, daß das Geld noch ganz beysammen ist: so geräth er auf die Gedanken, von seinem Versprechen abzu- gehen. Weil er aber wohl merket, daß er dieses nicht so schlechterdings ohne einige Ur- sache thun kann: so erfindet er eine Lüge, und giebt vor, es wären in demselben Beu- tel auch noch smaragdene Ohrenringe, sieben hundert Kronen werth, gewesen; und diese fordert er gleichfals von dem Botsknechte. Der Mensch leugnet es, und rufet Gott, den Propheten und alles, was gut und heilig ist, zu Zeugen an, daß er weiter nichts, als die zwey hundert Turali, darinnen gefunden habe. Er wird also vor einen Kaßi oder Unterrichter gezogen, und des Diebstahls wegen angekla- get. Der Richter (entweder geschahe es aus 10. Nach-
Osmaniſche Geſchichte Die Koͤnigevon Schweden und Polen wer- den von dem Sultane aufge-nommen. 9. Es war naͤmlich zwiſchen den Koͤnigen von Schweden und Polen lichkeit, die Wahrheit ausfuͤndig zu machen, gleich geweſen waͤre. Ich hoffe, ich werde dem Leſer nicht verdrießlich fallen, wenn ich hier ein Beyſpiel davon erzaͤhle. Ein tuͤrki- ſcher Kaufmann zu Conſtantinopel ging, der Gewohnheit nach, vor dem Morgengebete in das Bad, und da er aus demſelben zuruͤck kam und in den Dſchami ging: ſo verlor er auf der Straße ſeinen Beutel aus dem Bu- ſen, mit zwey hundert Stuͤcken Gold, Turali genennet. Bey ſeiner Ruͤckkehre aus dem Dſchami, nachdem das Gebet verrichtet war, merket er, daß ſein Buſen leichter iſt; und weil er befindet, daß er ſein Geld verloren hat: ſo gehet er augenblicklich zu dem Aus- rufer, und traͤget demſelben auf, einen ver- lornen Beutel, mit ſolchen Merkzeichen und ſo vielem Gelde darinnen, oͤffentlich auszu- rufen; und daß der Eigner deſſelben denje- nigen, der ihn gefunden habe, um Gottes willen bitte, ihm denſelben wieder zu bringen, er wolle ihm gerne die Haͤlfte des Geldes zur Belohnung geben. Ein Lewend oder Bots- knecht, der eben dieſen Weg kam, hatte das Gluͤck gehabt, den Beutel zu finden. Als dieſer hoͤret, daß der Eigner dem Zuruͤckbrin- ger hundert Turali zur Verehrung anbote: ſo ſchlug ihn das Gewiſſen, daß er ſich entſchloß, lieber die Haͤlfte deſſen, was er gefunden hatte, [Spaltenumbruch] auf ehrliche Weiſe zu gewinnen, als die ganze Summe in der Eigenſchaft eines Diebes zu behalten; denn wenn iemand eine Sache, die er gefunden hat, ausrufen hoͤret, und dieſelbe behaͤlt: ſo iſt er nach dem Geſetze des Kurons des Diebſtahls ſchuldig. Der Menſch gehet daher zu dem Ausrufer, geſte- het, daß er das Verlorne gefunden habe, und ſaget, er wolle dem geſchehenen Verſpre- chen gemaͤß hundert Turali davon behalten, und die uͤbrigen hundert dem wahren Eigner zuruͤck geben. Der Eigner kommt alſobald herbey; als er aber ſiehet, daß das Geld noch ganz beyſammen iſt: ſo geraͤth er auf die Gedanken, von ſeinem Verſprechen abzu- gehen. Weil er aber wohl merket, daß er dieſes nicht ſo ſchlechterdings ohne einige Ur- ſache thun kann: ſo erfindet er eine Luͤge, und giebt vor, es waͤren in demſelben Beu- tel auch noch ſmaragdene Ohrenringe, ſieben hundert Kronen werth, geweſen; und dieſe fordert er gleichfals von dem Botsknechte. Der Menſch leugnet es, und rufet Gott, den Propheten und alles, was gut und heilig iſt, zu Zeugen an, daß er weiter nichts, als die zwey hundert Turali, darinnen gefunden habe. Er wird alſo vor einen Kaßi oder Unterrichter gezogen, und des Diebſtahls wegen angekla- get. Der Richter (entweder geſchahe es aus 10. Nach-
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Osmaniſche Geſchichte
9. Es war naͤmlich zwiſchen den Koͤnigen von Schweden und Polen
ein Krieg entſtanden, darinnen der von Schweden die Oberhand bekam, und
die Polen, die ſchon zuvor zur Veraͤnderung geneigt waren, dahin vermochte,
daß ſie ihren Koͤnig Auguſt abſetzten, und den Waͤjwod von Posnanien, Sta-
niſlaw, an deſſen ſtatt erwaͤhleten. Er begnuͤgte ſich auch damit noch nicht;
ſondern fiel, um die Quelle des Krieges zu vertilgen, in Sachſen, als des Koͤ-
niges von Polen Erbland, ein, erhob in demſelben durch unerhoͤrte Erpreſſun-
gen unſaͤgliche Summen Geldes, und zwang dadurch Auguſt, ſich des Koͤnig-
reichs Polen zu begeben, und Staniſlaw fuͤr den Koͤnig deſſelben zu erkennen.
10. Nach-
lichkeit, die Wahrheit ausfuͤndig zu machen,
gleich geweſen waͤre. Ich hoffe, ich werde
dem Leſer nicht verdrießlich fallen, wenn ich
hier ein Beyſpiel davon erzaͤhle. Ein tuͤrki-
ſcher Kaufmann zu Conſtantinopel ging, der
Gewohnheit nach, vor dem Morgengebete in
das Bad, und da er aus demſelben zuruͤck
kam und in den Dſchami ging: ſo verlor er
auf der Straße ſeinen Beutel aus dem Bu-
ſen, mit zwey hundert Stuͤcken Gold, Turali
genennet. Bey ſeiner Ruͤckkehre aus dem
Dſchami, nachdem das Gebet verrichtet war,
merket er, daß ſein Buſen leichter iſt; und
weil er befindet, daß er ſein Geld verloren
hat: ſo gehet er augenblicklich zu dem Aus-
rufer, und traͤget demſelben auf, einen ver-
lornen Beutel, mit ſolchen Merkzeichen und
ſo vielem Gelde darinnen, oͤffentlich auszu-
rufen; und daß der Eigner deſſelben denje-
nigen, der ihn gefunden habe, um Gottes
willen bitte, ihm denſelben wieder zu bringen,
er wolle ihm gerne die Haͤlfte des Geldes zur
Belohnung geben. Ein Lewend oder Bots-
knecht, der eben dieſen Weg kam, hatte das
Gluͤck gehabt, den Beutel zu finden. Als
dieſer hoͤret, daß der Eigner dem Zuruͤckbrin-
ger hundert Turali zur Verehrung anbote: ſo
ſchlug ihn das Gewiſſen, daß er ſich entſchloß,
lieber die Haͤlfte deſſen, was er gefunden hatte,
auf ehrliche Weiſe zu gewinnen, als die ganze
Summe in der Eigenſchaft eines Diebes zu
behalten; denn wenn iemand eine Sache,
die er gefunden hat, ausrufen hoͤret, und
dieſelbe behaͤlt: ſo iſt er nach dem Geſetze
des Kurons des Diebſtahls ſchuldig. Der
Menſch gehet daher zu dem Ausrufer, geſte-
het, daß er das Verlorne gefunden habe,
und ſaget, er wolle dem geſchehenen Verſpre-
chen gemaͤß hundert Turali davon behalten,
und die uͤbrigen hundert dem wahren Eigner
zuruͤck geben. Der Eigner kommt alſobald
herbey; als er aber ſiehet, daß das Geld
noch ganz beyſammen iſt: ſo geraͤth er auf
die Gedanken, von ſeinem Verſprechen abzu-
gehen. Weil er aber wohl merket, daß er
dieſes nicht ſo ſchlechterdings ohne einige Ur-
ſache thun kann: ſo erfindet er eine Luͤge,
und giebt vor, es waͤren in demſelben Beu-
tel auch noch ſmaragdene Ohrenringe, ſieben
hundert Kronen werth, geweſen; und dieſe
fordert er gleichfals von dem Botsknechte.
Der Menſch leugnet es, und rufet Gott, den
Propheten und alles, was gut und heilig iſt,
zu Zeugen an, daß er weiter nichts, als die
zwey hundert Turali, darinnen gefunden habe.
Er wird alſo vor einen Kaßi oder Unterrichter
gezogen, und des Diebſtahls wegen angekla-
get. Der Richter (entweder geſchahe es aus
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