schen Chirurgie und Medicin. Man darf sicher behaup- ten daß vorzüglich die Behandlung des Geburtsgeschäfts wenig ersprießliche Folgen haben konnte, so lange sie als bloßes Conglomerat gewisser mechanischer Fertigkei- ten erschien, die Beobachtung eigentlicher lebendiger Wirksamkeit des Organismus aber fast ausgeschlossen blieb, und man darf sogar überhaupt annehmen daß Krankheiten des weiblichen Körpers, so lange dem Arzte nicht eine klare Einsicht in die eigenthümliche Natur dieses Geschlechts vorschwebte, nur wenig natur- gemäß behandelt werden konnten. Die Erkenntniß dieser Wahrheiten hat nun allmählig immer mehr auf Vernichtung der engen Grenzen, worin die Entbindungskunst sich eingezwängt sah, hingewiesen, und darauf gedrungen, die Lehre von der Hülfsleistung bei der Geburt nur als eine besondere Disciplin der Lehre von der Natur und Behandlung des weiblichen Körpers überhaupt anzuer- kennen. Männer wie Boer, mein trefflicher ehemaliger Lehrer Professor Jörg, Schmidmüller, Nolde, Schmitt, Faust, haben in diesem Sinne gelehrt und geschrieben, und wie ich mich selbst praktisch mehr mit diesem Zweige der Heilkunde befaßte, vorzüglich aber
ſchen Chirurgie und Medicin. Man darf ſicher behaup- ten daß vorzuͤglich die Behandlung des Geburtsgeſchaͤfts wenig erſprießliche Folgen haben konnte, ſo lange ſie als bloßes Conglomerat gewiſſer mechaniſcher Fertigkei- ten erſchien, die Beobachtung eigentlicher lebendiger Wirkſamkeit des Organismus aber faſt ausgeſchloſſen blieb, und man darf ſogar uͤberhaupt annehmen daß Krankheiten des weiblichen Koͤrpers, ſo lange dem Arzte nicht eine klare Einſicht in die eigenthuͤmliche Natur dieſes Geſchlechts vorſchwebte, nur wenig natur- gemaͤß behandelt werden konnten. Die Erkenntniß dieſer Wahrheiten hat nun allmaͤhlig immer mehr auf Vernichtung der engen Grenzen, worin die Entbindungskunſt ſich eingezwaͤngt ſah, hingewieſen, und darauf gedrungen, die Lehre von der Huͤlfsleiſtung bei der Geburt nur als eine beſondere Disciplin der Lehre von der Natur und Behandlung des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt anzuer- kennen. Maͤnner wie Boër, mein trefflicher ehemaliger Lehrer Profeſſor Joͤrg, Schmidmuͤller, Nolde, Schmitt, Fauſt, haben in dieſem Sinne gelehrt und geſchrieben, und wie ich mich ſelbſt praktiſch mehr mit dieſem Zweige der Heilkunde befaßte, vorzuͤglich aber
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[IV/0010]
ſchen Chirurgie und Medicin. Man darf ſicher behaup-
ten daß vorzuͤglich die Behandlung des Geburtsgeſchaͤfts
wenig erſprießliche Folgen haben konnte, ſo lange ſie
als bloßes Conglomerat gewiſſer mechaniſcher Fertigkei-
ten erſchien, die Beobachtung eigentlicher lebendiger
Wirkſamkeit des Organismus aber faſt ausgeſchloſſen
blieb, und man darf ſogar uͤberhaupt annehmen daß
Krankheiten des weiblichen Koͤrpers, ſo lange dem
Arzte nicht eine klare Einſicht in die eigenthuͤmliche
Natur dieſes Geſchlechts vorſchwebte, nur wenig natur-
gemaͤß behandelt werden konnten. Die Erkenntniß dieſer
Wahrheiten hat nun allmaͤhlig immer mehr auf Vernichtung
der engen Grenzen, worin die Entbindungskunſt ſich
eingezwaͤngt ſah, hingewieſen, und darauf gedrungen,
die Lehre von der Huͤlfsleiſtung bei der Geburt nur als
eine beſondere Disciplin der Lehre von der Natur und
Behandlung des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt anzuer-
kennen. Maͤnner wie Boër, mein trefflicher ehemaliger
Lehrer Profeſſor Joͤrg, Schmidmuͤller, Nolde,
Schmitt, Fauſt, haben in dieſem Sinne gelehrt und
geſchrieben, und wie ich mich ſelbſt praktiſch mehr mit
dieſem Zweige der Heilkunde befaßte, vorzuͤglich aber
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/10>, abgerufen am 21.11.2024.
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