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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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daß aber auch von andern Arzneymitteln, der größern weib-
lichen Receptivität gemäß, bey übrigens gleichen Umständen,
weiblichen Kranken immer etwas schwächere Gaben als männ-
lichen gereicht werden müssen. -- Die Heilmethoden selbst
anbelangend, so ist darüber im Allgemeinen wohl nur soviel
zu erinnern, daß, da zufolge der vorherrschenden Thätigkeit
reproduktiver und insbesondre der Verdauungs-Organe, auch
hier vorzüglich die Quelle unzähliger Krankheiten verborgen
liegt, die Aufmerksamkeit und Wirksamkeit des Arztes ins-
besondre nach dieser Seite gerichtet seyn müsse *). -- Außer-
dem nöthigt uns indeß die vorwaltende Reitzbarkeit des weib-
lichen Körpers, die Neigung zu Schmerzen, Krämpfen u. s. w.
hier häufiger als im männlichen Körper von Mitteln Ge-
brauch zu machen, welche, obwohl wieder zunächst das ve-
getative Leben ansprechend, vorzüglich die angeregte Sensi-
bilität herabzustimmen vermögen; wohin insbesondre laue
Bäder, Narcotica u. s. w. gehören; wobey jedoch sehr zu hü-
ten ist, daß diese, insgemein nur als palliativ wirkende Mit-
tel angezeigten Dinge, nicht als Hauptmittel angesehen wer-
den, indem gerade bey weiblichen Krankheiten vorzüglich das
gehäufte Anwenden sogenannter antispasmodischer und Ner-
ven-Mittel öfters gar sehr zum Nachtheil gereicht. -- Daß
übrigens auch bey diesem Geschlecht die eigentlich psychische
Einwirkung des Arztes durch Erweckung eines festen Ver-
trauens und durch entschiedenes Benehmen sehr viel ausrichte,
unterliegt keinem Zweifel, und ist schon §. 88. erwähnt worden.

§. 116.

Endlich aber bleibt es bey Behandlung weiblicher Krank-
heiten immer von ausgezeichneter Wichtigkeit, die merkwür-

*) Ueberhaupt bedenkt man wohl zu wenig, daß eigentlich die Krank-
heiten des Körpers insgesammt der bildenden (vegetativen) Seite
desselben angehören, daß die eigentliche Arzneykunde eben so nur die
Bildung (den stätigen Stoffwechsel), ja zunächst vorzüglich nur den
Darmkanal in Anspruch nehmen könne, und daß die Verirrungen
der Nervenpathologie und des Brownianismus hauptsächlich darin
begründet waren, daß sie stäts das Erkranken von Thätigkeiten vor
Augen hatten, ohne die zunächstliegenden und der Medicin wichti-
gern abnormen Bildungsrichtungen zu beachten.

daß aber auch von andern Arzneymitteln, der groͤßern weib-
lichen Receptivitaͤt gemaͤß, bey uͤbrigens gleichen Umſtaͤnden,
weiblichen Kranken immer etwas ſchwaͤchere Gaben als maͤnn-
lichen gereicht werden muͤſſen. — Die Heilmethoden ſelbſt
anbelangend, ſo iſt daruͤber im Allgemeinen wohl nur ſoviel
zu erinnern, daß, da zufolge der vorherrſchenden Thaͤtigkeit
reproduktiver und insbeſondre der Verdauungs-Organe, auch
hier vorzuͤglich die Quelle unzaͤhliger Krankheiten verborgen
liegt, die Aufmerkſamkeit und Wirkſamkeit des Arztes ins-
beſondre nach dieſer Seite gerichtet ſeyn muͤſſe *). — Außer-
dem noͤthigt uns indeß die vorwaltende Reitzbarkeit des weib-
lichen Koͤrpers, die Neigung zu Schmerzen, Kraͤmpfen u. ſ. w.
hier haͤufiger als im maͤnnlichen Koͤrper von Mitteln Ge-
brauch zu machen, welche, obwohl wieder zunaͤchſt das ve-
getative Leben anſprechend, vorzuͤglich die angeregte Senſi-
bilitaͤt herabzuſtimmen vermoͤgen; wohin insbeſondre laue
Baͤder, Narcotica u. ſ. w. gehoͤren; wobey jedoch ſehr zu huͤ-
ten iſt, daß dieſe, insgemein nur als palliativ wirkende Mit-
tel angezeigten Dinge, nicht als Hauptmittel angeſehen wer-
den, indem gerade bey weiblichen Krankheiten vorzuͤglich das
gehaͤufte Anwenden ſogenannter antiſpasmodiſcher und Ner-
ven-Mittel oͤfters gar ſehr zum Nachtheil gereicht. — Daß
uͤbrigens auch bey dieſem Geſchlecht die eigentlich pſychiſche
Einwirkung des Arztes durch Erweckung eines feſten Ver-
trauens und durch entſchiedenes Benehmen ſehr viel ausrichte,
unterliegt keinem Zweifel, und iſt ſchon §. 88. erwaͤhnt worden.

§. 116.

Endlich aber bleibt es bey Behandlung weiblicher Krank-
heiten immer von ausgezeichneter Wichtigkeit, die merkwuͤr-

*) Ueberhaupt bedenkt man wohl zu wenig, daß eigentlich die Krank-
heiten des Koͤrpers insgeſammt der bildenden (vegetativen) Seite
deſſelben angehoͤren, daß die eigentliche Arzneykunde eben ſo nur die
Bildung (den ſtaͤtigen Stoffwechſel), ja zunaͤchſt vorzuͤglich nur den
Darmkanal in Anſpruch nehmen koͤnne, und daß die Verirrungen
der Nervenpathologie und des Brownianismus hauptſaͤchlich darin
begruͤndet waren, daß ſie ſtaͤts das Erkranken von Thaͤtigkeiten vor
Augen hatten, ohne die zunaͤchſtliegenden und der Medicin wichti-
gern abnormen Bildungsrichtungen zu beachten.
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[85/0105] daß aber auch von andern Arzneymitteln, der groͤßern weib- lichen Receptivitaͤt gemaͤß, bey uͤbrigens gleichen Umſtaͤnden, weiblichen Kranken immer etwas ſchwaͤchere Gaben als maͤnn- lichen gereicht werden muͤſſen. — Die Heilmethoden ſelbſt anbelangend, ſo iſt daruͤber im Allgemeinen wohl nur ſoviel zu erinnern, daß, da zufolge der vorherrſchenden Thaͤtigkeit reproduktiver und insbeſondre der Verdauungs-Organe, auch hier vorzuͤglich die Quelle unzaͤhliger Krankheiten verborgen liegt, die Aufmerkſamkeit und Wirkſamkeit des Arztes ins- beſondre nach dieſer Seite gerichtet ſeyn muͤſſe *). — Außer- dem noͤthigt uns indeß die vorwaltende Reitzbarkeit des weib- lichen Koͤrpers, die Neigung zu Schmerzen, Kraͤmpfen u. ſ. w. hier haͤufiger als im maͤnnlichen Koͤrper von Mitteln Ge- brauch zu machen, welche, obwohl wieder zunaͤchſt das ve- getative Leben anſprechend, vorzuͤglich die angeregte Senſi- bilitaͤt herabzuſtimmen vermoͤgen; wohin insbeſondre laue Baͤder, Narcotica u. ſ. w. gehoͤren; wobey jedoch ſehr zu huͤ- ten iſt, daß dieſe, insgemein nur als palliativ wirkende Mit- tel angezeigten Dinge, nicht als Hauptmittel angeſehen wer- den, indem gerade bey weiblichen Krankheiten vorzuͤglich das gehaͤufte Anwenden ſogenannter antiſpasmodiſcher und Ner- ven-Mittel oͤfters gar ſehr zum Nachtheil gereicht. — Daß uͤbrigens auch bey dieſem Geſchlecht die eigentlich pſychiſche Einwirkung des Arztes durch Erweckung eines feſten Ver- trauens und durch entſchiedenes Benehmen ſehr viel ausrichte, unterliegt keinem Zweifel, und iſt ſchon §. 88. erwaͤhnt worden. §. 116. Endlich aber bleibt es bey Behandlung weiblicher Krank- heiten immer von ausgezeichneter Wichtigkeit, die merkwuͤr- *) Ueberhaupt bedenkt man wohl zu wenig, daß eigentlich die Krank- heiten des Koͤrpers insgeſammt der bildenden (vegetativen) Seite deſſelben angehoͤren, daß die eigentliche Arzneykunde eben ſo nur die Bildung (den ſtaͤtigen Stoffwechſel), ja zunaͤchſt vorzuͤglich nur den Darmkanal in Anſpruch nehmen koͤnne, und daß die Verirrungen der Nervenpathologie und des Brownianismus hauptſaͤchlich darin begruͤndet waren, daß ſie ſtaͤts das Erkranken von Thaͤtigkeiten vor Augen hatten, ohne die zunaͤchſtliegenden und der Medicin wichti- gern abnormen Bildungsrichtungen zu beachten.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/105>, abgerufen am 24.11.2024.