den, und als Ueberspannungen oder Oppressionen des Selbstgefühls im Zustande des Schlafs oben bezeichnet worden sind. -- Alle diese Zustände aber haben etwas besonders Geheimnißvolles, haben deßhalb zu den son- derbarsten Meynungen Veranlaß gegeben, und können wohl überhaupt nie dem erwachten Menschen in allen Beziehungen so klar und verständlich werden, als es das Wachen selbst ist, eben weil das sinnlich Vorhandene nur durch die Erfah- rung erkannt wird, der Schlaf aber mit dem in ihm beschlos- senen Kreise von Erscheinungen eine zu sehr in sich begränzte Sphäre darstellt, als daß sie vollkommen in den Kreis der freyen Verstandsthätigkeit, dem ersten Bedingniß der Erfah- rung eingehen könnte; hinwiederum aber der Mensch, wenn er in die Sphäre des Schlafs und der Träume eingegangen ist, zu wenig Freyheit und Klarheit hat (eben weil seine hier erregten Zustände selbst freyes Spiel der Phantasie sind) um, so lange er in derselben befangen ist, der wissenschaft- lichen Erfahrung fähig zu seyn.
§. 239.
Suchen wir indeß demohnerachtet tiefer in diese Ge- genstände einzudringen, so kann dieß nur geschehen, indem wir bedenken, daß überhaupt nicht das Wachen, sondern der Schlaf der ursprüngliche Zustand des menschlichen Organis- mus sey, daß im Schlaf die Individualität immer wieder dem großen Ganzen, aus welchem sie hervorgetreten, näher gebracht, mehr von diesem Ganzen durchdrungen werde, als in der starrern Selbstständigkeit des wachen Zustandes möglich ist. So finden wir denn im tiefen Schlafe die der Sinneswelt zugekehrte Wirkung der Seele gleichsam aufgelöst in dem Ganzen der Natur, und das Gefühl des indivi- duellen Daseyns überhaupt aufgehoben, allein im leichteren Schlafe kann auch das Gefühl des Daseyns bestehen, es be- steht jedoch dann auf andere Weise, nämlich wieder beengt von den Schranken der Zeit und des Raumes in wunder- licher Ungebundenheit; kurz der Traum hebt an. -- Ist indeß der Traum so lebendig, daß er selbst über willkührliche Reactionen seine Herrschaft verbreitet, so erzeugt sich eine
den, und als Ueberſpannungen oder Oppreſſionen des Selbſtgefuͤhls im Zuſtande des Schlafs oben bezeichnet worden ſind. — Alle dieſe Zuſtaͤnde aber haben etwas beſonders Geheimnißvolles, haben deßhalb zu den ſon- derbarſten Meynungen Veranlaß gegeben, und koͤnnen wohl uͤberhaupt nie dem erwachten Menſchen in allen Beziehungen ſo klar und verſtaͤndlich werden, als es das Wachen ſelbſt iſt, eben weil das ſinnlich Vorhandene nur durch die Erfah- rung erkannt wird, der Schlaf aber mit dem in ihm beſchloſ- ſenen Kreiſe von Erſcheinungen eine zu ſehr in ſich begraͤnzte Sphaͤre darſtellt, als daß ſie vollkommen in den Kreis der freyen Verſtandsthaͤtigkeit, dem erſten Bedingniß der Erfah- rung eingehen koͤnnte; hinwiederum aber der Menſch, wenn er in die Sphaͤre des Schlafs und der Traͤume eingegangen iſt, zu wenig Freyheit und Klarheit hat (eben weil ſeine hier erregten Zuſtaͤnde ſelbſt freyes Spiel der Phantaſie ſind) um, ſo lange er in derſelben befangen iſt, der wiſſenſchaft- lichen Erfahrung faͤhig zu ſeyn.
§. 239.
Suchen wir indeß demohnerachtet tiefer in dieſe Ge- genſtaͤnde einzudringen, ſo kann dieß nur geſchehen, indem wir bedenken, daß uͤberhaupt nicht das Wachen, ſondern der Schlaf der urſpruͤngliche Zuſtand des menſchlichen Organis- mus ſey, daß im Schlaf die Individualitaͤt immer wieder dem großen Ganzen, aus welchem ſie hervorgetreten, naͤher gebracht, mehr von dieſem Ganzen durchdrungen werde, als in der ſtarrern Selbſtſtaͤndigkeit des wachen Zuſtandes moͤglich iſt. So finden wir denn im tiefen Schlafe die der Sinneswelt zugekehrte Wirkung der Seele gleichſam aufgeloͤſt in dem Ganzen der Natur, und das Gefuͤhl des indivi- duellen Daſeyns uͤberhaupt aufgehoben, allein im leichteren Schlafe kann auch das Gefuͤhl des Daſeyns beſtehen, es be- ſteht jedoch dann auf andere Weiſe, naͤmlich wieder beengt von den Schranken der Zeit und des Raumes in wunder- licher Ungebundenheit; kurz der Traum hebt an. — Iſt indeß der Traum ſo lebendig, daß er ſelbſt uͤber willkuͤhrliche Reactionen ſeine Herrſchaft verbreitet, ſo erzeugt ſich eine
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den, und als Ueberſpannungen oder Oppreſſionen
des Selbſtgefuͤhls im Zuſtande des Schlafs oben
bezeichnet worden ſind. — Alle dieſe Zuſtaͤnde aber haben
etwas beſonders Geheimnißvolles, haben deßhalb zu den ſon-
derbarſten Meynungen Veranlaß gegeben, und koͤnnen wohl
uͤberhaupt nie dem erwachten Menſchen in allen Beziehungen
ſo klar und verſtaͤndlich werden, als es das Wachen ſelbſt
iſt, eben weil das ſinnlich Vorhandene nur durch die Erfah-
rung erkannt wird, der Schlaf aber mit dem in ihm beſchloſ-
ſenen Kreiſe von Erſcheinungen eine zu ſehr in ſich begraͤnzte
Sphaͤre darſtellt, als daß ſie vollkommen in den Kreis der
freyen Verſtandsthaͤtigkeit, dem erſten Bedingniß der Erfah-
rung eingehen koͤnnte; hinwiederum aber der Menſch, wenn
er in die Sphaͤre des Schlafs und der Traͤume eingegangen
iſt, zu wenig Freyheit und Klarheit hat (eben weil ſeine
hier erregten Zuſtaͤnde ſelbſt freyes Spiel der Phantaſie ſind)
um, ſo lange er in derſelben befangen iſt, der wiſſenſchaft-
lichen Erfahrung faͤhig zu ſeyn.
§. 239.
Suchen wir indeß demohnerachtet tiefer in dieſe Ge-
genſtaͤnde einzudringen, ſo kann dieß nur geſchehen, indem
wir bedenken, daß uͤberhaupt nicht das Wachen, ſondern der
Schlaf der urſpruͤngliche Zuſtand des menſchlichen Organis-
mus ſey, daß im Schlaf die Individualitaͤt immer wieder
dem großen Ganzen, aus welchem ſie hervorgetreten, naͤher
gebracht, mehr von dieſem Ganzen durchdrungen werde, als
in der ſtarrern Selbſtſtaͤndigkeit des wachen Zuſtandes
moͤglich iſt. So finden wir denn im tiefen Schlafe die der
Sinneswelt zugekehrte Wirkung der Seele gleichſam aufgeloͤſt
in dem Ganzen der Natur, und das Gefuͤhl des indivi-
duellen Daſeyns uͤberhaupt aufgehoben, allein im leichteren
Schlafe kann auch das Gefuͤhl des Daſeyns beſtehen, es be-
ſteht jedoch dann auf andere Weiſe, naͤmlich wieder beengt
von den Schranken der Zeit und des Raumes in wunder-
licher Ungebundenheit; kurz der Traum hebt an. — Iſt
indeß der Traum ſo lebendig, daß er ſelbſt uͤber willkuͤhrliche
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/200>, abgerufen am 21.11.2024.
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