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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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Melancholie oder selbst soporöser Zustand. Gewöhnlich pflegt
übrigens der dritte Grad, wenn er nicht bald gehoben wird,
den Tod zu beschleunigen, indem dabey die Reproduktion
immer mehr sinkt, Blödsinn, Auszehrung, Wassersucht oder
Apoplexie eintritt und das hier gewiß wünschenswerthe Ende
herbeyführt; auch Selbstmord ist hier nicht ungewöhnlich.

§. 279.

Ueber das eigentliche Wesentliche dieser traurigen
Krankheit (die sogenannte nächste Ursache) haben bisherige
Untersuchungen noch zu wenig Aufschluß gegeben. Die ältern
Aerzte suchten sie in der Schärfe und Gährung des weibli-
chen Samens, die Neuern gewöhnlich in übermäßigem Ge-
schlechtstriebe, mit Wahnsinn oder Melancholie verbunden *).
Betrachtet man indeß theils die disponirenden, theils die Ge-
legenheitsursachen der Nymphomanie, theils was die Erwä-
gung der verschiedenen Ausgänge der Krankheit zeigt, theils
endlich was die Physiologie über den Sitz der Geschlechtslust
im weiblichen Körper lehrt, so wird es mehr als wahrschein-
lich, daß namentlich chronische Entzündungen der
Ovarien
die Ursache aller jener Erscheinungen darstellen,
welche den Begriff der Nymphomanie geben. -- Nicht zu
läugnen nämlich ist es, daß die Ovarien eben so der erste Grund
der weiblichen Zeugungsfähigkeit, und somit auch des Zeu-
gungstriebes sind als die Hoden der männlichen. Viele der
niedern weiblichen Thiere entbehren daher alle Geschlechtsor-
gane, nur die Ovarien nicht, ja daß selbst im Menschen
die Ovarien allein der Erzeugung und Ausbildung eines neuen
Individuums fähig sind, beweisen die später zu betrachtenden
Eyerstocksschwangerschaften. -- Nun sehen wir aber aller-
dings, wie sich dieses in der ausführlichen Geschichte der

*) Ueber Literatur und die verschiedenen Ansichten von dieser Krank-
heit darf folgende kleine Schrift empfohlen werden: F. A. Peschek
Diss. in. de furore uterino. Lips.
1810. -- Nur daß der Verfasser
den eigentlichen Sitz der Krankheit in die äußern Genitalien ver-
legt, ist wohl eben so wenig zu billigen, als wenn man den Sitz
des Hungers in die Mundhöhle verlegen wollte.

Melancholie oder ſelbſt ſoporoͤſer Zuſtand. Gewoͤhnlich pflegt
uͤbrigens der dritte Grad, wenn er nicht bald gehoben wird,
den Tod zu beſchleunigen, indem dabey die Reproduktion
immer mehr ſinkt, Bloͤdſinn, Auszehrung, Waſſerſucht oder
Apoplexie eintritt und das hier gewiß wuͤnſchenswerthe Ende
herbeyfuͤhrt; auch Selbſtmord iſt hier nicht ungewoͤhnlich.

§. 279.

Ueber das eigentliche Weſentliche dieſer traurigen
Krankheit (die ſogenannte naͤchſte Urſache) haben bisherige
Unterſuchungen noch zu wenig Aufſchluß gegeben. Die aͤltern
Aerzte ſuchten ſie in der Schaͤrfe und Gaͤhrung des weibli-
chen Samens, die Neuern gewoͤhnlich in uͤbermaͤßigem Ge-
ſchlechtstriebe, mit Wahnſinn oder Melancholie verbunden *).
Betrachtet man indeß theils die disponirenden, theils die Ge-
legenheitsurſachen der Nymphomanie, theils was die Erwaͤ-
gung der verſchiedenen Ausgaͤnge der Krankheit zeigt, theils
endlich was die Phyſiologie uͤber den Sitz der Geſchlechtsluſt
im weiblichen Koͤrper lehrt, ſo wird es mehr als wahrſchein-
lich, daß namentlich chroniſche Entzuͤndungen der
Ovarien
die Urſache aller jener Erſcheinungen darſtellen,
welche den Begriff der Nymphomanie geben. — Nicht zu
laͤugnen naͤmlich iſt es, daß die Ovarien eben ſo der erſte Grund
der weiblichen Zeugungsfaͤhigkeit, und ſomit auch des Zeu-
gungstriebes ſind als die Hoden der maͤnnlichen. Viele der
niedern weiblichen Thiere entbehren daher alle Geſchlechtsor-
gane, nur die Ovarien nicht, ja daß ſelbſt im Menſchen
die Ovarien allein der Erzeugung und Ausbildung eines neuen
Individuums faͤhig ſind, beweiſen die ſpaͤter zu betrachtenden
Eyerſtocksſchwangerſchaften. — Nun ſehen wir aber aller-
dings, wie ſich dieſes in der ausfuͤhrlichen Geſchichte der

*) Ueber Literatur und die verſchiedenen Anſichten von dieſer Krank-
heit darf folgende kleine Schrift empfohlen werden: F. A. Peschek
Diss. in. de furore uterino. Lips.
1810. — Nur daß der Verfaſſer
den eigentlichen Sitz der Krankheit in die aͤußern Genitalien ver-
legt, iſt wohl eben ſo wenig zu billigen, als wenn man den Sitz
des Hungers in die Mundhoͤhle verlegen wollte.
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[218/0238] Melancholie oder ſelbſt ſoporoͤſer Zuſtand. Gewoͤhnlich pflegt uͤbrigens der dritte Grad, wenn er nicht bald gehoben wird, den Tod zu beſchleunigen, indem dabey die Reproduktion immer mehr ſinkt, Bloͤdſinn, Auszehrung, Waſſerſucht oder Apoplexie eintritt und das hier gewiß wuͤnſchenswerthe Ende herbeyfuͤhrt; auch Selbſtmord iſt hier nicht ungewoͤhnlich. §. 279. Ueber das eigentliche Weſentliche dieſer traurigen Krankheit (die ſogenannte naͤchſte Urſache) haben bisherige Unterſuchungen noch zu wenig Aufſchluß gegeben. Die aͤltern Aerzte ſuchten ſie in der Schaͤrfe und Gaͤhrung des weibli- chen Samens, die Neuern gewoͤhnlich in uͤbermaͤßigem Ge- ſchlechtstriebe, mit Wahnſinn oder Melancholie verbunden *). Betrachtet man indeß theils die disponirenden, theils die Ge- legenheitsurſachen der Nymphomanie, theils was die Erwaͤ- gung der verſchiedenen Ausgaͤnge der Krankheit zeigt, theils endlich was die Phyſiologie uͤber den Sitz der Geſchlechtsluſt im weiblichen Koͤrper lehrt, ſo wird es mehr als wahrſchein- lich, daß namentlich chroniſche Entzuͤndungen der Ovarien die Urſache aller jener Erſcheinungen darſtellen, welche den Begriff der Nymphomanie geben. — Nicht zu laͤugnen naͤmlich iſt es, daß die Ovarien eben ſo der erſte Grund der weiblichen Zeugungsfaͤhigkeit, und ſomit auch des Zeu- gungstriebes ſind als die Hoden der maͤnnlichen. Viele der niedern weiblichen Thiere entbehren daher alle Geſchlechtsor- gane, nur die Ovarien nicht, ja daß ſelbſt im Menſchen die Ovarien allein der Erzeugung und Ausbildung eines neuen Individuums faͤhig ſind, beweiſen die ſpaͤter zu betrachtenden Eyerſtocksſchwangerſchaften. — Nun ſehen wir aber aller- dings, wie ſich dieſes in der ausfuͤhrlichen Geſchichte der *) Ueber Literatur und die verſchiedenen Anſichten von dieſer Krank- heit darf folgende kleine Schrift empfohlen werden: F. A. Peschek Diss. in. de furore uterino. Lips. 1810. — Nur daß der Verfaſſer den eigentlichen Sitz der Krankheit in die aͤußern Genitalien ver- legt, iſt wohl eben ſo wenig zu billigen, als wenn man den Sitz des Hungers in die Mundhoͤhle verlegen wollte.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/238>, abgerufen am 21.11.2024.