Ueberblick der physiologischen Eigenthümlich- keit des Fetus.
§. 729.
Nachdem wir im Allgemeinen das Entstehen, Fortwach- sen und Reifen des menschlichen Eies betrachtet haben, ist es nöthig noch auf das Leben und die einzelnen Lebensver- richtungen im Fetus eine nähere Aufmerksamkeit zu wenden, indem nur durch Beachtung seiner physiologischen Eigen- thümlichkeit, theils die pathologischen Zustände, welche er von der Geburt erleiden kann, theils die Umänderungen, welche er auch im regelmäßigen Lebensgange durch die Geburt er- fährt, anschaulich werden. So wie indeß bei der Lehre von der Eigenthümlichkeit des weiblichen Körpers die speciellen anatomischen Kenntnisse vorausgesetzt werden mußten, so ist auch hier nicht der Ort, die sämmtlichen Eigenthümlichkeiten, welche die Bildung einzelner Organe darbietet, besonders durchzugehen, worüber wir vielmehr auf besondere diesem Gegenstande gewidmete Schri[f]ten *) verweisen.
§. 730.
Von den Lebenseigenthümlichkeiten des Fe- tus überhaupt: Die bedeutendste ist unstreitig, daß sein Organismus nicht in freier und unmittelbarer Wechselwirkung mit der äußern Natur (mit dem Erdorganismus) steht, son- dern eingesenkt ist in den mütterlichen Organismus; folglich nur mittelbar Naturstoffe zu seiner Ernährung aufnimmt, nur mittelbar organischen Stoff an die äußere Natur aus- scheidet. Eben dadurch aber bestimmt sich als zweite Eigen- thümlichkeit, daß dem Fetus, in wiefern er gleichsam noch
*) Außer mehrern Anatomien (z. B. Hildebrandts Lehrb. d. Anat. IV. 10 Buch 55. Kap. II.) und Physiologien verweise ich vorzüglich auf E. G. Danz Grundriß der Zergliederungskunde des neugebor- nen Kindes 2r Bd. 1792. u. 93. -- Auch s. m. hierüber S. Ch. Lucä Grundriß einer Entwickelungsgeschichte des menschlichen Körpers. 1819.
Ueberblick der phyſiologiſchen Eigenthuͤmlich- keit des Fetus.
§. 729.
Nachdem wir im Allgemeinen das Entſtehen, Fortwach- ſen und Reifen des menſchlichen Eies betrachtet haben, iſt es noͤthig noch auf das Leben und die einzelnen Lebensver- richtungen im Fetus eine naͤhere Aufmerkſamkeit zu wenden, indem nur durch Beachtung ſeiner phyſiologiſchen Eigen- thuͤmlichkeit, theils die pathologiſchen Zuſtaͤnde, welche er von der Geburt erleiden kann, theils die Umaͤnderungen, welche er auch im regelmaͤßigen Lebensgange durch die Geburt er- faͤhrt, anſchaulich werden. So wie indeß bei der Lehre von der Eigenthuͤmlichkeit des weiblichen Koͤrpers die ſpeciellen anatomiſchen Kenntniſſe vorausgeſetzt werden mußten, ſo iſt auch hier nicht der Ort, die ſaͤmmtlichen Eigenthuͤmlichkeiten, welche die Bildung einzelner Organe darbietet, beſonders durchzugehen, woruͤber wir vielmehr auf beſondere dieſem Gegenſtande gewidmete Schri[f]ten *) verweiſen.
§. 730.
Von den Lebenseigenthuͤmlichkeiten des Fe- tus uͤberhaupt: Die bedeutendſte iſt unſtreitig, daß ſein Organismus nicht in freier und unmittelbarer Wechſelwirkung mit der aͤußern Natur (mit dem Erdorganismus) ſteht, ſon- dern eingeſenkt iſt in den muͤtterlichen Organismus; folglich nur mittelbar Naturſtoffe zu ſeiner Ernaͤhrung aufnimmt, nur mittelbar organiſchen Stoff an die aͤußere Natur aus- ſcheidet. Eben dadurch aber beſtimmt ſich als zweite Eigen- thuͤmlichkeit, daß dem Fetus, in wiefern er gleichſam noch
*) Außer mehrern Anatomien (z. B. Hildebrandts Lehrb. d. Anat. IV. 10 Buch 55. Kap. II.) und Phyſiologien verweiſe ich vorzuͤglich auf E. G. Danz Grundriß der Zergliederungskunde des neugebor- nen Kindes 2r Bd. 1792. u. 93. — Auch ſ. m. hieruͤber S. Ch. Lucaͤ Grundriß einer Entwickelungsgeſchichte des menſchlichen Koͤrpers. 1819.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0075"n="53"/><divn="6"><head><hirendition="#g">Ueberblick der phyſiologiſchen Eigenthuͤmlich-<lb/>
keit des Fetus</hi>.</head><lb/><divn="7"><head>§. 729.</head><lb/><p>Nachdem wir im Allgemeinen das Entſtehen, Fortwach-<lb/>ſen und Reifen des menſchlichen Eies betrachtet haben, iſt<lb/>
es noͤthig noch auf das Leben und die einzelnen Lebensver-<lb/>
richtungen im Fetus eine naͤhere Aufmerkſamkeit zu wenden,<lb/>
indem nur durch Beachtung ſeiner phyſiologiſchen Eigen-<lb/>
thuͤmlichkeit, theils die pathologiſchen Zuſtaͤnde, welche er von<lb/>
der Geburt erleiden kann, theils die Umaͤnderungen, welche<lb/>
er auch im regelmaͤßigen Lebensgange durch die Geburt er-<lb/>
faͤhrt, anſchaulich werden. So wie indeß bei der Lehre von<lb/>
der Eigenthuͤmlichkeit des weiblichen Koͤrpers die ſpeciellen<lb/>
anatomiſchen Kenntniſſe vorausgeſetzt werden mußten, ſo iſt<lb/>
auch hier nicht der Ort, die ſaͤmmtlichen Eigenthuͤmlichkeiten,<lb/>
welche die <hirendition="#g">Bildung</hi> einzelner Organe darbietet, beſonders<lb/>
durchzugehen, woruͤber wir vielmehr auf beſondere dieſem<lb/>
Gegenſtande gewidmete Schri<supplied>f</supplied>ten <noteplace="foot"n="*)">Außer mehrern Anatomien (z. B. Hildebrandts Lehrb. d. Anat.<lb/><hirendition="#aq">IV.</hi> 10 Buch 55. Kap. <hirendition="#aq">II.</hi>) und Phyſiologien verweiſe ich vorzuͤglich<lb/>
auf E. G. <hirendition="#g">Danz</hi> Grundriß der Zergliederungskunde des neugebor-<lb/>
nen Kindes 2r Bd. 1792. u. 93. — Auch ſ. m. hieruͤber S.<lb/>
Ch. <hirendition="#g">Lucaͤ</hi> Grundriß einer Entwickelungsgeſchichte des menſchlichen<lb/>
Koͤrpers. 1819.</note> verweiſen.</p></div><lb/><divn="7"><head>§. 730.</head><lb/><p><hirendition="#g">Von den Lebenseigenthuͤmlichkeiten des Fe-<lb/>
tus uͤberhaupt</hi>: Die bedeutendſte iſt unſtreitig, daß ſein<lb/>
Organismus nicht in freier und unmittelbarer Wechſelwirkung<lb/>
mit der aͤußern Natur (mit dem Erdorganismus) ſteht, ſon-<lb/>
dern eingeſenkt iſt in den muͤtterlichen Organismus; folglich<lb/>
nur mittelbar Naturſtoffe zu ſeiner Ernaͤhrung aufnimmt,<lb/>
nur mittelbar organiſchen Stoff an die aͤußere Natur aus-<lb/>ſcheidet. Eben dadurch aber beſtimmt ſich als zweite Eigen-<lb/>
thuͤmlichkeit, daß dem Fetus, in wiefern er gleichſam noch<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[53/0075]
Ueberblick der phyſiologiſchen Eigenthuͤmlich-
keit des Fetus.
§. 729.
Nachdem wir im Allgemeinen das Entſtehen, Fortwach-
ſen und Reifen des menſchlichen Eies betrachtet haben, iſt
es noͤthig noch auf das Leben und die einzelnen Lebensver-
richtungen im Fetus eine naͤhere Aufmerkſamkeit zu wenden,
indem nur durch Beachtung ſeiner phyſiologiſchen Eigen-
thuͤmlichkeit, theils die pathologiſchen Zuſtaͤnde, welche er von
der Geburt erleiden kann, theils die Umaͤnderungen, welche
er auch im regelmaͤßigen Lebensgange durch die Geburt er-
faͤhrt, anſchaulich werden. So wie indeß bei der Lehre von
der Eigenthuͤmlichkeit des weiblichen Koͤrpers die ſpeciellen
anatomiſchen Kenntniſſe vorausgeſetzt werden mußten, ſo iſt
auch hier nicht der Ort, die ſaͤmmtlichen Eigenthuͤmlichkeiten,
welche die Bildung einzelner Organe darbietet, beſonders
durchzugehen, woruͤber wir vielmehr auf beſondere dieſem
Gegenſtande gewidmete Schriften *) verweiſen.
§. 730.
Von den Lebenseigenthuͤmlichkeiten des Fe-
tus uͤberhaupt: Die bedeutendſte iſt unſtreitig, daß ſein
Organismus nicht in freier und unmittelbarer Wechſelwirkung
mit der aͤußern Natur (mit dem Erdorganismus) ſteht, ſon-
dern eingeſenkt iſt in den muͤtterlichen Organismus; folglich
nur mittelbar Naturſtoffe zu ſeiner Ernaͤhrung aufnimmt,
nur mittelbar organiſchen Stoff an die aͤußere Natur aus-
ſcheidet. Eben dadurch aber beſtimmt ſich als zweite Eigen-
thuͤmlichkeit, daß dem Fetus, in wiefern er gleichſam noch
*) Außer mehrern Anatomien (z. B. Hildebrandts Lehrb. d. Anat.
IV. 10 Buch 55. Kap. II.) und Phyſiologien verweiſe ich vorzuͤglich
auf E. G. Danz Grundriß der Zergliederungskunde des neugebor-
nen Kindes 2r Bd. 1792. u. 93. — Auch ſ. m. hieruͤber S.
Ch. Lucaͤ Grundriß einer Entwickelungsgeſchichte des menſchlichen
Koͤrpers. 1819.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/75>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.