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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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wir das Einverleibtsein mit dem Allgemeinen
oder Höhern
nannten, hier nothwendig am innigsten sich
bewähren muß. Eben darum ist ja das englische Sprich¬
wort gar nicht unwahr, welches aussagt: "Die Erziehung
des Kindes beginne neun Monate vor der Geburt;" denn
allerdings liegt es eben in jenem größern Unbewußtsein
und darum innigern Eingefügtsein in ein höheres Ganzes,
daß der Embryo nothwendig an allem mehr Theil nehmen
muß was die Mutter, in derem Schoße es ruht, bewegt,
als der geborne Mensch Theil nehmen kann an dem was
späterhin um denselben her sich begibt. Wie wichtige An¬
wendungen übrigens von diesem Gesetze sich auch noch
außerdem für das psychische Leben der Thierwelt ergeben
müssen, ist nun von selbst klar.

Es folgt indeß auch noch für das bewußte menschliche
Seelenleben aus dem Vorhergehenden weiter ein sehr merk¬
würdiges, und bisher in diesem Sinne noch gar nicht er¬
kannt gewesenes Resultat. Da nämlich, wie oben erwähnt,
alles was dem bewußten Seelenleben angehört, nicht immer
im Bewußtsein verharrt, sondern periodisch stets wieder in
das Unbewußte eingeht, so muß nun auch für dieses was
jetzt periodisch unbewußt geworden ist, jenes Gesetz für das
überhaupt Unbewußte seine Geltung erlangen, und beitra¬
gen, dieses einmal im Bewußtsein Gewesene und später
wieder dahin Kommende, so lange es unbewußt ist,
allemal mehr mit dem Allgemeinen in Rapport zu setzen
als es vorher war, und es dadurch immer in etwas
auch in sich zu verändern
. Diese Bemerkung ist so¬
gleich von ausnehmender Wichtigkeit für viele Vorgänge
des Seelenlebens. Jeder wird an sich die Erfahrung machen,
daß irgend ein Eindruck, irgend eine Vorstellung, wenn
sie lange unbewußt in der Seele geruht hat und nun wie¬
der ins Bewußtsein gerufen wird, oder, nach der innern
gesetzmäßigen Bewegung des Seelenlebens (wovon auch
noch späterhin die Rede sein muß) von selbst wieder er¬

wir das Einverleibtſein mit dem Allgemeinen
oder Höhern
nannten, hier nothwendig am innigſten ſich
bewähren muß. Eben darum iſt ja das engliſche Sprich¬
wort gar nicht unwahr, welches ausſagt: „Die Erziehung
des Kindes beginne neun Monate vor der Geburt;“ denn
allerdings liegt es eben in jenem größern Unbewußtſein
und darum innigern Eingefügtſein in ein höheres Ganzes,
daß der Embryo nothwendig an allem mehr Theil nehmen
muß was die Mutter, in derem Schoße es ruht, bewegt,
als der geborne Menſch Theil nehmen kann an dem was
ſpäterhin um denſelben her ſich begibt. Wie wichtige An¬
wendungen übrigens von dieſem Geſetze ſich auch noch
außerdem für das pſychiſche Leben der Thierwelt ergeben
müſſen, iſt nun von ſelbſt klar.

Es folgt indeß auch noch für das bewußte menſchliche
Seelenleben aus dem Vorhergehenden weiter ein ſehr merk¬
würdiges, und bisher in dieſem Sinne noch gar nicht er¬
kannt geweſenes Reſultat. Da nämlich, wie oben erwähnt,
alles was dem bewußten Seelenleben angehört, nicht immer
im Bewußtſein verharrt, ſondern periodiſch ſtets wieder in
das Unbewußte eingeht, ſo muß nun auch für dieſes was
jetzt periodiſch unbewußt geworden iſt, jenes Geſetz für das
überhaupt Unbewußte ſeine Geltung erlangen, und beitra¬
gen, dieſes einmal im Bewußtſein Geweſene und ſpäter
wieder dahin Kommende, ſo lange es unbewußt iſt,
allemal mehr mit dem Allgemeinen in Rapport zu ſetzen
als es vorher war, und es dadurch immer in etwas
auch in ſich zu verändern
. Dieſe Bemerkung iſt ſo¬
gleich von ausnehmender Wichtigkeit für viele Vorgänge
des Seelenlebens. Jeder wird an ſich die Erfahrung machen,
daß irgend ein Eindruck, irgend eine Vorſtellung, wenn
ſie lange unbewußt in der Seele geruht hat und nun wie¬
der ins Bewußtſein gerufen wird, oder, nach der innern
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[85/0101] wir das Einverleibtſein mit dem Allgemeinen oder Höhern nannten, hier nothwendig am innigſten ſich bewähren muß. Eben darum iſt ja das engliſche Sprich¬ wort gar nicht unwahr, welches ausſagt: „Die Erziehung des Kindes beginne neun Monate vor der Geburt;“ denn allerdings liegt es eben in jenem größern Unbewußtſein und darum innigern Eingefügtſein in ein höheres Ganzes, daß der Embryo nothwendig an allem mehr Theil nehmen muß was die Mutter, in derem Schoße es ruht, bewegt, als der geborne Menſch Theil nehmen kann an dem was ſpäterhin um denſelben her ſich begibt. Wie wichtige An¬ wendungen übrigens von dieſem Geſetze ſich auch noch außerdem für das pſychiſche Leben der Thierwelt ergeben müſſen, iſt nun von ſelbſt klar. Es folgt indeß auch noch für das bewußte menſchliche Seelenleben aus dem Vorhergehenden weiter ein ſehr merk¬ würdiges, und bisher in dieſem Sinne noch gar nicht er¬ kannt geweſenes Reſultat. Da nämlich, wie oben erwähnt, alles was dem bewußten Seelenleben angehört, nicht immer im Bewußtſein verharrt, ſondern periodiſch ſtets wieder in das Unbewußte eingeht, ſo muß nun auch für dieſes was jetzt periodiſch unbewußt geworden iſt, jenes Geſetz für das überhaupt Unbewußte ſeine Geltung erlangen, und beitra¬ gen, dieſes einmal im Bewußtſein Geweſene und ſpäter wieder dahin Kommende, ſo lange es unbewußt iſt, allemal mehr mit dem Allgemeinen in Rapport zu ſetzen als es vorher war, und es dadurch immer in etwas auch in ſich zu verändern. Dieſe Bemerkung iſt ſo¬ gleich von ausnehmender Wichtigkeit für viele Vorgänge des Seelenlebens. Jeder wird an ſich die Erfahrung machen, daß irgend ein Eindruck, irgend eine Vorſtellung, wenn ſie lange unbewußt in der Seele geruht hat und nun wie¬ der ins Bewußtſein gerufen wird, oder, nach der innern geſetzmäßigen Bewegung des Seelenlebens (wovon auch noch ſpäterhin die Rede ſein muß) von ſelbſt wieder er¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/101>, abgerufen am 21.11.2024.