und in einem wahren auf Erfüllung gemeinsamer Zwecke gegründeten Vereinleben, das Vorbild der nur im Menschen erst wirklich werdenden Verbindung Vieler zum Staate ab¬ gibt. Alles schwankt indeß immer noch zwischen unbedingter Nothwendigkeit und geringer Willkür so sehr hin und her, selbst in dem Lebenkreise der scheinbar intelligentsten Ge¬ schöpfe der niedern Klassen dieser Reihe (man denke nur an den Staat der Ameisen und Bienen), daß dem Indi¬ viduum kaum noch Ahnungen einer besondern psychischen Spontaneität zuzuerkennen sind. Dafür sind jedoch Er¬ scheinungen des Vereinlebens auf dieser Stufe psychologisch sehr lehrreich, indem sich an ihnen besonders deutlich er¬ kennen läßt, daß eine sehr bestimmte, und auch in mancher Beziehung freier gewordne Individualität der Idee in einer Vielheit von Wesen, sich sehr entschieden dar¬ leben kann, während alle die besondern Glieder dieser Vielheit eine weit schwächere psychische Entwick¬ lung verrathen. Die Idee der Gattung, von welcher schon früher die Rede war, macht sich nirgends mehr als in solchen Vorgängen, als ein organisches Ganzes, der Idee des Individuums gegenüber, geltend. Nirgends besser als hier kann man sich daher auch darüber verständigen, wie es keinesweges Bedingung sei, daß eine Idee sich einzig und allein durch das Einzelne, was wir ge¬ meinhin einen Organismus -- einen realen Organismus -- nennen, darleben müsse, sondern daß sehr bestimmte Fälle und in Menge, vorkommen, wo eine Idee nur durch eine Gesammtheit -- einen ideellen Organismus -- aus vielen untergeordneten Organismen bestehend, sich darleben kann. Eine Bemerkung, welche, um den höhern -- die einzelnen Menschen insgesammt einbegreifenden ideellen Organismus der Menschheit zu erfassen und zu verstehen sehr beachtet zu werden verdient. Man studire nur die Geschichte eines Bienenstaates, die Weisheit darin herrschender Anordnun¬ gen, das Heranziehen der Königin, das Umbringen der
und in einem wahren auf Erfüllung gemeinſamer Zwecke gegründeten Vereinleben, das Vorbild der nur im Menſchen erſt wirklich werdenden Verbindung Vieler zum Staate ab¬ gibt. Alles ſchwankt indeß immer noch zwiſchen unbedingter Nothwendigkeit und geringer Willkür ſo ſehr hin und her, ſelbſt in dem Lebenkreiſe der ſcheinbar intelligentſten Ge¬ ſchöpfe der niedern Klaſſen dieſer Reihe (man denke nur an den Staat der Ameiſen und Bienen), daß dem Indi¬ viduum kaum noch Ahnungen einer beſondern pſychiſchen Spontaneität zuzuerkennen ſind. Dafür ſind jedoch Er¬ ſcheinungen des Vereinlebens auf dieſer Stufe pſychologiſch ſehr lehrreich, indem ſich an ihnen beſonders deutlich er¬ kennen läßt, daß eine ſehr beſtimmte, und auch in mancher Beziehung freier gewordne Individualität der Idee in einer Vielheit von Weſen, ſich ſehr entſchieden dar¬ leben kann, während alle die beſondern Glieder dieſer Vielheit eine weit ſchwächere pſychiſche Entwick¬ lung verrathen. Die Idee der Gattung, von welcher ſchon früher die Rede war, macht ſich nirgends mehr als in ſolchen Vorgängen, als ein organiſches Ganzes, der Idee des Individuums gegenüber, geltend. Nirgends beſſer als hier kann man ſich daher auch darüber verſtändigen, wie es keinesweges Bedingung ſei, daß eine Idee ſich einzig und allein durch das Einzelne, was wir ge¬ meinhin einen Organismus — einen realen Organismus — nennen, darleben müſſe, ſondern daß ſehr beſtimmte Fälle und in Menge, vorkommen, wo eine Idee nur durch eine Geſammtheit — einen ideellen Organismus — aus vielen untergeordneten Organismen beſtehend, ſich darleben kann. Eine Bemerkung, welche, um den höhern — die einzelnen Menſchen insgeſammt einbegreifenden ideellen Organismus der Menſchheit zu erfaſſen und zu verſtehen ſehr beachtet zu werden verdient. Man ſtudire nur die Geſchichte eines Bienenſtaates, die Weisheit darin herrſchender Anordnun¬ gen, das Heranziehen der Königin, das Umbringen der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0141"n="125"/>
und in einem wahren auf Erfüllung gemeinſamer Zwecke<lb/>
gegründeten Vereinleben, das Vorbild der nur im Menſchen<lb/>
erſt wirklich werdenden Verbindung Vieler zum Staate ab¬<lb/>
gibt. Alles ſchwankt indeß immer noch zwiſchen unbedingter<lb/>
Nothwendigkeit und geringer Willkür ſo ſehr hin und her,<lb/>ſelbſt in dem Lebenkreiſe der ſcheinbar intelligentſten Ge¬<lb/>ſchöpfe der niedern Klaſſen dieſer Reihe (man denke nur<lb/>
an den Staat der Ameiſen und Bienen), daß dem Indi¬<lb/>
viduum kaum noch Ahnungen einer beſondern pſychiſchen<lb/>
Spontaneität zuzuerkennen ſind. Dafür ſind jedoch Er¬<lb/>ſcheinungen des Vereinlebens auf dieſer Stufe pſychologiſch<lb/>ſehr lehrreich, indem ſich an ihnen beſonders deutlich er¬<lb/>
kennen läßt, daß eine ſehr beſtimmte, und auch in mancher<lb/>
Beziehung freier gewordne Individualität der Idee <hirendition="#g">in<lb/>
einer Vielheit von Weſen</hi>, ſich ſehr entſchieden dar¬<lb/>
leben kann, während alle <hirendition="#g">die beſondern Glieder</hi> dieſer<lb/>
Vielheit <hirendition="#g">eine weit ſchwächere pſychiſche Entwick¬<lb/>
lung verrathen</hi>. Die Idee <hirendition="#g">der Gattung</hi>, von welcher<lb/>ſchon früher die Rede war, macht ſich nirgends mehr als<lb/>
in ſolchen Vorgängen, als ein organiſches Ganzes, der<lb/>
Idee des Individuums gegenüber, geltend. Nirgends beſſer<lb/>
als hier kann man ſich daher auch darüber verſtändigen,<lb/>
wie es keinesweges Bedingung ſei, daß eine Idee ſich<lb/>
einzig und allein <hirendition="#g">durch das Einzelne</hi>, was wir ge¬<lb/>
meinhin einen Organismus — einen realen Organismus —<lb/>
nennen, darleben müſſe, ſondern daß ſehr beſtimmte Fälle<lb/>
und in Menge, vorkommen, wo eine Idee nur durch eine<lb/>
Geſammtheit — einen ideellen Organismus — aus vielen<lb/>
untergeordneten Organismen beſtehend, ſich darleben kann.<lb/>
Eine Bemerkung, welche, um den höhern — die einzelnen<lb/>
Menſchen insgeſammt einbegreifenden ideellen Organismus<lb/>
der Menſchheit zu erfaſſen und zu verſtehen ſehr beachtet<lb/>
zu werden verdient. Man ſtudire nur die Geſchichte eines<lb/>
Bienenſtaates, die Weisheit darin herrſchender Anordnun¬<lb/>
gen, das Heranziehen der Königin, das Umbringen der<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[125/0141]
und in einem wahren auf Erfüllung gemeinſamer Zwecke
gegründeten Vereinleben, das Vorbild der nur im Menſchen
erſt wirklich werdenden Verbindung Vieler zum Staate ab¬
gibt. Alles ſchwankt indeß immer noch zwiſchen unbedingter
Nothwendigkeit und geringer Willkür ſo ſehr hin und her,
ſelbſt in dem Lebenkreiſe der ſcheinbar intelligentſten Ge¬
ſchöpfe der niedern Klaſſen dieſer Reihe (man denke nur
an den Staat der Ameiſen und Bienen), daß dem Indi¬
viduum kaum noch Ahnungen einer beſondern pſychiſchen
Spontaneität zuzuerkennen ſind. Dafür ſind jedoch Er¬
ſcheinungen des Vereinlebens auf dieſer Stufe pſychologiſch
ſehr lehrreich, indem ſich an ihnen beſonders deutlich er¬
kennen läßt, daß eine ſehr beſtimmte, und auch in mancher
Beziehung freier gewordne Individualität der Idee in
einer Vielheit von Weſen, ſich ſehr entſchieden dar¬
leben kann, während alle die beſondern Glieder dieſer
Vielheit eine weit ſchwächere pſychiſche Entwick¬
lung verrathen. Die Idee der Gattung, von welcher
ſchon früher die Rede war, macht ſich nirgends mehr als
in ſolchen Vorgängen, als ein organiſches Ganzes, der
Idee des Individuums gegenüber, geltend. Nirgends beſſer
als hier kann man ſich daher auch darüber verſtändigen,
wie es keinesweges Bedingung ſei, daß eine Idee ſich
einzig und allein durch das Einzelne, was wir ge¬
meinhin einen Organismus — einen realen Organismus —
nennen, darleben müſſe, ſondern daß ſehr beſtimmte Fälle
und in Menge, vorkommen, wo eine Idee nur durch eine
Geſammtheit — einen ideellen Organismus — aus vielen
untergeordneten Organismen beſtehend, ſich darleben kann.
Eine Bemerkung, welche, um den höhern — die einzelnen
Menſchen insgeſammt einbegreifenden ideellen Organismus
der Menſchheit zu erfaſſen und zu verſtehen ſehr beachtet
zu werden verdient. Man ſtudire nur die Geſchichte eines
Bienenſtaates, die Weisheit darin herrſchender Anordnun¬
gen, das Heranziehen der Königin, das Umbringen der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/141>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.