Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Licht über das Wesen dieses Bewußtseins selbst sich ergab.
Es ist hiebei übrigens allerdings vorauszusetzen, daß jene
erstern Bedingungen nur Steigerungen der für Entwicklung
des Bewußtseins im Allgemeinen gefundenen Bedingungen
sein können, und so erkennen wir deren denn hier nament¬
lich zwei an.

Das Erste nämlich, woraus ein Möglichwerden des
selbstbewußten Geistes sich ergibt, ist eine Steigerung dessen,
was als vierte Bedingung schon bei den Bedingungen des
Bewußtseins überhaupt aufgeführt worden ist; d. h. daß
eine Bildung und Gesundheit des Nervensystems
und insbesondere seiner centralen Masse vor¬
handen sei
, welche möglich mache die Aufbehal¬
tung einer hinreichenden Menge unter einander
zu vergleichender Vorstellungen
.

Es könnte daher in uns nie zum Selbstbewußtsein,
d. h. zur Entwicklung eines Geistes kommen, wenn nur
eine verkümmerte ungesunde Hirnbildung sich dargelebt hätte,
und eben hierin liegt auch der Grund davon, daß eine be¬
sonders kräftige Ausbildung des Geistes allemal wesentlich
mit bedingt sein wird durch eine gewisse kräftigere Entwick¬
lung des Nervensystems und insbesondere des Gehirns. Es
ist jedoch ausdrücklich hier abermals daran zu erinnern,
daß diese Bedingung schlechterdings nie als eine äußerliche,
als eine der Idee an sich fremde, sondern immer als eine
in ihr selbst durchaus begründete gedacht werde, da es ja
immer nur das frühere unbewußte Walten der Idee selbst
ist welche diese Bildung schafft 1.

1 Wenn man sich dieses Verhältniß recht deutlich macht, so muß es
auffallen wie unklar der Vorwurf des Materialismus gedacht war, den
man so oft gegen Thatsachen obiger Art erhoben hat. Der Gedanke an
Materialismus trug nämlich immer erst ein Fremdartiges hinein
-- ihm zufolge hatte ein fremdes Etwas ein materielles Gebilde geschaffen,
von dem man sich vorstellen sollte, es ginge dem Geiste nichts an, obwohl
man in jedem Augenblicke wahrnehmen mußte wie sehr dadurch der Geist
bedingt sei. Je tapferer nun trotz dem geglaubt wurde der Geist sei von
den materiellen Gebilden ganz unabhängig, desto verdienstlicher wurde es

Licht über das Weſen dieſes Bewußtſeins ſelbſt ſich ergab.
Es iſt hiebei übrigens allerdings vorauszuſetzen, daß jene
erſtern Bedingungen nur Steigerungen der für Entwicklung
des Bewußtſeins im Allgemeinen gefundenen Bedingungen
ſein können, und ſo erkennen wir deren denn hier nament¬
lich zwei an.

Das Erſte nämlich, woraus ein Möglichwerden des
ſelbſtbewußten Geiſtes ſich ergibt, iſt eine Steigerung deſſen,
was als vierte Bedingung ſchon bei den Bedingungen des
Bewußtſeins überhaupt aufgeführt worden iſt; d. h. daß
eine Bildung und Geſundheit des Nervenſyſtems
und insbeſondere ſeiner centralen Maſſe vor¬
handen ſei
, welche möglich mache die Aufbehal¬
tung einer hinreichenden Menge unter einander
zu vergleichender Vorſtellungen
.

Es könnte daher in uns nie zum Selbſtbewußtſein,
d. h. zur Entwicklung eines Geiſtes kommen, wenn nur
eine verkümmerte ungeſunde Hirnbildung ſich dargelebt hätte,
und eben hierin liegt auch der Grund davon, daß eine be¬
ſonders kräftige Ausbildung des Geiſtes allemal weſentlich
mit bedingt ſein wird durch eine gewiſſe kräftigere Entwick¬
lung des Nervenſyſtems und insbeſondere des Gehirns. Es
iſt jedoch ausdrücklich hier abermals daran zu erinnern,
daß dieſe Bedingung ſchlechterdings nie als eine äußerliche,
als eine der Idee an ſich fremde, ſondern immer als eine
in ihr ſelbſt durchaus begründete gedacht werde, da es ja
immer nur das frühere unbewußte Walten der Idee ſelbſt
iſt welche dieſe Bildung ſchafft 1.

1 Wenn man ſich dieſes Verhältniß recht deutlich macht, ſo muß es
auffallen wie unklar der Vorwurf des Materialismus gedacht war, den
man ſo oft gegen Thatſachen obiger Art erhoben hat. Der Gedanke an
Materialismus trug nämlich immer erſt ein Fremdartiges hinein
— ihm zufolge hatte ein fremdes Etwas ein materielles Gebilde geſchaffen,
von dem man ſich vorſtellen ſollte, es ginge dem Geiſte nichts an, obwohl
man in jedem Augenblicke wahrnehmen mußte wie ſehr dadurch der Geiſt
bedingt ſei. Je tapferer nun trotz dem geglaubt wurde der Geiſt ſei von
den materiellen Gebilden ganz unabhängig, deſto verdienſtlicher wurde es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0173" n="157"/>
Licht über das We&#x017F;en die&#x017F;es Bewußt&#x017F;eins &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich ergab.<lb/>
Es i&#x017F;t hiebei übrigens allerdings vorauszu&#x017F;etzen, daß jene<lb/>
er&#x017F;tern Bedingungen nur Steigerungen der für Entwicklung<lb/>
des Bewußt&#x017F;eins im Allgemeinen gefundenen Bedingungen<lb/>
&#x017F;ein können, und &#x017F;o erkennen wir deren denn hier nament¬<lb/>
lich zwei an.</p><lb/>
            <p>Das Er&#x017F;te nämlich, woraus ein Möglichwerden des<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tbewußten Gei&#x017F;tes &#x017F;ich ergibt, i&#x017F;t eine Steigerung de&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
was als vierte Bedingung &#x017F;chon bei den Bedingungen des<lb/>
Bewußt&#x017F;eins überhaupt aufgeführt worden i&#x017F;t; d. h. <hi rendition="#g">daß<lb/>
eine Bildung und Ge&#x017F;undheit des Nerven&#x017F;y&#x017F;tems<lb/>
und insbe&#x017F;ondere &#x017F;einer centralen Ma&#x017F;&#x017F;e vor¬<lb/>
handen &#x017F;ei</hi>, <hi rendition="#g">welche möglich mache die Aufbehal</hi>¬<lb/><hi rendition="#g">tung einer hinreichenden Menge unter einander<lb/>
zu vergleichender Vor&#x017F;tellungen</hi>.</p><lb/>
            <p>Es könnte daher in uns nie zum Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;ein,<lb/>
d. h. zur Entwicklung eines Gei&#x017F;tes kommen, wenn nur<lb/>
eine verkümmerte unge&#x017F;unde Hirnbildung &#x017F;ich dargelebt hätte,<lb/>
und eben hierin liegt auch der Grund davon, daß eine be¬<lb/>
&#x017F;onders kräftige Ausbildung des Gei&#x017F;tes allemal we&#x017F;entlich<lb/>
mit bedingt &#x017F;ein wird durch eine gewi&#x017F;&#x017F;e kräftigere Entwick¬<lb/>
lung des Nerven&#x017F;y&#x017F;tems und insbe&#x017F;ondere des Gehirns. Es<lb/>
i&#x017F;t jedoch ausdrücklich hier abermals <hi rendition="#g">daran</hi> zu erinnern,<lb/>
daß die&#x017F;e Bedingung &#x017F;chlechterdings nie als eine äußerliche,<lb/>
als eine der Idee an &#x017F;ich fremde, &#x017F;ondern immer als eine<lb/>
in ihr &#x017F;elb&#x017F;t durchaus begründete gedacht werde, da es ja<lb/>
immer nur das frühere unbewußte Walten der Idee &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
i&#x017F;t welche die&#x017F;e Bildung &#x017F;chafft <note xml:id="note-0173" next="#note-0174" place="foot" n="1">Wenn man &#x017F;ich die&#x017F;es Verhältniß recht deutlich macht, &#x017F;o muß es<lb/>
auffallen wie unklar der Vorwurf des Materialismus gedacht war, den<lb/>
man &#x017F;o oft gegen That&#x017F;achen obiger Art erhoben hat. Der Gedanke an<lb/>
Materialismus trug nämlich <hi rendition="#g">immer er&#x017F;t ein Fremdartiges hinein</hi><lb/>
&#x2014; ihm zufolge hatte ein fremdes Etwas ein materielles Gebilde ge&#x017F;chaffen,<lb/>
von dem man &#x017F;ich vor&#x017F;tellen &#x017F;ollte, es ginge dem Gei&#x017F;te nichts an, obwohl<lb/>
man in jedem Augenblicke wahrnehmen mußte wie &#x017F;ehr dadurch der Gei&#x017F;t<lb/>
bedingt &#x017F;ei. Je tapferer nun trotz dem geglaubt wurde der Gei&#x017F;t &#x017F;ei von<lb/>
den materiellen Gebilden ganz unabhängig, de&#x017F;to verdien&#x017F;tlicher wurde es</note>.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0173] Licht über das Weſen dieſes Bewußtſeins ſelbſt ſich ergab. Es iſt hiebei übrigens allerdings vorauszuſetzen, daß jene erſtern Bedingungen nur Steigerungen der für Entwicklung des Bewußtſeins im Allgemeinen gefundenen Bedingungen ſein können, und ſo erkennen wir deren denn hier nament¬ lich zwei an. Das Erſte nämlich, woraus ein Möglichwerden des ſelbſtbewußten Geiſtes ſich ergibt, iſt eine Steigerung deſſen, was als vierte Bedingung ſchon bei den Bedingungen des Bewußtſeins überhaupt aufgeführt worden iſt; d. h. daß eine Bildung und Geſundheit des Nervenſyſtems und insbeſondere ſeiner centralen Maſſe vor¬ handen ſei, welche möglich mache die Aufbehal¬ tung einer hinreichenden Menge unter einander zu vergleichender Vorſtellungen. Es könnte daher in uns nie zum Selbſtbewußtſein, d. h. zur Entwicklung eines Geiſtes kommen, wenn nur eine verkümmerte ungeſunde Hirnbildung ſich dargelebt hätte, und eben hierin liegt auch der Grund davon, daß eine be¬ ſonders kräftige Ausbildung des Geiſtes allemal weſentlich mit bedingt ſein wird durch eine gewiſſe kräftigere Entwick¬ lung des Nervenſyſtems und insbeſondere des Gehirns. Es iſt jedoch ausdrücklich hier abermals daran zu erinnern, daß dieſe Bedingung ſchlechterdings nie als eine äußerliche, als eine der Idee an ſich fremde, ſondern immer als eine in ihr ſelbſt durchaus begründete gedacht werde, da es ja immer nur das frühere unbewußte Walten der Idee ſelbſt iſt welche dieſe Bildung ſchafft 1. 1 Wenn man ſich dieſes Verhältniß recht deutlich macht, ſo muß es auffallen wie unklar der Vorwurf des Materialismus gedacht war, den man ſo oft gegen Thatſachen obiger Art erhoben hat. Der Gedanke an Materialismus trug nämlich immer erſt ein Fremdartiges hinein — ihm zufolge hatte ein fremdes Etwas ein materielles Gebilde geſchaffen, von dem man ſich vorſtellen ſollte, es ginge dem Geiſte nichts an, obwohl man in jedem Augenblicke wahrnehmen mußte wie ſehr dadurch der Geiſt bedingt ſei. Je tapferer nun trotz dem geglaubt wurde der Geiſt ſei von den materiellen Gebilden ganz unabhängig, deſto verdienſtlicher wurde es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/173
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/173>, abgerufen am 23.11.2024.