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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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fehlen, so lange die von dem durchströmenden Blute stets
wechselnd erhaltene Innervationsspannung der Hirnsubstanz
nicht aufgehoben ist, aber einmal gränzt sich um so schärfer
Schlaf und Wachen von einander ab, je tiefer der Schlaf
ist, und um so weniger wird eine unmittelbare Erinnerung
von dem ins Wachen mit übergehen was während des
Schlafs als besondere Vorstellungsreihe in der Seele er¬
schaut worden ist; und ein andermal ist eine Verschiedenheit
an Helligkeit des Vorstellungslebens zu verschiedenen Zeiten
und je nach verschiedenen Stimmungen des Organismus,
sowohl im Wachen als im Schlafen ganz unverkennbar
vorhanden. Ist daher die Gränze und der Gegensatz zwischen
Schlaf und Wachen weniger scharf hervorgehoben, und sind
die Vorstellungen von großer Helligkeit, so werden wir uns
der Träume als sehr lebhafter erinnern; ist der Gegensatz
sehr scharf ausgeprägt und ist die Energie des Vorstellungs¬
lebens gering, so wird nach dem Schlafe nichts von Träumen
in der Erinnerung zurückbleiben. Uebrigens ist die Art der
Wirksamkeit des Geistes in den Träumen sehr merkwürdig.
Gehen wir tiefer ein, so finden wir, daß von den drei
Stufen der Entwicklung der Seele: Unbewußtsein, Welt¬
bewußtsein, Selbstbewußtsein, nur die zweite, -- das Be¬
wußtsein des fortgesetzten Afficirtseins von einer wirklichen
Welt, und hiemit natürlich auch alle Reaction gegen eine
wirkliche Welt, durch dieses Umfangensein des Bewußten
vom Unbewußten aufgehoben ist, und daß uns nur noch
die Vorstellungen von dieser Welt übrig sind, welche
indeß jetzt, da sie des festen Haltes an der wirklichen Welt
entbehren, auf das Willkürlichste hin und her schwanken.
Das Selbstbewußtsein kann die Seele, so lange sie über¬
haupt die Bedingungen des Bewußtseins erhält, nicht wieder
verlieren wenn sie es einmal erlangt hat, und also besitzt
sie es auch im Traume; aber von den drei Stufen in denen
sich der selbstbewußte Geist entwickelt, Verstand, Phantasie
und Vernunft, kommen doch hier wieder eigentlich nur die

fehlen, ſo lange die von dem durchſtrömenden Blute ſtets
wechſelnd erhaltene Innervationsſpannung der Hirnſubſtanz
nicht aufgehoben iſt, aber einmal gränzt ſich um ſo ſchärfer
Schlaf und Wachen von einander ab, je tiefer der Schlaf
iſt, und um ſo weniger wird eine unmittelbare Erinnerung
von dem ins Wachen mit übergehen was während des
Schlafs als beſondere Vorſtellungsreihe in der Seele er¬
ſchaut worden iſt; und ein andermal iſt eine Verſchiedenheit
an Helligkeit des Vorſtellungslebens zu verſchiedenen Zeiten
und je nach verſchiedenen Stimmungen des Organismus,
ſowohl im Wachen als im Schlafen ganz unverkennbar
vorhanden. Iſt daher die Gränze und der Gegenſatz zwiſchen
Schlaf und Wachen weniger ſcharf hervorgehoben, und ſind
die Vorſtellungen von großer Helligkeit, ſo werden wir uns
der Träume als ſehr lebhafter erinnern; iſt der Gegenſatz
ſehr ſcharf ausgeprägt und iſt die Energie des Vorſtellungs¬
lebens gering, ſo wird nach dem Schlafe nichts von Träumen
in der Erinnerung zurückbleiben. Uebrigens iſt die Art der
Wirkſamkeit des Geiſtes in den Träumen ſehr merkwürdig.
Gehen wir tiefer ein, ſo finden wir, daß von den drei
Stufen der Entwicklung der Seele: Unbewußtſein, Welt¬
bewußtſein, Selbſtbewußtſein, nur die zweite, — das Be¬
wußtſein des fortgeſetzten Afficirtſeins von einer wirklichen
Welt, und hiemit natürlich auch alle Reaction gegen eine
wirkliche Welt, durch dieſes Umfangenſein des Bewußten
vom Unbewußten aufgehoben iſt, und daß uns nur noch
die Vorſtellungen von dieſer Welt übrig ſind, welche
indeß jetzt, da ſie des feſten Haltes an der wirklichen Welt
entbehren, auf das Willkürlichſte hin und her ſchwanken.
Das Selbſtbewußtſein kann die Seele, ſo lange ſie über¬
haupt die Bedingungen des Bewußtſeins erhält, nicht wieder
verlieren wenn ſie es einmal erlangt hat, und alſo beſitzt
ſie es auch im Traume; aber von den drei Stufen in denen
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und Vernunft, kommen doch hier wieder eigentlich nur die

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[216/0232] fehlen, ſo lange die von dem durchſtrömenden Blute ſtets wechſelnd erhaltene Innervationsſpannung der Hirnſubſtanz nicht aufgehoben iſt, aber einmal gränzt ſich um ſo ſchärfer Schlaf und Wachen von einander ab, je tiefer der Schlaf iſt, und um ſo weniger wird eine unmittelbare Erinnerung von dem ins Wachen mit übergehen was während des Schlafs als beſondere Vorſtellungsreihe in der Seele er¬ ſchaut worden iſt; und ein andermal iſt eine Verſchiedenheit an Helligkeit des Vorſtellungslebens zu verſchiedenen Zeiten und je nach verſchiedenen Stimmungen des Organismus, ſowohl im Wachen als im Schlafen ganz unverkennbar vorhanden. Iſt daher die Gränze und der Gegenſatz zwiſchen Schlaf und Wachen weniger ſcharf hervorgehoben, und ſind die Vorſtellungen von großer Helligkeit, ſo werden wir uns der Träume als ſehr lebhafter erinnern; iſt der Gegenſatz ſehr ſcharf ausgeprägt und iſt die Energie des Vorſtellungs¬ lebens gering, ſo wird nach dem Schlafe nichts von Träumen in der Erinnerung zurückbleiben. Uebrigens iſt die Art der Wirkſamkeit des Geiſtes in den Träumen ſehr merkwürdig. Gehen wir tiefer ein, ſo finden wir, daß von den drei Stufen der Entwicklung der Seele: Unbewußtſein, Welt¬ bewußtſein, Selbſtbewußtſein, nur die zweite, — das Be¬ wußtſein des fortgeſetzten Afficirtſeins von einer wirklichen Welt, und hiemit natürlich auch alle Reaction gegen eine wirkliche Welt, durch dieſes Umfangenſein des Bewußten vom Unbewußten aufgehoben iſt, und daß uns nur noch die Vorſtellungen von dieſer Welt übrig ſind, welche indeß jetzt, da ſie des feſten Haltes an der wirklichen Welt entbehren, auf das Willkürlichſte hin und her ſchwanken. Das Selbſtbewußtſein kann die Seele, ſo lange ſie über¬ haupt die Bedingungen des Bewußtſeins erhält, nicht wieder verlieren wenn ſie es einmal erlangt hat, und alſo beſitzt ſie es auch im Traume; aber von den drei Stufen in denen ſich der ſelbſtbewußte Geiſt entwickelt, Verſtand, Phantaſie und Vernunft, kommen doch hier wieder eigentlich nur die

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/232>, abgerufen am 21.11.2024.