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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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das Gefühl etwas mehr verschleiert und verdeckt, experi¬
mentire mehr in seinem Suchen und sei eben dadurch, und
weil er mehr den Sinnen und der Erkenntniß vertraut,
öfteren Irrthümern unterworfen, während das Weib (wie
schon oben erwähnt) in seinem vorwaltenden Unbewußten,
mit der Wünschelruthe des Gefühls -- mehr einem Rhab¬
domanten ähnlich -- im Leben umwandelt und darum wohl
häufiger als der Mann es erfährt, daß ihr Inneres erst
da
, und oft vor ihrem deutlichen Erkennen, vollkommen
ergriffen und von Liebe entzündet wird, wo das eigentliche
Urbild ihr entgegentritt.

Aus diesem Allen folgt nun, daß um das Wesen der
Liebe zu begreifen, wir allemal mit der unbewußten
Nothwendigkeit
beginnen müssen, und eben darin, in
diesem Unbewußten, liegt nun die große Gewalt, die ganze
Unmittelbarkeit, die hohe Vernunft, das eigentliche Recht,
und hinwiederum die Schwäche, der Mangel an Verstand und
Gesetz, und überhaupt der stäte Widerspruch, wie er zwischen
Unbewußtem und Bewußtem immer bestehen wird. -- Es
begreift sich nun auch die sonderbare Wahrnehmung, welche
bisher von Dichtern mehr ausgesprochen, als von Psycho¬
logen erfaßt worden war, daß nämlich bei diesem Gefühl
eintritt, was bei keinem andern in diesem Maß vorkommt,
nämlich eine gewisse Verwunderung, ja ein Erschre¬
cken
des bewußten Geistes über das Auftauchen dieses
Gefühls und dem Unbewußten. Dante in seiner vita
nuova
vereinigt hier wie immer den Dichter und Philoso¬
phen, wenn er bei Schilderung des ersten Aufflammens
der Liebe sagt: "der Geist des Lebens, der in der verbor¬
gensten Kammer des Herzens wohnt, begann so heftig zu
erzittern, daß er in den kleinsten Pulsen sich schrecklich offen¬
barte, und zitternd sprach er die Worte: " Ecce deus for ¬
tior me veniens dominabitur mihi ." -- Allerdings näm¬
lich muß dem bewußten Geiste jede sehr heftige Ueberfluthung
durch eine besondere Regung des unbewußten Lebens, oder

das Gefühl etwas mehr verſchleiert und verdeckt, experi¬
mentire mehr in ſeinem Suchen und ſei eben dadurch, und
weil er mehr den Sinnen und der Erkenntniß vertraut,
öfteren Irrthümern unterworfen, während das Weib (wie
ſchon oben erwähnt) in ſeinem vorwaltenden Unbewußten,
mit der Wünſchelruthe des Gefühls — mehr einem Rhab¬
domanten ähnlich — im Leben umwandelt und darum wohl
häufiger als der Mann es erfährt, daß ihr Inneres erſt
da
, und oft vor ihrem deutlichen Erkennen, vollkommen
ergriffen und von Liebe entzündet wird, wo das eigentliche
Urbild ihr entgegentritt.

Aus dieſem Allen folgt nun, daß um das Weſen der
Liebe zu begreifen, wir allemal mit der unbewußten
Nothwendigkeit
beginnen müſſen, und eben darin, in
dieſem Unbewußten, liegt nun die große Gewalt, die ganze
Unmittelbarkeit, die hohe Vernunft, das eigentliche Recht,
und hinwiederum die Schwäche, der Mangel an Verſtand und
Geſetz, und überhaupt der ſtäte Widerſpruch, wie er zwiſchen
Unbewußtem und Bewußtem immer beſtehen wird. — Es
begreift ſich nun auch die ſonderbare Wahrnehmung, welche
bisher von Dichtern mehr ausgeſprochen, als von Pſycho¬
logen erfaßt worden war, daß nämlich bei dieſem Gefühl
eintritt, was bei keinem andern in dieſem Maß vorkommt,
nämlich eine gewiſſe Verwunderung, ja ein Erſchre¬
cken
des bewußten Geiſtes über das Auftauchen dieſes
Gefühls und dem Unbewußten. Dante in ſeiner vita
nuova
vereinigt hier wie immer den Dichter und Philoſo¬
phen, wenn er bei Schilderung des erſten Aufflammens
der Liebe ſagt: „der Geiſt des Lebens, der in der verbor¬
genſten Kammer des Herzens wohnt, begann ſo heftig zu
erzittern, daß er in den kleinſten Pulſen ſich ſchrecklich offen¬
barte, und zitternd ſprach er die Worte: Ecce deus for ¬
tior me veniens dominabitur mihi .“ — Allerdings näm¬
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[287/0303] das Gefühl etwas mehr verſchleiert und verdeckt, experi¬ mentire mehr in ſeinem Suchen und ſei eben dadurch, und weil er mehr den Sinnen und der Erkenntniß vertraut, öfteren Irrthümern unterworfen, während das Weib (wie ſchon oben erwähnt) in ſeinem vorwaltenden Unbewußten, mit der Wünſchelruthe des Gefühls — mehr einem Rhab¬ domanten ähnlich — im Leben umwandelt und darum wohl häufiger als der Mann es erfährt, daß ihr Inneres erſt da, und oft vor ihrem deutlichen Erkennen, vollkommen ergriffen und von Liebe entzündet wird, wo das eigentliche Urbild ihr entgegentritt. Aus dieſem Allen folgt nun, daß um das Weſen der Liebe zu begreifen, wir allemal mit der unbewußten Nothwendigkeit beginnen müſſen, und eben darin, in dieſem Unbewußten, liegt nun die große Gewalt, die ganze Unmittelbarkeit, die hohe Vernunft, das eigentliche Recht, und hinwiederum die Schwäche, der Mangel an Verſtand und Geſetz, und überhaupt der ſtäte Widerſpruch, wie er zwiſchen Unbewußtem und Bewußtem immer beſtehen wird. — Es begreift ſich nun auch die ſonderbare Wahrnehmung, welche bisher von Dichtern mehr ausgeſprochen, als von Pſycho¬ logen erfaßt worden war, daß nämlich bei dieſem Gefühl eintritt, was bei keinem andern in dieſem Maß vorkommt, nämlich eine gewiſſe Verwunderung, ja ein Erſchre¬ cken des bewußten Geiſtes über das Auftauchen dieſes Gefühls und dem Unbewußten. Dante in ſeiner vita nuova vereinigt hier wie immer den Dichter und Philoſo¬ phen, wenn er bei Schilderung des erſten Aufflammens der Liebe ſagt: „der Geiſt des Lebens, der in der verbor¬ genſten Kammer des Herzens wohnt, begann ſo heftig zu erzittern, daß er in den kleinſten Pulſen ſich ſchrecklich offen¬ barte, und zitternd ſprach er die Worte: „ Ecce deus for ¬ tior me veniens dominabitur mihi .“ — Allerdings näm¬ lich muß dem bewußten Geiſte jede ſehr heftige Ueberfluthung durch eine beſondere Regung des unbewußten Lebens, oder

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/303>, abgerufen am 22.11.2024.