Erglühen einer Seele für Wissenschaft und Kunst, ohne welche eine große außerordentliche Leistung in keiner von beiden ge¬ denkbar ist, oder in dem heftigen Erglühen eines vollkomme¬ nen Liebesgefühls zweier sich gegenseitig unerläßlichen und sich erst wechselseitig vervollständigenden menschlichen Naturen, oder selbst in der feurigen Gluth der Liebe zu Gott, welche die Begeisterung des Heiligen bedingt, -- bei keiner dieser Liebesflammen wird es fehlen, daß nicht zugleich die Un¬ möglichkeit der vollen und unbedingten Genugthuung, die Unzulänglichkeit unsers ganzen Daseins und die Lückenhaftig¬ keit der menschlichen Verhältnisse, einen tiefen schmerzlichen Zug, einen Zug ernster Trauer hinzufüge zu aller Freudigkeit und Seeligkeit, welche der Seele allerdings in solchem höhern Liebesbestreben aufgehen kann und wirklich aufgeht. Aus dieser Ursache entsteht also allerdings ein Leiden, jenes Pathos, welches allem heftigen und eben selbst dem edelsten Liebesbestreben den Namen der Leidenschaft zugezogen hat.
In diesem Leiden nun, in dieser Leidenschaft ist nichts wahrhaft Krankes; eben so wenig als ein bloßer tiefer Schmerz, den wir empfinden, ein Druck, der auf uns lastet, ein Stich, der uns verletzt, eine Krankheit genannt werden kann. Dieser Zug des Liebeglühens also für Kunst oder Religion, oder für die wahrhaft zu liebende Seele, für kein Scheinbild, dieser Zug, welcher alle Kräfte der Seele nach einem Punkte hinlenkt, und welchem wir doch nie ganz genug thun, den wir doch nie ganz befriedigen können, er kann zwar nicht ohne Schmerz oder Leiden sein, er kann sogar etwas das irdische Dasein Zerstörendes haben (wie nicht bloß eine Krankheit, sondern auch eine Ver¬ letzung, eine schmerzende Wunde den Menschen tödten kann), aber er verträgt sich mit allem Edeln und Großen, er ist gesund und würdig in sich, und in diesem Sinne wird die Leidenschaft dem wieder verwandt, oder ist selbst jenes Pathos (Pathema animi), welches schon bei den Alten das eigentliche Element ihrer Tragödie ausmachte.
Erglühen einer Seele für Wiſſenſchaft und Kunſt, ohne welche eine große außerordentliche Leiſtung in keiner von beiden ge¬ denkbar iſt, oder in dem heftigen Erglühen eines vollkomme¬ nen Liebesgefühls zweier ſich gegenſeitig unerläßlichen und ſich erſt wechſelſeitig vervollſtändigenden menſchlichen Naturen, oder ſelbſt in der feurigen Gluth der Liebe zu Gott, welche die Begeiſterung des Heiligen bedingt, — bei keiner dieſer Liebesflammen wird es fehlen, daß nicht zugleich die Un¬ möglichkeit der vollen und unbedingten Genugthuung, die Unzulänglichkeit unſers ganzen Daſeins und die Lückenhaftig¬ keit der menſchlichen Verhältniſſe, einen tiefen ſchmerzlichen Zug, einen Zug ernſter Trauer hinzufüge zu aller Freudigkeit und Seeligkeit, welche der Seele allerdings in ſolchem höhern Liebesbeſtreben aufgehen kann und wirklich aufgeht. Aus dieſer Urſache entſteht alſo allerdings ein Leiden, jenes Pathos, welches allem heftigen und eben ſelbſt dem edelſten Liebesbeſtreben den Namen der Leidenſchaft zugezogen hat.
In dieſem Leiden nun, in dieſer Leidenſchaft iſt nichts wahrhaft Krankes; eben ſo wenig als ein bloßer tiefer Schmerz, den wir empfinden, ein Druck, der auf uns laſtet, ein Stich, der uns verletzt, eine Krankheit genannt werden kann. Dieſer Zug des Liebeglühens alſo für Kunſt oder Religion, oder für die wahrhaft zu liebende Seele, für kein Scheinbild, dieſer Zug, welcher alle Kräfte der Seele nach einem Punkte hinlenkt, und welchem wir doch nie ganz genug thun, den wir doch nie ganz befriedigen können, er kann zwar nicht ohne Schmerz oder Leiden ſein, er kann ſogar etwas das irdiſche Daſein Zerſtörendes haben (wie nicht bloß eine Krankheit, ſondern auch eine Ver¬ letzung, eine ſchmerzende Wunde den Menſchen tödten kann), aber er verträgt ſich mit allem Edeln und Großen, er iſt geſund und würdig in ſich, und in dieſem Sinne wird die Leidenſchaft dem wieder verwandt, oder iſt ſelbſt jenes Pathos (Pathema animi), welches ſchon bei den Alten das eigentliche Element ihrer Tragödie ausmachte.
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Erglühen einer Seele für Wiſſenſchaft und Kunſt, ohne welche
eine große außerordentliche Leiſtung in keiner von beiden ge¬
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nen Liebesgefühls zweier ſich gegenſeitig unerläßlichen und
ſich erſt wechſelſeitig vervollſtändigenden menſchlichen Naturen,
oder ſelbſt in der feurigen Gluth der Liebe zu Gott, welche
die Begeiſterung des Heiligen bedingt, — bei keiner dieſer
Liebesflammen wird es fehlen, daß nicht zugleich die Un¬
möglichkeit der vollen und unbedingten Genugthuung, die
Unzulänglichkeit unſers ganzen Daſeins und die Lückenhaftig¬
keit der menſchlichen Verhältniſſe, einen tiefen ſchmerzlichen
Zug, einen Zug ernſter Trauer hinzufüge zu aller Freudigkeit
und Seeligkeit, welche der Seele allerdings in ſolchem höhern
Liebesbeſtreben aufgehen kann und wirklich aufgeht. Aus
dieſer Urſache entſteht alſo allerdings ein Leiden, jenes
Pathos, welches allem heftigen und eben ſelbſt dem edelſten
Liebesbeſtreben den Namen der Leidenſchaft zugezogen hat.
In dieſem Leiden nun, in dieſer Leidenſchaft iſt
nichts wahrhaft Krankes; eben ſo wenig als ein bloßer
tiefer Schmerz, den wir empfinden, ein Druck, der auf uns
laſtet, ein Stich, der uns verletzt, eine Krankheit genannt
werden kann. Dieſer Zug des Liebeglühens alſo für Kunſt
oder Religion, oder für die wahrhaft zu liebende Seele,
für kein Scheinbild, dieſer Zug, welcher alle Kräfte der
Seele nach einem Punkte hinlenkt, und welchem wir doch
nie ganz genug thun, den wir doch nie ganz befriedigen
können, er kann zwar nicht ohne Schmerz oder Leiden ſein,
er kann ſogar etwas das irdiſche Daſein Zerſtörendes haben
(wie nicht bloß eine Krankheit, ſondern auch eine Ver¬
letzung, eine ſchmerzende Wunde den Menſchen tödten kann),
aber er verträgt ſich mit allem Edeln und Großen, er iſt
geſund und würdig in ſich, und in dieſem Sinne
wird die Leidenſchaft dem wieder verwandt, oder iſt ſelbſt
jenes Pathos (Pathema animi), welches ſchon bei den
Alten das eigentliche Element ihrer Tragödie ausmachte.
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/317>, abgerufen am 22.11.2024.
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