Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

einer und derselben Richtung das eine dieser Gefühle oft
plötzlich in das andere umspringen, wie aus Haß hef¬
tige Liebe und aus glühender Liebe nicht minder glühen¬
der Haß entspringen kann. Auch hier hängt Alles von
dem Grade des Wachsthums der Seele und von Entwick¬
lung der Intelligenz ab. Es ist leicht zu verstehen, daß
eine höhere Stufe, welche Scheinbilder der Liebe und des
Hasses mehr und mehr ausschließt, und die Seele mehr zu
allgemeiner Freudigkeit und Liebe stimmt, solchem Wechsel
und solcher Zerwürfniß nicht mehr zugänglich sein wird,
dagegen wird eines Theils immer es nothwendig und natür¬
lich bleiben, daß, wenn in irgend einer Richtung, und sei
es auch in einer ganz edlen und gemäßen, lebendige Liebe
sich entwickelt, Alles, was sich dieser Liebe beharrlich und
hemmend entgegenstellt, und alles geringere, störende und
ungemäße Verhältniß, mit kräftigem Widerstreben, also mit
einer gewissen entschiedenen Abneigung und einem Haß auf¬
gefaßt und betrachtet werden müsse, andern Theils wird es
aber auch verständlich, welche scharf wechselnde Gegensätze
hier vorkommen können, indem etwa plötzlich erkannt wird,
daß ein Gegenstand der Liebe, welcher für das Urbild ge¬
halten wurde, nur ein Scheinbild sei, so daß die Seele
ihn nun entschieden negirt, oder umgekehrt plötzlich etwas,
das vielleicht zuerst durch die Macht seiner Erscheinung an
und für sich zur Gegenwirkung aufforderte, als wirkliches
Liebes-Urbild erkannt und nun mit aller Heftigkeit ersehnt
und erfaßt wird; Fälle, zu welchen das Leben die mannich¬
faltigsten Beispiele darbietet.

Das Verhältniß des Hasses zu dem gesammten
Seelenleben
kann nun in gewisser Hinsicht ein fördern¬
des, in vielen andern nur ein störendes genannt werden.
Fördernd ist es in den frühern Entwicklungsperioden, um
manches Ungemäße, manches dem innersten Wesen der Seele
zuwider Seiende stark zurückzustoßen und entschieden abzu¬
weisen. Merkwürdig ist es dann, wie der Haß, oft in

einer und derſelben Richtung das eine dieſer Gefühle oft
plötzlich in das andere umſpringen, wie aus Haß hef¬
tige Liebe und aus glühender Liebe nicht minder glühen¬
der Haß entſpringen kann. Auch hier hängt Alles von
dem Grade des Wachsthums der Seele und von Entwick¬
lung der Intelligenz ab. Es iſt leicht zu verſtehen, daß
eine höhere Stufe, welche Scheinbilder der Liebe und des
Haſſes mehr und mehr ausſchließt, und die Seele mehr zu
allgemeiner Freudigkeit und Liebe ſtimmt, ſolchem Wechſel
und ſolcher Zerwürfniß nicht mehr zugänglich ſein wird,
dagegen wird eines Theils immer es nothwendig und natür¬
lich bleiben, daß, wenn in irgend einer Richtung, und ſei
es auch in einer ganz edlen und gemäßen, lebendige Liebe
ſich entwickelt, Alles, was ſich dieſer Liebe beharrlich und
hemmend entgegenſtellt, und alles geringere, ſtörende und
ungemäße Verhältniß, mit kräftigem Widerſtreben, alſo mit
einer gewiſſen entſchiedenen Abneigung und einem Haß auf¬
gefaßt und betrachtet werden müſſe, andern Theils wird es
aber auch verſtändlich, welche ſcharf wechſelnde Gegenſätze
hier vorkommen können, indem etwa plötzlich erkannt wird,
daß ein Gegenſtand der Liebe, welcher für das Urbild ge¬
halten wurde, nur ein Scheinbild ſei, ſo daß die Seele
ihn nun entſchieden negirt, oder umgekehrt plötzlich etwas,
das vielleicht zuerſt durch die Macht ſeiner Erſcheinung an
und für ſich zur Gegenwirkung aufforderte, als wirkliches
Liebes-Urbild erkannt und nun mit aller Heftigkeit erſehnt
und erfaßt wird; Fälle, zu welchen das Leben die mannich¬
faltigſten Beiſpiele darbietet.

Das Verhältniß des Haſſes zu dem geſammten
Seelenleben
kann nun in gewiſſer Hinſicht ein fördern¬
des, in vielen andern nur ein ſtörendes genannt werden.
Fördernd iſt es in den frühern Entwicklungsperioden, um
manches Ungemäße, manches dem innerſten Weſen der Seele
zuwider Seiende ſtark zurückzuſtoßen und entſchieden abzu¬
weiſen. Merkwürdig iſt es dann, wie der Haß, oft in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0338" n="322"/>
einer und der&#x017F;elben Richtung das eine die&#x017F;er Gefühle oft<lb/>
plötzlich in das andere um&#x017F;pringen, wie aus Haß hef¬<lb/>
tige Liebe und aus glühender Liebe nicht minder glühen¬<lb/>
der Haß ent&#x017F;pringen kann. Auch hier hängt Alles von<lb/>
dem Grade des Wachsthums der Seele und von Entwick¬<lb/>
lung der Intelligenz ab. Es i&#x017F;t leicht zu ver&#x017F;tehen, daß<lb/>
eine höhere Stufe, welche Scheinbilder der Liebe und des<lb/>
Ha&#x017F;&#x017F;es mehr und mehr aus&#x017F;chließt, und die Seele mehr zu<lb/>
allgemeiner Freudigkeit und Liebe &#x017F;timmt, &#x017F;olchem Wech&#x017F;el<lb/>
und &#x017F;olcher Zerwürfniß nicht mehr zugänglich &#x017F;ein wird,<lb/>
dagegen wird eines Theils immer es nothwendig und natür¬<lb/>
lich bleiben, daß, wenn in irgend einer Richtung, und &#x017F;ei<lb/>
es auch in einer ganz edlen und gemäßen, lebendige Liebe<lb/>
&#x017F;ich entwickelt, Alles, was &#x017F;ich die&#x017F;er Liebe beharrlich und<lb/>
hemmend entgegen&#x017F;tellt, und alles geringere, &#x017F;törende und<lb/>
ungemäße Verhältniß, mit kräftigem Wider&#x017F;treben, al&#x017F;o mit<lb/>
einer gewi&#x017F;&#x017F;en ent&#x017F;chiedenen Abneigung und einem Haß auf¬<lb/>
gefaßt und betrachtet werden mü&#x017F;&#x017F;e, andern Theils wird es<lb/>
aber auch ver&#x017F;tändlich, welche &#x017F;charf wech&#x017F;elnde Gegen&#x017F;ätze<lb/>
hier vorkommen können, indem etwa plötzlich erkannt wird,<lb/>
daß ein Gegen&#x017F;tand der Liebe, welcher für das Urbild ge¬<lb/>
halten wurde, nur ein Scheinbild &#x017F;ei, &#x017F;o daß die Seele<lb/>
ihn nun ent&#x017F;chieden negirt, oder umgekehrt plötzlich etwas,<lb/>
das vielleicht zuer&#x017F;t durch die Macht &#x017F;einer Er&#x017F;cheinung an<lb/>
und für &#x017F;ich zur Gegenwirkung aufforderte, als wirkliches<lb/>
Liebes-Urbild erkannt und nun mit aller Heftigkeit er&#x017F;ehnt<lb/>
und erfaßt wird; Fälle, zu welchen das Leben die mannich¬<lb/>
faltig&#x017F;ten Bei&#x017F;piele darbietet.</p><lb/>
              <p>Das Verhältniß des Ha&#x017F;&#x017F;es <hi rendition="#g">zu dem ge&#x017F;ammten<lb/>
Seelenleben</hi> kann nun in gewi&#x017F;&#x017F;er Hin&#x017F;icht ein fördern¬<lb/>
des, in vielen andern nur ein &#x017F;törendes genannt werden.<lb/>
Fördernd i&#x017F;t es in den frühern Entwicklungsperioden, um<lb/>
manches Ungemäße, manches dem inner&#x017F;ten We&#x017F;en der Seele<lb/>
zuwider Seiende &#x017F;tark zurückzu&#x017F;toßen und ent&#x017F;chieden abzu¬<lb/>
wei&#x017F;en. Merkwürdig i&#x017F;t es dann, wie der Haß, oft in<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0338] einer und derſelben Richtung das eine dieſer Gefühle oft plötzlich in das andere umſpringen, wie aus Haß hef¬ tige Liebe und aus glühender Liebe nicht minder glühen¬ der Haß entſpringen kann. Auch hier hängt Alles von dem Grade des Wachsthums der Seele und von Entwick¬ lung der Intelligenz ab. Es iſt leicht zu verſtehen, daß eine höhere Stufe, welche Scheinbilder der Liebe und des Haſſes mehr und mehr ausſchließt, und die Seele mehr zu allgemeiner Freudigkeit und Liebe ſtimmt, ſolchem Wechſel und ſolcher Zerwürfniß nicht mehr zugänglich ſein wird, dagegen wird eines Theils immer es nothwendig und natür¬ lich bleiben, daß, wenn in irgend einer Richtung, und ſei es auch in einer ganz edlen und gemäßen, lebendige Liebe ſich entwickelt, Alles, was ſich dieſer Liebe beharrlich und hemmend entgegenſtellt, und alles geringere, ſtörende und ungemäße Verhältniß, mit kräftigem Widerſtreben, alſo mit einer gewiſſen entſchiedenen Abneigung und einem Haß auf¬ gefaßt und betrachtet werden müſſe, andern Theils wird es aber auch verſtändlich, welche ſcharf wechſelnde Gegenſätze hier vorkommen können, indem etwa plötzlich erkannt wird, daß ein Gegenſtand der Liebe, welcher für das Urbild ge¬ halten wurde, nur ein Scheinbild ſei, ſo daß die Seele ihn nun entſchieden negirt, oder umgekehrt plötzlich etwas, das vielleicht zuerſt durch die Macht ſeiner Erſcheinung an und für ſich zur Gegenwirkung aufforderte, als wirkliches Liebes-Urbild erkannt und nun mit aller Heftigkeit erſehnt und erfaßt wird; Fälle, zu welchen das Leben die mannich¬ faltigſten Beiſpiele darbietet. Das Verhältniß des Haſſes zu dem geſammten Seelenleben kann nun in gewiſſer Hinſicht ein fördern¬ des, in vielen andern nur ein ſtörendes genannt werden. Fördernd iſt es in den frühern Entwicklungsperioden, um manches Ungemäße, manches dem innerſten Weſen der Seele zuwider Seiende ſtark zurückzuſtoßen und entſchieden abzu¬ weiſen. Merkwürdig iſt es dann, wie der Haß, oft in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/338
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/338>, abgerufen am 22.11.2024.