ken jenes Untergehen in das plastisch verharrende Schöne weniger angemessen ist, sondern er gibt auch nähere An¬ deutung darüber, warum gewisse theils mehr auf Reaction, theils mehr auf Production gerichtete Eigenthümlichkeiten mit einer höhern Erkenntniß durchaus nicht stimmen. Jeder fühlt unmittelbar, warum die Gestalt eines farnesischen Herkules ganz unmöglich zu vereinen ist mit einer Seele, welche im Geiste die höhere philosophische Erkenntniß errun¬ gen hat, und bedeutungsvoll genug ist in dieser Beziehung schon die Mythe vom Herakles selbst, als welcher mit all seiner derben Gewalt doch der Sklave eines schwachen Man¬ nes blieb und nur aufgetragene Arbeiten ausführen konnte. Eben so ist es mit der leiblichen Productivität. Es ist außerordentlich was namentlich die Seherkunst der Dichter hierüber schon mit Bestimmtheit ausgesagt hat, ohne irgend nähere wissenschaftliche Construction. Eine der schärfsten Stellen hierüber ist die bekannte in Shakespeare's Julius Cäsar, wo Cäsar vom Cassius sagt:
"Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, Mit glatten Köpfen und die Nachts gut schlafen, Der Cassius dort hat einen hohlen Blick, Er denkt zu viel: die Leute sind gefährlich."
Denn wer sollte auf den ersten Blick glauben, daß stärkere oder schwächere Ablagerung von Fett und Zellge¬ webe mit niedrigerer oder höherer Erkenntniß in Beziehung stehen könnte, und doch ist es so! ja, was sonst ist denn die Ursache, daß die weibliche Seele verhältnißmäßig we¬ niger für höhere Erkenntniß sich eignet als die männliche, als daß der weibliche Organismus mehr der unbewußten leiblichen Productivität bestimmt ist als der männliche.
Noch entschiedener und noch deutlicher als auf die Ge¬ staltungs-Vorgänge des unbewußten Lebens wirkt die Er¬ kenntniß auf die in Gefühle und Bewegungen ausgehenden Lebenserscheinungen des Unbewußten. Eine höhere Erkennt¬ niß veredelt und erhöht, eine niedere Erkenntniß avilirt und treibt ins Gemeine Alles was dem bildenden Leben
ken jenes Untergehen in das plaſtiſch verharrende Schöne weniger angemeſſen iſt, ſondern er gibt auch nähere An¬ deutung darüber, warum gewiſſe theils mehr auf Reaction, theils mehr auf Production gerichtete Eigenthümlichkeiten mit einer höhern Erkenntniß durchaus nicht ſtimmen. Jeder fühlt unmittelbar, warum die Geſtalt eines farneſiſchen Herkules ganz unmöglich zu vereinen iſt mit einer Seele, welche im Geiſte die höhere philoſophiſche Erkenntniß errun¬ gen hat, und bedeutungsvoll genug iſt in dieſer Beziehung ſchon die Mythe vom Herakles ſelbſt, als welcher mit all ſeiner derben Gewalt doch der Sklave eines ſchwachen Man¬ nes blieb und nur aufgetragene Arbeiten ausführen konnte. Eben ſo iſt es mit der leiblichen Productivität. Es iſt außerordentlich was namentlich die Seherkunſt der Dichter hierüber ſchon mit Beſtimmtheit ausgeſagt hat, ohne irgend nähere wiſſenſchaftliche Conſtruction. Eine der ſchärfſten Stellen hierüber iſt die bekannte in Shakespeare's Julius Cäſar, wo Cäſar vom Caſſius ſagt:
„Laßt wohlbeleibte Männer um mich ſein, Mit glatten Köpfen und die Nachts gut ſchlafen, Der Caſſius dort hat einen hohlen Blick, Er denkt zu viel: die Leute ſind gefährlich.“
Denn wer ſollte auf den erſten Blick glauben, daß ſtärkere oder ſchwächere Ablagerung von Fett und Zellge¬ webe mit niedrigerer oder höherer Erkenntniß in Beziehung ſtehen könnte, und doch iſt es ſo! ja, was ſonſt iſt denn die Urſache, daß die weibliche Seele verhältnißmäßig we¬ niger für höhere Erkenntniß ſich eignet als die männliche, als daß der weibliche Organismus mehr der unbewußten leiblichen Productivität beſtimmt iſt als der männliche.
Noch entſchiedener und noch deutlicher als auf die Ge¬ ſtaltungs-Vorgänge des unbewußten Lebens wirkt die Er¬ kenntniß auf die in Gefühle und Bewegungen ausgehenden Lebenserſcheinungen des Unbewußten. Eine höhere Erkennt¬ niß veredelt und erhöht, eine niedere Erkenntniß avilirt und treibt ins Gemeine Alles was dem bildenden Leben
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0368"n="352"/>
ken jenes Untergehen in das plaſtiſch verharrende Schöne<lb/>
weniger angemeſſen iſt, ſondern er gibt auch nähere An¬<lb/>
deutung darüber, warum gewiſſe theils mehr auf Reaction,<lb/>
theils mehr auf Production gerichtete Eigenthümlichkeiten<lb/>
mit einer höhern Erkenntniß durchaus nicht ſtimmen. Jeder<lb/>
fühlt unmittelbar, warum die Geſtalt eines farneſiſchen<lb/>
Herkules ganz unmöglich zu vereinen iſt mit einer Seele,<lb/>
welche im Geiſte die höhere philoſophiſche Erkenntniß errun¬<lb/>
gen hat, und bedeutungsvoll genug iſt in dieſer Beziehung<lb/>ſchon die Mythe vom Herakles ſelbſt, als welcher mit all<lb/>ſeiner derben Gewalt doch der Sklave eines ſchwachen Man¬<lb/>
nes blieb und nur aufgetragene Arbeiten ausführen konnte.<lb/>
Eben ſo iſt es mit der leiblichen Productivität. Es iſt<lb/>
außerordentlich was namentlich die Seherkunſt der Dichter<lb/>
hierüber ſchon mit Beſtimmtheit ausgeſagt hat, ohne irgend<lb/>
nähere wiſſenſchaftliche Conſtruction. Eine der ſchärfſten<lb/>
Stellen hierüber iſt die bekannte in Shakespeare's Julius<lb/>
Cäſar, wo Cäſar vom Caſſius ſagt:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Laßt wohlbeleibte Männer um mich ſein,</l><lb/><l>Mit glatten Köpfen und die Nachts gut ſchlafen,</l><lb/><l>Der Caſſius dort hat einen hohlen Blick,</l><lb/><l>Er denkt zu viel: die Leute ſind gefährlich.“</l><lb/></lg><p>Denn wer ſollte auf den erſten Blick glauben, daß<lb/>ſtärkere oder ſchwächere Ablagerung von Fett und Zellge¬<lb/>
webe mit niedrigerer oder höherer Erkenntniß in Beziehung<lb/>ſtehen könnte, und doch iſt es ſo! ja, was ſonſt iſt denn<lb/>
die Urſache, daß die weibliche Seele verhältnißmäßig we¬<lb/>
niger für höhere Erkenntniß ſich eignet als die männliche,<lb/>
als daß der weibliche Organismus mehr der unbewußten<lb/>
leiblichen Productivität beſtimmt iſt als der männliche.</p><lb/><p>Noch entſchiedener und noch deutlicher als auf die Ge¬<lb/>ſtaltungs-Vorgänge des unbewußten Lebens wirkt die Er¬<lb/>
kenntniß auf die in Gefühle und Bewegungen ausgehenden<lb/>
Lebenserſcheinungen des Unbewußten. Eine höhere Erkennt¬<lb/>
niß veredelt und erhöht, eine niedere Erkenntniß avilirt<lb/>
und treibt ins Gemeine Alles was dem bildenden Leben<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[352/0368]
ken jenes Untergehen in das plaſtiſch verharrende Schöne
weniger angemeſſen iſt, ſondern er gibt auch nähere An¬
deutung darüber, warum gewiſſe theils mehr auf Reaction,
theils mehr auf Production gerichtete Eigenthümlichkeiten
mit einer höhern Erkenntniß durchaus nicht ſtimmen. Jeder
fühlt unmittelbar, warum die Geſtalt eines farneſiſchen
Herkules ganz unmöglich zu vereinen iſt mit einer Seele,
welche im Geiſte die höhere philoſophiſche Erkenntniß errun¬
gen hat, und bedeutungsvoll genug iſt in dieſer Beziehung
ſchon die Mythe vom Herakles ſelbſt, als welcher mit all
ſeiner derben Gewalt doch der Sklave eines ſchwachen Man¬
nes blieb und nur aufgetragene Arbeiten ausführen konnte.
Eben ſo iſt es mit der leiblichen Productivität. Es iſt
außerordentlich was namentlich die Seherkunſt der Dichter
hierüber ſchon mit Beſtimmtheit ausgeſagt hat, ohne irgend
nähere wiſſenſchaftliche Conſtruction. Eine der ſchärfſten
Stellen hierüber iſt die bekannte in Shakespeare's Julius
Cäſar, wo Cäſar vom Caſſius ſagt:
„Laßt wohlbeleibte Männer um mich ſein,
Mit glatten Köpfen und die Nachts gut ſchlafen,
Der Caſſius dort hat einen hohlen Blick,
Er denkt zu viel: die Leute ſind gefährlich.“
Denn wer ſollte auf den erſten Blick glauben, daß
ſtärkere oder ſchwächere Ablagerung von Fett und Zellge¬
webe mit niedrigerer oder höherer Erkenntniß in Beziehung
ſtehen könnte, und doch iſt es ſo! ja, was ſonſt iſt denn
die Urſache, daß die weibliche Seele verhältnißmäßig we¬
niger für höhere Erkenntniß ſich eignet als die männliche,
als daß der weibliche Organismus mehr der unbewußten
leiblichen Productivität beſtimmt iſt als der männliche.
Noch entſchiedener und noch deutlicher als auf die Ge¬
ſtaltungs-Vorgänge des unbewußten Lebens wirkt die Er¬
kenntniß auf die in Gefühle und Bewegungen ausgehenden
Lebenserſcheinungen des Unbewußten. Eine höhere Erkennt¬
niß veredelt und erhöht, eine niedere Erkenntniß avilirt
und treibt ins Gemeine Alles was dem bildenden Leben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/368>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.