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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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ermangelten. Schon Aristoteles sagt1: dieserhalb
nun gehört für die Naturforscher die Betrachtung über die
Seele, entweder überhaupt oder als so beschaffene." Wie
sollte auch das rechte Erkennen des Bewußten in uns her¬
vorgehen, wenn das Erkennen und Verfolgen des Unbe¬
wußten nicht vorhergegangen war, und wegen mangelnder
Vorkenntnisse nicht vorhergehen konnte! So wie also in
der Morphologie nur durch das Studium der Entwicklungs¬
geschichte die Lehre von dem Verhältniß und der Bedeutung
der Organe näher aufgegangen ist, so wird man auch die
Art und Weise wie ein Göttliches -- eine Idee -- ein
Ur-Bild eines Seins vor allem Dasein -- sich in der
Wirklichkeit -- in einem Abbilde darlebt, und welche Ver¬
hältnisse dann fortwährend zwischen Urbild und Abbild be¬
stehen, nur dann genügend erkennen und durchschauen,
wenn man die Verhältnisse aufsucht, wo die Beziehungen
und Bildungen noch einfacher sind, hingegen wird man sie
weit schwerer erfassen, wo sie bereits eine unendliche Man¬
nichfaltigkeit und Verwicklung wirklich erreicht haben.

Indem wir daher jetzt an diese Betrachtungen uns
begeben, so ist ein Factum sogleich als das wichtigste vor¬
auszustellen und deutlich zu machen, von welchem allein
schon unendlich viel Licht für die Einsicht in alle ähnliche
Verhältnisse erlangt werden kann, ein Factum, welches
allerdings erst durch die neuesten Forschungen wahrhaft
enthüllt ist, und welches, wenn Männer wie Aristoteles
und E. Stahl damit bereits bekannt gewesen wären, das
Verständniß vom unbewußten Bilden der Seele schon ihnen
in vollerem Maße eröffnet haben würde. Dieses Factum
heißt: die ursprüngliche vollkommene Gleichheit
aller Elementartheile des Organismus
; oder die
Wahrheit, daß alle Vergrößerung des Gliedbaues
im lebenden Körper bedingt werde durch unend¬
lich vielfältige Wiederholungen einer und der¬

1 Von der Seele, 1. Buch 1. Cap.

ermangelten. Schon Ariſtoteles ſagt1: dieſerhalb
nun gehört für die Naturforſcher die Betrachtung über die
Seele, entweder überhaupt oder als ſo beſchaffene.“ Wie
ſollte auch das rechte Erkennen des Bewußten in uns her¬
vorgehen, wenn das Erkennen und Verfolgen des Unbe¬
wußten nicht vorhergegangen war, und wegen mangelnder
Vorkenntniſſe nicht vorhergehen konnte! So wie alſo in
der Morphologie nur durch das Studium der Entwicklungs¬
geſchichte die Lehre von dem Verhältniß und der Bedeutung
der Organe näher aufgegangen iſt, ſo wird man auch die
Art und Weiſe wie ein Göttliches — eine Idee — ein
Ur-Bild eines Seins vor allem Daſein — ſich in der
Wirklichkeit — in einem Abbilde darlebt, und welche Ver¬
hältniſſe dann fortwährend zwiſchen Urbild und Abbild be¬
ſtehen, nur dann genügend erkennen und durchſchauen,
wenn man die Verhältniſſe aufſucht, wo die Beziehungen
und Bildungen noch einfacher ſind, hingegen wird man ſie
weit ſchwerer erfaſſen, wo ſie bereits eine unendliche Man¬
nichfaltigkeit und Verwicklung wirklich erreicht haben.

Indem wir daher jetzt an dieſe Betrachtungen uns
begeben, ſo iſt ein Factum ſogleich als das wichtigſte vor¬
auszuſtellen und deutlich zu machen, von welchem allein
ſchon unendlich viel Licht für die Einſicht in alle ähnliche
Verhältniſſe erlangt werden kann, ein Factum, welches
allerdings erſt durch die neueſten Forſchungen wahrhaft
enthüllt iſt, und welches, wenn Männer wie Ariſtoteles
und E. Stahl damit bereits bekannt geweſen wären, das
Verſtändniß vom unbewußten Bilden der Seele ſchon ihnen
in vollerem Maße eröffnet haben würde. Dieſes Factum
heißt: die urſprüngliche vollkommene Gleichheit
aller Elementartheile des Organismus
; oder die
Wahrheit, daß alle Vergrößerung des Gliedbaues
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[21/0037] ermangelten. Schon Ariſtoteles ſagt 1: dieſerhalb nun gehört für die Naturforſcher die Betrachtung über die Seele, entweder überhaupt oder als ſo beſchaffene.“ Wie ſollte auch das rechte Erkennen des Bewußten in uns her¬ vorgehen, wenn das Erkennen und Verfolgen des Unbe¬ wußten nicht vorhergegangen war, und wegen mangelnder Vorkenntniſſe nicht vorhergehen konnte! So wie alſo in der Morphologie nur durch das Studium der Entwicklungs¬ geſchichte die Lehre von dem Verhältniß und der Bedeutung der Organe näher aufgegangen iſt, ſo wird man auch die Art und Weiſe wie ein Göttliches — eine Idee — ein Ur-Bild eines Seins vor allem Daſein — ſich in der Wirklichkeit — in einem Abbilde darlebt, und welche Ver¬ hältniſſe dann fortwährend zwiſchen Urbild und Abbild be¬ ſtehen, nur dann genügend erkennen und durchſchauen, wenn man die Verhältniſſe aufſucht, wo die Beziehungen und Bildungen noch einfacher ſind, hingegen wird man ſie weit ſchwerer erfaſſen, wo ſie bereits eine unendliche Man¬ nichfaltigkeit und Verwicklung wirklich erreicht haben. Indem wir daher jetzt an dieſe Betrachtungen uns begeben, ſo iſt ein Factum ſogleich als das wichtigſte vor¬ auszuſtellen und deutlich zu machen, von welchem allein ſchon unendlich viel Licht für die Einſicht in alle ähnliche Verhältniſſe erlangt werden kann, ein Factum, welches allerdings erſt durch die neueſten Forſchungen wahrhaft enthüllt iſt, und welches, wenn Männer wie Ariſtoteles und E. Stahl damit bereits bekannt geweſen wären, das Verſtändniß vom unbewußten Bilden der Seele ſchon ihnen in vollerem Maße eröffnet haben würde. Dieſes Factum heißt: die urſprüngliche vollkommene Gleichheit aller Elementartheile des Organismus; oder die Wahrheit, daß alle Vergrößerung des Gliedbaues im lebenden Körper bedingt werde durch unend¬ lich vielfältige Wiederholungen einer und der¬ 1 Von der Seele, 1. Buch 1. Cap.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/37>, abgerufen am 21.11.2024.